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Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800.

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Dritter Theil.
§ 756.

IV. Theorie. Ohne Theorie kann die Heilkunst gar
keine Ansprüche auf eine gewisse Vollständigkeit machen; in
dieser Ueberzeugung oder in der dunklen Ahndung hiervon,
hat Jeder, auch der gröbste Empiriker, wenigstens den Schat-
ten einer Theorie. Unser Bestreben muß also darauf gerich-
tet seyn, uns eine möglichst vollkommene Theorie zu ver-
schaffen.

§ 757.

Diesen Zweck sucht nun der Arzt 1) dadurch zu errei-
chen, daß er die vorhandnen Systeme der Heilkunst nach
dem Zusammenhange ihrer Grundsätze unter einander, und
mit den allgemein bekannten Thatsachen und Erscheinungen
in der Natur, und nach der Uebereinstimmung derselben mit
den Gesetzen unsers Erkenntnißvermögens prüft.

§ 758.

Er studirt also zuerst die Systeme, welche ihm zunächst
liegen (eines Reil, Darwin, Brown, Cullen) und geht
dann zu denen der Vorzeit zurück (eines Hofmann, Stahl,
Boerhaave, Sylvius etc.)

Cullen über die Art und Weise, die praktische Arzneykunst zu
erlernen (als Anhang zum 4ten Bande seiner Anfangsgründe
der praktischen Arzneykunst. S. 533).
§ 759.

2) Sodann muß er durch Beobachtung der Natur selbst
am Krankenbette untersuchen, welches von diesen Systemen
die meiste Wahrheit enthält (denn in einzelnen Rücksichten
sind sie alle wahr), welches die Erscheinungen der Natur
am leichresten, gründlichsten und befriedigendsten erklärt.


§ 760.
Dritter Theil.
§ 756.

IV. Theorie. Ohne Theorie kann die Heilkunſt gar
keine Anſpruͤche auf eine gewiſſe Vollſtaͤndigkeit machen; in
dieſer Ueberzeugung oder in der dunklen Ahndung hiervon,
hat Jeder, auch der groͤbſte Empiriker, wenigſtens den Schat-
ten einer Theorie. Unſer Beſtreben muß alſo darauf gerich-
tet ſeyn, uns eine moͤglichſt vollkommene Theorie zu ver-
ſchaffen.

§ 757.

Dieſen Zweck ſucht nun der Arzt 1) dadurch zu errei-
chen, daß er die vorhandnen Syſteme der Heilkunſt nach
dem Zuſammenhange ihrer Grundſaͤtze unter einander, und
mit den allgemein bekannten Thatſachen und Erſcheinungen
in der Natur, und nach der Uebereinſtimmung derſelben mit
den Geſetzen unſers Erkenntnißvermoͤgens pruͤft.

§ 758.

Er ſtudirt alſo zuerſt die Syſteme, welche ihm zunaͤchſt
liegen (eines Reil, Darwin, Brown, Cullen) und geht
dann zu denen der Vorzeit zuruͤck (eines Hofmann, Stahl,
Boerhaave, Sylvius ꝛc.)

Cullen uͤber die Art und Weiſe, die praktiſche Arzneykunſt zu
erlernen (als Anhang zum 4ten Bande ſeiner Anfangsgruͤnde
der praktiſchen Arzneykunſt. S. 533).
§ 759.

2) Sodann muß er durch Beobachtung der Natur ſelbſt
am Krankenbette unterſuchen, welches von dieſen Syſtemen
die meiſte Wahrheit enthaͤlt (denn in einzelnen Ruͤckſichten
ſind ſie alle wahr), welches die Erſcheinungen der Natur
am leichreſten, gruͤndlichſten und befriedigendſten erklaͤrt.


§ 760.
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[238/0256] Dritter Theil. § 756. IV. Theorie. Ohne Theorie kann die Heilkunſt gar keine Anſpruͤche auf eine gewiſſe Vollſtaͤndigkeit machen; in dieſer Ueberzeugung oder in der dunklen Ahndung hiervon, hat Jeder, auch der groͤbſte Empiriker, wenigſtens den Schat- ten einer Theorie. Unſer Beſtreben muß alſo darauf gerich- tet ſeyn, uns eine moͤglichſt vollkommene Theorie zu ver- ſchaffen. § 757. Dieſen Zweck ſucht nun der Arzt 1) dadurch zu errei- chen, daß er die vorhandnen Syſteme der Heilkunſt nach dem Zuſammenhange ihrer Grundſaͤtze unter einander, und mit den allgemein bekannten Thatſachen und Erſcheinungen in der Natur, und nach der Uebereinſtimmung derſelben mit den Geſetzen unſers Erkenntnißvermoͤgens pruͤft. § 758. Er ſtudirt alſo zuerſt die Syſteme, welche ihm zunaͤchſt liegen (eines Reil, Darwin, Brown, Cullen) und geht dann zu denen der Vorzeit zuruͤck (eines Hofmann, Stahl, Boerhaave, Sylvius ꝛc.) Cullen uͤber die Art und Weiſe, die praktiſche Arzneykunſt zu erlernen (als Anhang zum 4ten Bande ſeiner Anfangsgruͤnde der praktiſchen Arzneykunſt. S. 533). § 759. 2) Sodann muß er durch Beobachtung der Natur ſelbſt am Krankenbette unterſuchen, welches von dieſen Syſtemen die meiſte Wahrheit enthaͤlt (denn in einzelnen Ruͤckſichten ſind ſie alle wahr), welches die Erſcheinungen der Natur am leichreſten, gruͤndlichſten und befriedigendſten erklaͤrt. § 760.

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Zitationshilfe: Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burdach_propaedeutik_1800/256>, abgerufen am 23.11.2024.