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Buri, Maximilian von: Ueber Causalität und deren Verantwortung. Leipzig, 1873.

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welche der einmal herbeigeführte Zustand, wie etwa die
Unfreiheit des rechtswidrig Eingesperrten, forterhalten wird,
als Nebenhandlungen bezeichnet werden. -- Eine dritte
Lesart in Betreff der Haupthandlung geht dahin: es werde
durch dieselbe der Begriff des Verbrechens vollständig dar-
gestellt. Für das Verbrechen der Tödtung z. B. sei nur die
Ausführung der tödtenden Handlung erforderlich. Darum
erscheine nicht das Festhalten des Getödteten sondern allein
der demselben beigebrachte Dolchstich als die Haupthandlung.
Man übersieht aber hierbei, daß es sich nicht um die Dar-
stellung des abstracten Verbrechensbegriffs sondern nur um
die Herbeiführung des concreten Erfolgs handeln kann, für
welchen das Festhalten des Getödteten von nicht geringerer
objectiver Bedeutung erscheint, wie der Dolchstich. Und
wenn der Tod erst durch den Hinzutritt verbrecherischer
Kräfte herbeigeführt wurde, so würde die entsprechende
Handlung, wie das Oeffnen des Scheuerthors in obigem
Beispiel, nur als eine Nebenhandlung in Betracht gezogen
werden können. -- Nach meiner Ansicht hat die Haupt-
handlung eine lediglich subjective Bedeutung. D. h. wenn
ein Ganzes aus mehreren objectiv gleichwerthigen Stücken
zusammen gesetzt werden soll, so thut Derjenige, welcher das
letzte Stück hinzufügt, objectiv nicht mehr und nicht weniger,
als was bereits vor ihm geschehen ist. Wohl aber hat er
den entscheidenden Willen, welcher wegen seiner Unabhängigkeit
von der objectiven Bedeutsamkeit der Handlung selbst dann
nicht zum Wegfall kommt, wenn auch gegen Erwarten das
beabsichtigte Ganze durch die Hinzufügung des vermeintlich
letzten Stücks nicht zur Existenz gelangen sollte. Jm Ver-
gleich zu der vorausgegangenen Handlung erscheint sogar
jede nachfolgende Handlung als Haupthandlung, sollte sie
selbst auch auf eine nachfolgende reflectiren.

welche der einmal herbeigeführte Zuſtand, wie etwa die
Unfreiheit des rechtswidrig Eingeſperrten, forterhalten wird,
als Nebenhandlungen bezeichnet werden. — Eine dritte
Lesart in Betreff der Haupthandlung geht dahin: es werde
durch dieſelbe der Begriff des Verbrechens vollſtändig dar-
geſtellt. Für das Verbrechen der Tödtung z. B. ſei nur die
Ausführung der tödtenden Handlung erforderlich. Darum
erſcheine nicht das Feſthalten des Getödteten ſondern allein
der demſelben beigebrachte Dolchſtich als die Haupthandlung.
Man überſieht aber hierbei, daß es ſich nicht um die Dar-
ſtellung des abſtracten Verbrechensbegriffs ſondern nur um
die Herbeiführung des concreten Erfolgs handeln kann, für
welchen das Feſthalten des Getödteten von nicht geringerer
objectiver Bedeutung erſcheint, wie der Dolchſtich. Und
wenn der Tod erſt durch den Hinzutritt verbrecheriſcher
Kräfte herbeigeführt wurde, ſo würde die entſprechende
Handlung, wie das Oeffnen des Scheuerthors in obigem
Beiſpiel, nur als eine Nebenhandlung in Betracht gezogen
werden können. — Nach meiner Anſicht hat die Haupt-
handlung eine lediglich ſubjective Bedeutung. D. h. wenn
ein Ganzes aus mehreren objectiv gleichwerthigen Stücken
zuſammen geſetzt werden ſoll, ſo thut Derjenige, welcher das
letzte Stück hinzufügt, objectiv nicht mehr und nicht weniger,
als was bereits vor ihm geſchehen iſt. Wohl aber hat er
den entſcheidenden Willen, welcher wegen ſeiner Unabhängigkeit
von der objectiven Bedeutſamkeit der Handlung ſelbſt dann
nicht zum Wegfall kommt, wenn auch gegen Erwarten das
beabſichtigte Ganze durch die Hinzufügung des vermeintlich
letzten Stücks nicht zur Exiſtenz gelangen ſollte. Jm Ver-
gleich zu der vorausgegangenen Handlung erſcheint ſogar
jede nachfolgende Handlung als Haupthandlung, ſollte ſie
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[104/0108] welche der einmal herbeigeführte Zuſtand, wie etwa die Unfreiheit des rechtswidrig Eingeſperrten, forterhalten wird, als Nebenhandlungen bezeichnet werden. — Eine dritte Lesart in Betreff der Haupthandlung geht dahin: es werde durch dieſelbe der Begriff des Verbrechens vollſtändig dar- geſtellt. Für das Verbrechen der Tödtung z. B. ſei nur die Ausführung der tödtenden Handlung erforderlich. Darum erſcheine nicht das Feſthalten des Getödteten ſondern allein der demſelben beigebrachte Dolchſtich als die Haupthandlung. Man überſieht aber hierbei, daß es ſich nicht um die Dar- ſtellung des abſtracten Verbrechensbegriffs ſondern nur um die Herbeiführung des concreten Erfolgs handeln kann, für welchen das Feſthalten des Getödteten von nicht geringerer objectiver Bedeutung erſcheint, wie der Dolchſtich. Und wenn der Tod erſt durch den Hinzutritt verbrecheriſcher Kräfte herbeigeführt wurde, ſo würde die entſprechende Handlung, wie das Oeffnen des Scheuerthors in obigem Beiſpiel, nur als eine Nebenhandlung in Betracht gezogen werden können. — Nach meiner Anſicht hat die Haupt- handlung eine lediglich ſubjective Bedeutung. D. h. wenn ein Ganzes aus mehreren objectiv gleichwerthigen Stücken zuſammen geſetzt werden ſoll, ſo thut Derjenige, welcher das letzte Stück hinzufügt, objectiv nicht mehr und nicht weniger, als was bereits vor ihm geſchehen iſt. Wohl aber hat er den entſcheidenden Willen, welcher wegen ſeiner Unabhängigkeit von der objectiven Bedeutſamkeit der Handlung ſelbſt dann nicht zum Wegfall kommt, wenn auch gegen Erwarten das beabſichtigte Ganze durch die Hinzufügung des vermeintlich letzten Stücks nicht zur Exiſtenz gelangen ſollte. Jm Ver- gleich zu der vorausgegangenen Handlung erſcheint ſogar jede nachfolgende Handlung als Haupthandlung, ſollte ſie ſelbſt auch auf eine nachfolgende reflectiren.

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Zitationshilfe: Buri, Maximilian von: Ueber Causalität und deren Verantwortung. Leipzig, 1873, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/buri_causalitaet_1873/108>, abgerufen am 24.11.2024.