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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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1. Abschnitt.namen, z. B. ottimati, aristocrazia 1) u. s. w. Seitdem
erst hat sich die Welt an diese Ausdrücke gewöhnt und
ihnen einen conventionellen, europäischen Sinn verliehen,
während alle frühern Parteinamen nur dem betreffenden
Lande gehörten und entweder unmittelbar die Sache be-
zeichneten oder dem Spiel des Zufalls entstammten. Wie
sehr färbt und entfärbt aber der Name die Sache!

Macchiavelli.Von allen jedoch, die einen Staat meinten construiren
zu können 2), ist Macchiavell ohne Vergleich der Größte.
Er faßt die vorhandenen Kräfte immer als lebendige,
active, stellt die Alternativen richtig und großartig und
sucht weder sich noch andere zu täuschen. Es ist in ihm
keine Spur von Eitelkeit noch Plusmacherei, auch schreibt er
ja nicht für das Publicum, sondern entweder für Behörden
und Fürsten oder für Freunde. Seine Gefahr liegt nie
in falscher Genialität, auch nicht im falschen Ausspinnen
von Begriffen, sondern in einer starken Phantasie, die er
offenbar mit Mühe bändigt. Seine politische Objectivität
ist allerdings bisweilen entsetzlich in ihrer Aufrichtigkeit,
aber sie ist entstanden in einer Zeit der äußersten Noth
und Gefahr, da die Menschen ohnehin nicht mehr leicht an
das Recht glauben noch die Billigkeit voraussetzen konnten.
Tugendhafte Empörung gegen dieselbe macht auf uns, die
wir die Mächte von rechts und links in unserem Jahrhundert
an der Arbeit gesehen haben, keinen besondern Eindruck.
Macchiavell war wenigstens im Stande, seine eigene Per-
son über den Sachen zu vergessen. Ueberhaupt ist er ein
Patriot im strengsten Sinne des Wortes, obwohl seine
Schriften (wenige Worte ausgenommen) alles directen
Enthusiasmus bar und ledig sind und obwohl ihn die

1) Letzteres zuerst 1527, nach der Verjagung der Medici; s. Varchi
I, 121 etc.
2) Macchiavelli, storie fior. l. III. "Un savio dator delle leggi"
könnte Florenz retten.

1. Abſchnitt.namen, z. B. ottimati, aristocrazia 1) u. ſ. w. Seitdem
erſt hat ſich die Welt an dieſe Ausdrücke gewöhnt und
ihnen einen conventionellen, europäiſchen Sinn verliehen,
während alle frühern Parteinamen nur dem betreffenden
Lande gehörten und entweder unmittelbar die Sache be-
zeichneten oder dem Spiel des Zufalls entſtammten. Wie
ſehr färbt und entfärbt aber der Name die Sache!

Macchiavelli.Von allen jedoch, die einen Staat meinten conſtruiren
zu können 2), iſt Macchiavell ohne Vergleich der Größte.
Er faßt die vorhandenen Kräfte immer als lebendige,
active, ſtellt die Alternativen richtig und großartig und
ſucht weder ſich noch andere zu täuſchen. Es iſt in ihm
keine Spur von Eitelkeit noch Plusmacherei, auch ſchreibt er
ja nicht für das Publicum, ſondern entweder für Behörden
und Fürſten oder für Freunde. Seine Gefahr liegt nie
in falſcher Genialität, auch nicht im falſchen Ausſpinnen
von Begriffen, ſondern in einer ſtarken Phantaſie, die er
offenbar mit Mühe bändigt. Seine politiſche Objectivität
iſt allerdings bisweilen entſetzlich in ihrer Aufrichtigkeit,
aber ſie iſt entſtanden in einer Zeit der äußerſten Noth
und Gefahr, da die Menſchen ohnehin nicht mehr leicht an
das Recht glauben noch die Billigkeit vorausſetzen konnten.
Tugendhafte Empörung gegen dieſelbe macht auf uns, die
wir die Mächte von rechts und links in unſerem Jahrhundert
an der Arbeit geſehen haben, keinen beſondern Eindruck.
Macchiavell war wenigſtens im Stande, ſeine eigene Per-
ſon über den Sachen zu vergeſſen. Ueberhaupt iſt er ein
Patriot im ſtrengſten Sinne des Wortes, obwohl ſeine
Schriften (wenige Worte ausgenommen) alles directen
Enthuſiasmus bar und ledig ſind und obwohl ihn die

1) Letzteres zuerſt 1527, nach der Verjagung der Medici; ſ. Varchi
I, 121 etc.
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[86/0096] namen, z. B. ottimati, aristocrazia 1) u. ſ. w. Seitdem erſt hat ſich die Welt an dieſe Ausdrücke gewöhnt und ihnen einen conventionellen, europäiſchen Sinn verliehen, während alle frühern Parteinamen nur dem betreffenden Lande gehörten und entweder unmittelbar die Sache be- zeichneten oder dem Spiel des Zufalls entſtammten. Wie ſehr färbt und entfärbt aber der Name die Sache! 1. Abſchnitt. Von allen jedoch, die einen Staat meinten conſtruiren zu können 2), iſt Macchiavell ohne Vergleich der Größte. Er faßt die vorhandenen Kräfte immer als lebendige, active, ſtellt die Alternativen richtig und großartig und ſucht weder ſich noch andere zu täuſchen. Es iſt in ihm keine Spur von Eitelkeit noch Plusmacherei, auch ſchreibt er ja nicht für das Publicum, ſondern entweder für Behörden und Fürſten oder für Freunde. Seine Gefahr liegt nie in falſcher Genialität, auch nicht im falſchen Ausſpinnen von Begriffen, ſondern in einer ſtarken Phantaſie, die er offenbar mit Mühe bändigt. Seine politiſche Objectivität iſt allerdings bisweilen entſetzlich in ihrer Aufrichtigkeit, aber ſie iſt entſtanden in einer Zeit der äußerſten Noth und Gefahr, da die Menſchen ohnehin nicht mehr leicht an das Recht glauben noch die Billigkeit vorausſetzen konnten. Tugendhafte Empörung gegen dieſelbe macht auf uns, die wir die Mächte von rechts und links in unſerem Jahrhundert an der Arbeit geſehen haben, keinen beſondern Eindruck. Macchiavell war wenigſtens im Stande, ſeine eigene Per- ſon über den Sachen zu vergeſſen. Ueberhaupt iſt er ein Patriot im ſtrengſten Sinne des Wortes, obwohl ſeine Schriften (wenige Worte ausgenommen) alles directen Enthuſiasmus bar und ledig ſind und obwohl ihn die Macchiavelli. 1) Letzteres zuerſt 1527, nach der Verjagung der Medici; ſ. Varchi I, 121 etc. 2) Macchiavelli, storie fior. l. III. „Un savio dator delle leggi“ könnte Florenz retten.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/96>, abgerufen am 21.11.2024.