ob Neid oder Eifersucht; ebenso vergeblich ist es, moralische Eigenschaften, Eitelkeit, Klugheit, in Töne umzusetzen oder gar abstrakte Begriffe, wie Wahrheit und Gerechtigkeit, durch sie aussprechen zu wollen. Könnte man denken, wie ein armer, doch zufriedener Mensch in Musik wiederzugeben wäre? Die Zufriedenheit, der seelische Teil, kann zu Musik werden; wo bleibt aber die Armut, das ethische Problem, das hier wichtig war: zwar arm, jedoch zufrieden. Das kommt daher, daß "arm" eine Form irdischer und gesellschaft- licher Zustände ist, die in der ewigen Harmonie nicht zu finden ist. Musik ist aber ein Teil des schwingenden Weltalls.
Der größte Teil neuerer Theatermusik leidet an dem Fehler, daß sie die Vorgänge, die sich auf der Bühne ab- spielen, wiederholen will, anstatt ihrer eigentlichen Aufgabe nachzugehen, den Seelenzustand der handelnden Personen während jener Vorgänge zu tragen. Wenn die Bühne die Illusion eines Gewitters vortäuscht,[ ]so ist dieses Ereignis durch das Auge erschöpfend wahrgenommen. Fast alle Komponisten bemühen sich jedoch, das Gewitter in Tönen zu beschreiben, welches nicht nur eine unnötige und schwächere Wiederholung, sondern auch ein Versäumnis ihrer Auf- gabe ist. Die Person auf der Bühne wird entweder von dem Gewitter seelisch beeinflußt, oder ihr Gemüt verweilt in- folge von Gedanken, die es stärker in Anspruch nehmen, un- beirrt. Das Gewitter ist sichtbar und hörbar ohne Hilfe der Musik; was aber in der Seele des Menschen währenddessen vorgeht, das Unsichtbare und Unhörbare, das soll die Musik verständlich machen.
ob Neid oder Eifersucht; ebenso vergeblich ist es, moralische Eigenschaften, Eitelkeit, Klugheit, in Töne umzusetzen oder gar abstrakte Begriffe, wie Wahrheit und Gerechtigkeit, durch sie aussprechen zu wollen. Könnte man denken, wie ein armer, doch zufriedener Mensch in Musik wiederzugeben wäre? Die Zufriedenheit, der seelische Teil, kann zu Musik werden; wo bleibt aber die Armut, das ethische Problem, das hier wichtig war: zwar arm, jedoch zufrieden. Das kommt daher, daß „arm“ eine Form irdischer und gesellschaft- licher Zustände ist, die in der ewigen Harmonie nicht zu finden ist. Musik ist aber ein Teil des schwingenden Weltalls.
Der größte Teil neuerer Theatermusik leidet an dem Fehler, daß sie die Vorgänge, die sich auf der Bühne ab- spielen, wiederholen will, anstatt ihrer eigentlichen Aufgabe nachzugehen, den Seelenzustand der handelnden Personen während jener Vorgänge zu tragen. Wenn die Bühne die Illusion eines Gewitters vortäuscht,[ ]so ist dieses Ereignis durch das Auge erschöpfend wahrgenommen. Fast alle Komponisten bemühen sich jedoch, das Gewitter in Tönen zu beschreiben, welches nicht nur eine unnötige und schwächere Wiederholung, sondern auch ein Versäumnis ihrer Auf- gabe ist. Die Person auf der Bühne wird entweder von dem Gewitter seelisch beeinflußt, oder ihr Gemüt verweilt in- folge von Gedanken, die es stärker in Anspruch nehmen, un- beirrt. Das Gewitter ist sichtbar und hörbar ohne Hilfe der Musik; was aber in der Seele des Menschen währenddessen vorgeht, das Unsichtbare und Unhörbare, das soll die Musik verständlich machen.
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[16/0016]
ob Neid oder Eifersucht; ebenso vergeblich ist es, moralische
Eigenschaften, Eitelkeit, Klugheit, in Töne umzusetzen oder
gar abstrakte Begriffe, wie Wahrheit und Gerechtigkeit,
durch sie aussprechen zu wollen. Könnte man denken, wie
ein armer, doch zufriedener Mensch in Musik wiederzugeben
wäre? Die Zufriedenheit, der seelische Teil, kann zu Musik
werden; wo bleibt aber die Armut, das ethische Problem,
das hier wichtig war: zwar arm, jedoch zufrieden. Das
kommt daher, daß „arm“ eine Form irdischer und gesellschaft-
licher Zustände ist, die in der ewigen Harmonie nicht zu
finden ist. Musik ist aber ein Teil des schwingenden Weltalls.
Der größte Teil neuerer Theatermusik leidet an dem
Fehler, daß sie die Vorgänge, die sich auf der Bühne ab-
spielen, wiederholen will, anstatt ihrer eigentlichen Aufgabe
nachzugehen, den Seelenzustand der handelnden Personen
während jener Vorgänge zu tragen. Wenn die
Bühne die Illusion eines Gewitters vortäuscht, so ist dieses Ereignis
durch das Auge erschöpfend wahrgenommen. Fast alle
Komponisten bemühen sich jedoch, das Gewitter in Tönen
zu beschreiben, welches nicht nur eine unnötige und schwächere
Wiederholung, sondern auch ein Versäumnis ihrer Auf-
gabe ist. Die Person auf der Bühne wird entweder von
dem Gewitter seelisch beeinflußt, oder ihr Gemüt verweilt in-
folge von Gedanken, die es stärker in Anspruch nehmen, un-
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Christian Schaper, Maximilian Furthmüller, Theresa Menard, Vanda Hehr, Clemens Gubsch, Claudio Fuchs, Jupp Wegner, David Mews, Ullrich Scheideler: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2019-05-27T13:49:52Z)
Benjamin Fiechter: Konvertierung ins DTA-Basisformat
(2019-05-27T13:49:52Z)
Weitere Informationen:
Textgrundlage von 1906 von Busoni hauptsächlich 1914 überarbeitet. Gedruckt 1916 in Altenburg; erschienen im Insel-Verlag zu Leipzig als Nr. 202 der Insel-Bücherei.
Druckfehler: dokumentiert;
fremdsprachliches Material: gekennzeichnet;
Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage;
I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert;
langes s (ſ): als s transkribiert;
Normalisierungen: keine;
Seitenumbrüche markiert: ja;
Silbentrennung: wie Vorlage;
Vollständigkeit: vollständig erfasst;
Zeichensetzung: wie Vorlage;
Zeilenumbrüche markiert: ja;
Busoni, Ferruccio: Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst. 2. Aufl. Leipzig, [1916], S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/busoni_entwurf_1916/16>, abgerufen am 16.07.2024.
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