Burdel, Édouard: Die Trunksucht. (Übers. Heinrich Gauss). Weimar, 1855.Magen schädlich. "Ebensowenig," sagt Dr. Simon, "als man einem Pferde nicht Abends die Sporen giebt, um es Tags darauf zum Laufen zu bewegen, oder man ein Feuer Abends anbläs't, damit es des andern Morgens brenne, eben so wenig wird auch das am frühen Morgen getrunkene Gläschen Schnaps zur mittäglichen Verdauung helfen." Dabei ist es übrigens drollig, wenn auch zugleich im Grunde traurig, insofern man die Sache nicht oberflächlich betrachtet, anzuhören, wie der Schnapstrinker des Weintrinkers spottet, ihm seine Verachtung kund giebt, ihn einen Trunkenbold schimpft, während sich hingegen der Weintrinker seiner Mäßigkeit rühmt im Vergleich zu Jenem, der sich um seine Gesundheit bringe, indem er sich den Magen verbrenne. Heißt das nicht jene Stelle des göttlichen Buches: "Warum siehst du den Splitter in dem Auge Deines Nächsten und wirst nicht des Balkens in dem eigenen Auge gewahr?" im wahrsten Sinne auf sich anwenden? Der Branntwein erzeugt, wenn auch in schwächerer Dosis genommen, als der Wein, dennoch einen lebhaftern, unmittelbarer, augenblicklicher wirkenden Reiz; weil schneller in die Circulation aufgenommen, äußert er sofort seine Wirkung auf das Nervensystem, das dadurch tief erschüttert wird, und woraus dann alle die Störungen hervorgehen, welche sich über die Organe hin verbreiten. Der Wein wirkt anfänglich auf den Magen, weil er stets in sehr großer Quantität genossen wird und seine Aufnahme in die Circulation nie ganz vollständig ist; später erzeugt er dieselben Phänomene wie der Alkohol. So befinden sich denn die beiden Trinker, wenn auch von verschiedenen Puncten ausgegangen, doch auf demselben Wege. Das Tagewerk ist übrigens noch nicht zu Ende; nach dem Abendessen beginnt der letzte Act des Drama's, ein Act, der fast jederzeit im Kaffeehause gespielt wird; nicht etwa, weil der Kaffee allein dort den Trinker anzieht, dieses Getränk spielt vielmehr nur eine sehr unbedeutende Nebenrolle; selbst für die Mehrzahl der Gäste Magen schädlich. „Ebensowenig,“ sagt Dr. Simon, „als man einem Pferde nicht Abends die Sporen giebt, um es Tags darauf zum Laufen zu bewegen, oder man ein Feuer Abends anbläs’t, damit es des andern Morgens brenne, eben so wenig wird auch das am frühen Morgen getrunkene Gläschen Schnaps zur mittäglichen Verdauung helfen.“ Dabei ist es übrigens drollig, wenn auch zugleich im Grunde traurig, insofern man die Sache nicht oberflächlich betrachtet, anzuhören, wie der Schnapstrinker des Weintrinkers spottet, ihm seine Verachtung kund giebt, ihn einen Trunkenbold schimpft, während sich hingegen der Weintrinker seiner Mäßigkeit rühmt im Vergleich zu Jenem, der sich um seine Gesundheit bringe, indem er sich den Magen verbrenne. Heißt das nicht jene Stelle des göttlichen Buches: „Warum siehst du den Splitter in dem Auge Deines Nächsten und wirst nicht des Balkens in dem eigenen Auge gewahr?“ im wahrsten Sinne auf sich anwenden? Der Branntwein erzeugt, wenn auch in schwächerer Dosis genommen, als der Wein, dennoch einen lebhaftern, unmittelbarer, augenblicklicher wirkenden Reiz; weil schneller in die Circulation aufgenommen, äußert er sofort seine Wirkung auf das Nervensystem, das dadurch tief erschüttert wird, und woraus dann alle die Störungen hervorgehen, welche sich über die Organe hin verbreiten. Der Wein wirkt anfänglich auf den Magen, weil er stets in sehr großer Quantität genossen wird und seine Aufnahme in die Circulation nie ganz vollständig ist; später erzeugt er dieselben Phänomene wie der Alkohol. So befinden sich denn die beiden Trinker, wenn auch von verschiedenen Puncten ausgegangen, doch auf demselben Wege. Das Tagewerk ist übrigens noch nicht zu Ende; nach dem Abendessen beginnt der letzte Act des Drama’s, ein Act, der fast jederzeit im Kaffeehause gespielt wird; nicht etwa, weil der Kaffee allein dort den Trinker anzieht, dieses Getränk spielt vielmehr nur eine sehr unbedeutende Nebenrolle; selbst für die Mehrzahl der Gäste <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0031" n="21"/> Magen schädlich. „Ebensowenig,“ sagt <hi rendition="#aq">Dr.</hi> Simon, „als man einem Pferde nicht Abends die Sporen giebt, um es Tags darauf zum Laufen zu bewegen, oder man ein Feuer Abends anbläs’t, damit es des andern Morgens brenne, eben so wenig wird auch das am frühen Morgen getrunkene Gläschen Schnaps zur mittäglichen Verdauung helfen.“ Dabei ist es übrigens drollig, wenn auch zugleich im Grunde traurig, insofern man die Sache nicht oberflächlich betrachtet, anzuhören, wie der Schnapstrinker des Weintrinkers spottet, ihm seine Verachtung kund giebt, ihn einen Trunkenbold schimpft, während sich hingegen der Weintrinker seiner Mäßigkeit rühmt im Vergleich zu Jenem, der sich um seine Gesundheit bringe, indem er sich den Magen verbrenne. Heißt das nicht jene Stelle des göttlichen Buches: „Warum siehst du den Splitter in dem Auge Deines Nächsten und wirst nicht des Balkens in dem eigenen Auge gewahr?“ im wahrsten Sinne auf sich anwenden?</p> <p>Der Branntwein erzeugt, wenn auch in schwächerer Dosis genommen, als der Wein, dennoch einen lebhaftern, unmittelbarer, augenblicklicher wirkenden Reiz; weil schneller in die Circulation aufgenommen, äußert er sofort seine Wirkung auf das Nervensystem, das dadurch tief erschüttert wird, und woraus dann alle die Störungen hervorgehen, welche sich über die Organe hin verbreiten. Der Wein wirkt anfänglich auf den Magen, weil er stets in sehr großer Quantität genossen wird und seine Aufnahme in die Circulation nie ganz vollständig ist; später erzeugt er dieselben Phänomene wie der Alkohol. So befinden sich denn die beiden Trinker, wenn auch von verschiedenen Puncten ausgegangen, doch auf demselben Wege.</p> <p>Das Tagewerk ist übrigens noch nicht zu Ende; nach dem Abendessen beginnt der letzte Act des Drama’s, ein Act, der fast jederzeit im Kaffeehause gespielt wird; nicht etwa, weil der Kaffee allein dort den Trinker anzieht, dieses Getränk spielt vielmehr nur eine sehr unbedeutende Nebenrolle; selbst für die Mehrzahl der Gäste </p> </div> </body> </text> </TEI> [21/0031]
Magen schädlich. „Ebensowenig,“ sagt Dr. Simon, „als man einem Pferde nicht Abends die Sporen giebt, um es Tags darauf zum Laufen zu bewegen, oder man ein Feuer Abends anbläs’t, damit es des andern Morgens brenne, eben so wenig wird auch das am frühen Morgen getrunkene Gläschen Schnaps zur mittäglichen Verdauung helfen.“ Dabei ist es übrigens drollig, wenn auch zugleich im Grunde traurig, insofern man die Sache nicht oberflächlich betrachtet, anzuhören, wie der Schnapstrinker des Weintrinkers spottet, ihm seine Verachtung kund giebt, ihn einen Trunkenbold schimpft, während sich hingegen der Weintrinker seiner Mäßigkeit rühmt im Vergleich zu Jenem, der sich um seine Gesundheit bringe, indem er sich den Magen verbrenne. Heißt das nicht jene Stelle des göttlichen Buches: „Warum siehst du den Splitter in dem Auge Deines Nächsten und wirst nicht des Balkens in dem eigenen Auge gewahr?“ im wahrsten Sinne auf sich anwenden?
Der Branntwein erzeugt, wenn auch in schwächerer Dosis genommen, als der Wein, dennoch einen lebhaftern, unmittelbarer, augenblicklicher wirkenden Reiz; weil schneller in die Circulation aufgenommen, äußert er sofort seine Wirkung auf das Nervensystem, das dadurch tief erschüttert wird, und woraus dann alle die Störungen hervorgehen, welche sich über die Organe hin verbreiten. Der Wein wirkt anfänglich auf den Magen, weil er stets in sehr großer Quantität genossen wird und seine Aufnahme in die Circulation nie ganz vollständig ist; später erzeugt er dieselben Phänomene wie der Alkohol. So befinden sich denn die beiden Trinker, wenn auch von verschiedenen Puncten ausgegangen, doch auf demselben Wege.
Das Tagewerk ist übrigens noch nicht zu Ende; nach dem Abendessen beginnt der letzte Act des Drama’s, ein Act, der fast jederzeit im Kaffeehause gespielt wird; nicht etwa, weil der Kaffee allein dort den Trinker anzieht, dieses Getränk spielt vielmehr nur eine sehr unbedeutende Nebenrolle; selbst für die Mehrzahl der Gäste
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