Burdel, Édouard: Die Trunksucht. (Übers. Heinrich Gauss). Weimar, 1855.Mittagsmahlzeit ein Glas Absinth oder Wermuthschnaps, und zwar bald rein, bald mit Wasser gemischt; was er aber auch beginne, dieser Liqueur dient, gleich allen, nüchtern genossenen, alkoholischen Getränken, nur dazu, die Functionen der Verdauung noch mehr zu beeinträchtigen, und der Appetit nimmt dadurch eher noch mehr ab, als zu. An der Mittagstafel sehen wir ihn nun die unverdaulichen Speisen allen andern vorziehen, auch die sauren und stark gewürzten Gerichte wählen, zu diesem noch Pfeffer, zu jenem Senf hinzuthun, und trotz dieser Reizmittel ißt er dennoch nur wenig; dagegen schauet einmal, wie er trinkt. Aber er trinkt hier nicht, wie am Morgen, zum Zeitvertreib, aus Gewohnheit; nein! er hat jetzt einen wirklichen Durst zu stillen; seine trockene, brennende Kehle bedarf einer Flüssigkeit, um die verzehrende Hitze zu mäßigen; alle jene reizenden Mittel haben ihn in der fraglichen Beziehung dermaßen verkehrt, daß man sagen möchte, wenn er trinke, um zu essen, so esse er doch mehr noch, um zu trinken. Jeder Mundvoll Speise kann gleichsam seinen Weg nur dann finden, wenn er durch eine Fluth von Flüssigkeit hinuntergespült wird. Bis jetzt haben wir es übrigens nur mit Schnapstrinkern zu thun gehabt und wir haben, wie gesagt, auch nur der Morgenscene an Wochentagen beigewohnt. Wenn wir einmal in eine Weinstube eintreten, so sehen wir hier dieselben Auftritte sich wiederholen, nur mit dem Unterschiede, der durch Local und Getränk bedingt wird: dort wurde Schnaps, hier wird rother und weißer Wein getrunken; dort trank man aus kleinen Gläsern, hier werden Schoppen, Pinten oder Flaschen geleert. Die Ergebnisse sind jedoch dieselben: ob nun Jemand nüchtern und für gewöhnlich Schnaps trinke, oder reinen Wein, er stumpft in der einen wie in der andern Weise die Empfindlichkeit des Magens ab. Er bringt auf das Organ euren unnützen Reiz hervor, weil es leer ist, und auf Speisen, welche nicht vorhanden sind, kann das Getränk auch nicht wirken; folglich ist es dem Mittagsmahlzeit ein Glas Absinth oder Wermuthschnaps, und zwar bald rein, bald mit Wasser gemischt; was er aber auch beginne, dieser Liqueur dient, gleich allen, nüchtern genossenen, alkoholischen Getränken, nur dazu, die Functionen der Verdauung noch mehr zu beeinträchtigen, und der Appetit nimmt dadurch eher noch mehr ab, als zu. An der Mittagstafel sehen wir ihn nun die unverdaulichen Speisen allen andern vorziehen, auch die sauren und stark gewürzten Gerichte wählen, zu diesem noch Pfeffer, zu jenem Senf hinzuthun, und trotz dieser Reizmittel ißt er dennoch nur wenig; dagegen schauet einmal, wie er trinkt. Aber er trinkt hier nicht, wie am Morgen, zum Zeitvertreib, aus Gewohnheit; nein! er hat jetzt einen wirklichen Durst zu stillen; seine trockene, brennende Kehle bedarf einer Flüssigkeit, um die verzehrende Hitze zu mäßigen; alle jene reizenden Mittel haben ihn in der fraglichen Beziehung dermaßen verkehrt, daß man sagen möchte, wenn er trinke, um zu essen, so esse er doch mehr noch, um zu trinken. Jeder Mundvoll Speise kann gleichsam seinen Weg nur dann finden, wenn er durch eine Fluth von Flüssigkeit hinuntergespült wird. Bis jetzt haben wir es übrigens nur mit Schnapstrinkern zu thun gehabt und wir haben, wie gesagt, auch nur der Morgenscene an Wochentagen beigewohnt. Wenn wir einmal in eine Weinstube eintreten, so sehen wir hier dieselben Auftritte sich wiederholen, nur mit dem Unterschiede, der durch Local und Getränk bedingt wird: dort wurde Schnaps, hier wird rother und weißer Wein getrunken; dort trank man aus kleinen Gläsern, hier werden Schoppen, Pinten oder Flaschen geleert. Die Ergebnisse sind jedoch dieselben: ob nun Jemand nüchtern und für gewöhnlich Schnaps trinke, oder reinen Wein, er stumpft in der einen wie in der andern Weise die Empfindlichkeit des Magens ab. Er bringt auf das Organ euren unnützen Reiz hervor, weil es leer ist, und auf Speisen, welche nicht vorhanden sind, kann das Getränk auch nicht wirken; folglich ist es dem <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0030" n="20"/> Mittagsmahlzeit ein Glas Absinth oder Wermuthschnaps, und zwar bald rein, bald mit Wasser gemischt; was er aber auch beginne, dieser Liqueur dient, gleich allen, nüchtern genossenen, alkoholischen Getränken, nur dazu, die Functionen der Verdauung noch mehr zu beeinträchtigen, und der Appetit nimmt dadurch eher noch mehr ab, als zu. An der Mittagstafel sehen wir ihn nun die unverdaulichen Speisen allen andern vorziehen, auch die sauren und stark gewürzten Gerichte wählen, zu diesem noch Pfeffer, zu jenem Senf hinzuthun, und trotz dieser Reizmittel ißt er dennoch nur wenig; dagegen schauet einmal, wie er trinkt. Aber er trinkt hier nicht, wie am Morgen, zum Zeitvertreib, aus Gewohnheit; nein! er hat jetzt einen wirklichen Durst zu stillen; seine trockene, brennende Kehle bedarf einer Flüssigkeit, um die verzehrende Hitze zu mäßigen; alle jene reizenden Mittel haben ihn in der fraglichen Beziehung dermaßen verkehrt, daß man sagen möchte, wenn er trinke, um zu essen, so esse er doch mehr noch, um zu trinken. Jeder Mundvoll Speise kann gleichsam seinen Weg nur dann finden, wenn er durch eine Fluth von Flüssigkeit hinuntergespült wird.</p> <p>Bis jetzt haben wir es übrigens nur mit Schnapstrinkern zu thun gehabt und wir haben, wie gesagt, auch nur der Morgenscene an Wochentagen beigewohnt. Wenn wir einmal in eine Weinstube eintreten, so sehen wir hier dieselben Auftritte sich wiederholen, nur mit dem Unterschiede, der durch Local und Getränk bedingt wird: dort wurde Schnaps, hier wird rother und weißer Wein getrunken; dort trank man aus kleinen Gläsern, hier werden Schoppen, Pinten oder Flaschen geleert. Die Ergebnisse sind jedoch dieselben: ob nun Jemand nüchtern und für gewöhnlich Schnaps trinke, oder reinen Wein, er stumpft in der einen wie in der andern Weise die Empfindlichkeit des Magens ab. Er bringt auf das Organ euren unnützen Reiz hervor, weil es leer ist, und auf Speisen, welche nicht vorhanden sind, kann das Getränk auch nicht wirken; folglich ist es dem </p> </div> </body> </text> </TEI> [20/0030]
Mittagsmahlzeit ein Glas Absinth oder Wermuthschnaps, und zwar bald rein, bald mit Wasser gemischt; was er aber auch beginne, dieser Liqueur dient, gleich allen, nüchtern genossenen, alkoholischen Getränken, nur dazu, die Functionen der Verdauung noch mehr zu beeinträchtigen, und der Appetit nimmt dadurch eher noch mehr ab, als zu. An der Mittagstafel sehen wir ihn nun die unverdaulichen Speisen allen andern vorziehen, auch die sauren und stark gewürzten Gerichte wählen, zu diesem noch Pfeffer, zu jenem Senf hinzuthun, und trotz dieser Reizmittel ißt er dennoch nur wenig; dagegen schauet einmal, wie er trinkt. Aber er trinkt hier nicht, wie am Morgen, zum Zeitvertreib, aus Gewohnheit; nein! er hat jetzt einen wirklichen Durst zu stillen; seine trockene, brennende Kehle bedarf einer Flüssigkeit, um die verzehrende Hitze zu mäßigen; alle jene reizenden Mittel haben ihn in der fraglichen Beziehung dermaßen verkehrt, daß man sagen möchte, wenn er trinke, um zu essen, so esse er doch mehr noch, um zu trinken. Jeder Mundvoll Speise kann gleichsam seinen Weg nur dann finden, wenn er durch eine Fluth von Flüssigkeit hinuntergespült wird.
Bis jetzt haben wir es übrigens nur mit Schnapstrinkern zu thun gehabt und wir haben, wie gesagt, auch nur der Morgenscene an Wochentagen beigewohnt. Wenn wir einmal in eine Weinstube eintreten, so sehen wir hier dieselben Auftritte sich wiederholen, nur mit dem Unterschiede, der durch Local und Getränk bedingt wird: dort wurde Schnaps, hier wird rother und weißer Wein getrunken; dort trank man aus kleinen Gläsern, hier werden Schoppen, Pinten oder Flaschen geleert. Die Ergebnisse sind jedoch dieselben: ob nun Jemand nüchtern und für gewöhnlich Schnaps trinke, oder reinen Wein, er stumpft in der einen wie in der andern Weise die Empfindlichkeit des Magens ab. Er bringt auf das Organ euren unnützen Reiz hervor, weil es leer ist, und auf Speisen, welche nicht vorhanden sind, kann das Getränk auch nicht wirken; folglich ist es dem
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