schworen, wie Guicciardini damals schrieb, aber schon er1. Abschnitt. gesteht zu, daß sie das unmöglich Geglaubte ausrichteten; und wenn er meint, die Weisen wären dem Unheil aus- gewichen, so hat dies keinen andern Sinn als daß sich Florenz völlig ruhmlos und lautlos in die Hände seiner Feinde hätte liefern sollen. Es hätte dann seine prächtigen Vorstädte und Gärten und das Leben und die Wohlfahrt unzähliger Bürger bewahrt und wäre dafür um eine der größten sittlichen Erinnerungen ärmer.
Die Florentiner sind in manchen großen Dingen Vor-Die Verfassungsän- derungen. bild und frühster Ausdruck der Italiener und der moder- nen Europäer überhaupt, und so sind sie es auch mannig- fach für die Schattenseiten. Wenn schon Dante das stets an seiner Verfassung bessernde Florenz mit einem Kranken verglich, der beständig seine Lage wechselt um seinen Schmer- zen zu entrinnen, so zeichnete er damit einen bleibenden Grundzug dieses Staatslebens. Der große moderne Irr- thum, daß man eine Verfassung machen, durch Berechnung der vorhandenen Kräfte und Richtungen neu produziren könne 1), taucht zu Florenz in bewegten Zeiten immer wieder auf und auch Macchiavell ist davon nicht frei ge- wesen. Es bilden sich Staatskünstler, welche durch künst- liche Verlegung und Vertheilung der Macht, durch höchst filtrirte Wahlarten, durch Scheinbehörden u. dgl. einen dauerhaften Zustand begründen, Groß und Klein gleich- mäßig zufriedenstellen oder auch täuschen wollen. Sie exempliren dabei auf das Naivste mit dem Alterthum und entlehnen zuletzt auch ganz officiell von dort die Partei-
1) Am dritten Adventssonntag 1494 predigte Savonarola über den Modus, eine neue Verfassung zu Stande zu bringen wie folgt: Die 16 Compagnien der Stadt sollten jede ein Project ausarbeiten, die Gonfalonieren die 4 besten auswählen, und aus diesen die Signorie die allerbeste! -- Es kam dann doch Alles anders, und zwar unter dem Einfluß des Predigers selbst.
ſchworen, wie Guicciardini damals ſchrieb, aber ſchon er1. Abſchnitt. geſteht zu, daß ſie das unmöglich Geglaubte ausrichteten; und wenn er meint, die Weiſen wären dem Unheil aus- gewichen, ſo hat dies keinen andern Sinn als daß ſich Florenz völlig ruhmlos und lautlos in die Hände ſeiner Feinde hätte liefern ſollen. Es hätte dann ſeine prächtigen Vorſtädte und Gärten und das Leben und die Wohlfahrt unzähliger Bürger bewahrt und wäre dafür um eine der größten ſittlichen Erinnerungen ärmer.
Die Florentiner ſind in manchen großen Dingen Vor-Die Verfaſſungsän- derungen. bild und frühſter Ausdruck der Italiener und der moder- nen Europäer überhaupt, und ſo ſind ſie es auch mannig- fach für die Schattenſeiten. Wenn ſchon Dante das ſtets an ſeiner Verfaſſung beſſernde Florenz mit einem Kranken verglich, der beſtändig ſeine Lage wechſelt um ſeinen Schmer- zen zu entrinnen, ſo zeichnete er damit einen bleibenden Grundzug dieſes Staatslebens. Der große moderne Irr- thum, daß man eine Verfaſſung machen, durch Berechnung der vorhandenen Kräfte und Richtungen neu produziren könne 1), taucht zu Florenz in bewegten Zeiten immer wieder auf und auch Macchiavell iſt davon nicht frei ge- weſen. Es bilden ſich Staatskünſtler, welche durch künſt- liche Verlegung und Vertheilung der Macht, durch höchſt filtrirte Wahlarten, durch Scheinbehörden u. dgl. einen dauerhaften Zuſtand begründen, Groß und Klein gleich- mäßig zufriedenſtellen oder auch täuſchen wollen. Sie exempliren dabei auf das Naivſte mit dem Alterthum und entlehnen zuletzt auch ganz officiell von dort die Partei-
1) Am dritten Adventsſonntag 1494 predigte Savonarola über den Modus, eine neue Verfaſſung zu Stande zu bringen wie folgt: Die 16 Compagnien der Stadt ſollten jede ein Project ausarbeiten, die Gonfalonieren die 4 beſten auswählen, und aus dieſen die Signorie die allerbeſte! — Es kam dann doch Alles anders, und zwar unter dem Einfluß des Predigers ſelbſt.
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ſchworen, wie Guicciardini damals ſchrieb, aber ſchon er
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gewichen, ſo hat dies keinen andern Sinn als daß ſich
Florenz völlig ruhmlos und lautlos in die Hände ſeiner
Feinde hätte liefern ſollen. Es hätte dann ſeine prächtigen
Vorſtädte und Gärten und das Leben und die Wohlfahrt
unzähliger Bürger bewahrt und wäre dafür um eine der
größten ſittlichen Erinnerungen ärmer.
1. Abſchnitt.
Die Florentiner ſind in manchen großen Dingen Vor-
bild und frühſter Ausdruck der Italiener und der moder-
nen Europäer überhaupt, und ſo ſind ſie es auch mannig-
fach für die Schattenſeiten. Wenn ſchon Dante das ſtets
an ſeiner Verfaſſung beſſernde Florenz mit einem Kranken
verglich, der beſtändig ſeine Lage wechſelt um ſeinen Schmer-
zen zu entrinnen, ſo zeichnete er damit einen bleibenden
Grundzug dieſes Staatslebens. Der große moderne Irr-
thum, daß man eine Verfaſſung machen, durch Berechnung
der vorhandenen Kräfte und Richtungen neu produziren
könne 1), taucht zu Florenz in bewegten Zeiten immer
wieder auf und auch Macchiavell iſt davon nicht frei ge-
weſen. Es bilden ſich Staatskünſtler, welche durch künſt-
liche Verlegung und Vertheilung der Macht, durch höchſt
filtrirte Wahlarten, durch Scheinbehörden u. dgl. einen
dauerhaften Zuſtand begründen, Groß und Klein gleich-
mäßig zufriedenſtellen oder auch täuſchen wollen. Sie
exempliren dabei auf das Naivſte mit dem Alterthum und
entlehnen zuletzt auch ganz officiell von dort die Partei-
Die
Verfaſſungsän-
derungen.
1) Am dritten Adventsſonntag 1494 predigte Savonarola über den
Modus, eine neue Verfaſſung zu Stande zu bringen wie folgt:
Die 16 Compagnien der Stadt ſollten jede ein Project ausarbeiten,
die Gonfalonieren die 4 beſten auswählen, und aus dieſen die
Signorie die allerbeſte! — Es kam dann doch Alles anders, und
zwar unter dem Einfluß des Predigers ſelbſt.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/95>, abgerufen am 24.11.2024.
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