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Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800.

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Kritik der Heilkunst.
Gesetze, welchen die Naturkraft in ihren Aeusserungen folgt,
indem es zu gleichen Würkungen gleiche Ursachen denkt.

§ 126.

Es läßt nicht mehr Ursachen zu, als nöthig ist, um
die Erscheinungen zu erklären. Es ist also einfach in seinen
Principien, unendlich in der Anwendung derselben, und es
wird dadurch die Kopie der Natur.

§ 127.

So vollkommen aber dieses System auch ist, so werden
doch der Erweiterung, deren die Heilkunst fähig ist (§ 101)
dadurch keine Gränzen gesetzt. Die Natur wird wegen des
neuen Zusammentreffens von Ursachen, in Ewigkeit neue
Erscheinungen hervorbringen, und die Heilkunst deshalb, ih-
rem äussern Umfange nach, nie vollendet werden können.

§ 128.

So lange die Heilkunst ein solches System noch nicht
gewonnen hat, sieht sie sich gedrungen, einen der drey übri-
gen Wege (§. 116 -- 122) einzuschlagen.

§ 129.

Wählt sie den Empirismus, so sinkt sie unter sich selbst
herab, sie sinkt in einem ungeordneten, zwecklos gemischten
Chaos unter, wo kein Anfang und kein Ende abzusehn ist,
und lähmt dadurch alle Kräfte des Geistes.

§ 130.

Neigt sie sich zum Eklekticismus, so kann sie frey ein-
her schreiten, und die Natur in ihren Werken mit Unbefan-

gen-

Kritik der Heilkunſt.
Geſetze, welchen die Naturkraft in ihren Aeuſſerungen folgt,
indem es zu gleichen Wuͤrkungen gleiche Urſachen denkt.

§ 126.

Es laͤßt nicht mehr Urſachen zu, als noͤthig iſt, um
die Erſcheinungen zu erklaͤren. Es iſt alſo einfach in ſeinen
Principien, unendlich in der Anwendung derſelben, und es
wird dadurch die Kopie der Natur.

§ 127.

So vollkommen aber dieſes Syſtem auch iſt, ſo werden
doch der Erweiterung, deren die Heilkunſt faͤhig iſt (§ 101)
dadurch keine Graͤnzen geſetzt. Die Natur wird wegen des
neuen Zuſammentreffens von Urſachen, in Ewigkeit neue
Erſcheinungen hervorbringen, und die Heilkunſt deshalb, ih-
rem aͤuſſern Umfange nach, nie vollendet werden koͤnnen.

§ 128.

So lange die Heilkunſt ein ſolches Syſtem noch nicht
gewonnen hat, ſieht ſie ſich gedrungen, einen der drey uͤbri-
gen Wege (§. 116 — 122) einzuſchlagen.

§ 129.

Waͤhlt ſie den Empirismus, ſo ſinkt ſie unter ſich ſelbſt
herab, ſie ſinkt in einem ungeordneten, zwecklos gemiſchten
Chaos unter, wo kein Anfang und kein Ende abzuſehn iſt,
und laͤhmt dadurch alle Kraͤfte des Geiſtes.

§ 130.

Neigt ſie ſich zum Eklekticismus, ſo kann ſie frey ein-
her ſchreiten, und die Natur in ihren Werken mit Unbefan-

gen-
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[43/0061] Kritik der Heilkunſt. Geſetze, welchen die Naturkraft in ihren Aeuſſerungen folgt, indem es zu gleichen Wuͤrkungen gleiche Urſachen denkt. § 126. Es laͤßt nicht mehr Urſachen zu, als noͤthig iſt, um die Erſcheinungen zu erklaͤren. Es iſt alſo einfach in ſeinen Principien, unendlich in der Anwendung derſelben, und es wird dadurch die Kopie der Natur. § 127. So vollkommen aber dieſes Syſtem auch iſt, ſo werden doch der Erweiterung, deren die Heilkunſt faͤhig iſt (§ 101) dadurch keine Graͤnzen geſetzt. Die Natur wird wegen des neuen Zuſammentreffens von Urſachen, in Ewigkeit neue Erſcheinungen hervorbringen, und die Heilkunſt deshalb, ih- rem aͤuſſern Umfange nach, nie vollendet werden koͤnnen. § 128. So lange die Heilkunſt ein ſolches Syſtem noch nicht gewonnen hat, ſieht ſie ſich gedrungen, einen der drey uͤbri- gen Wege (§. 116 — 122) einzuſchlagen. § 129. Waͤhlt ſie den Empirismus, ſo ſinkt ſie unter ſich ſelbſt herab, ſie ſinkt in einem ungeordneten, zwecklos gemiſchten Chaos unter, wo kein Anfang und kein Ende abzuſehn iſt, und laͤhmt dadurch alle Kraͤfte des Geiſtes. § 130. Neigt ſie ſich zum Eklekticismus, ſo kann ſie frey ein- her ſchreiten, und die Natur in ihren Werken mit Unbefan- gen-

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Zitationshilfe: Burdach, Karl Friedrich: Propädeutik zum Studium der gesammten Heilkunst. Leipzig, 1800, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burdach_propaedeutik_1800/61>, abgerufen am 23.11.2024.