Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Campe, Joachim Heinrich: Robinson der Jüngere. Bd. 1. Hamburg, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Wie gern wolt' ich kleine Beleidigungen dul-
den, und wie wolte ich durch Güte und Freund-
lichkeit alle Menschen zwingen, mir gut
zu sein! Gott! Gott! Warum wuste ich das
Glük der Freundschaft doch nicht eher zu schä-
zen, bis es für mich verloren -- ach! auf
immer verloren wäre!

Indem er hierauf zufälliger Weise die Au-
gen nach dem Eingange in seine Hütte richte-
te, bemerkte er eine Spinne, die in einer Ekke
ihr Nez ausgespant hatte. Der Gedanke,
mit irgend einem lebendigen Wesen unter ei-
nem Dache zu schlafen, hatte so viel freudi-
ges für ihn, daß es ihm jezt ganz und gar
nicht darauf ankam, was es für ein Thier
sei. Er beschloß, dieser Spinne alle Tage
Fliegen zu fangen, um ihr zu erkennen zu
geben, daß sie an einem sichern und freund-
schaftlichen Orte wohne, und, wo möglich, sie
zahm zu machen.

Da es noch hel am Tage und die durchs
Gewitter abgekühlte Luft so sehr erquikkend
war: so wolte Robinson noch nicht zu Bette

gehen;

Wie gern wolt' ich kleine Beleidigungen dul-
den, und wie wolte ich durch Guͤte und Freund-
lichkeit alle Menſchen zwingen, mir gut
zu ſein! Gott! Gott! Warum wuſte ich das
Gluͤk der Freundſchaft doch nicht eher zu ſchaͤ-
zen, bis es fuͤr mich verloren — ach! auf
immer verloren waͤre!

Indem er hierauf zufaͤlliger Weiſe die Au-
gen nach dem Eingange in ſeine Huͤtte richte-
te, bemerkte er eine Spinne, die in einer Ekke
ihr Nez ausgeſpant hatte. Der Gedanke,
mit irgend einem lebendigen Weſen unter ei-
nem Dache zu ſchlafen, hatte ſo viel freudi-
ges fuͤr ihn, daß es ihm jezt ganz und gar
nicht darauf ankam, was es fuͤr ein Thier
ſei. Er beſchloß, dieſer Spinne alle Tage
Fliegen zu fangen, um ihr zu erkennen zu
geben, daß ſie an einem ſichern und freund-
ſchaftlichen Orte wohne, und, wo moͤglich, ſie
zahm zu machen.

Da es noch hel am Tage und die durchs
Gewitter abgekuͤhlte Luft ſo ſehr erquikkend
war: ſo wolte Robinſon noch nicht zu Bette

gehen;
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0195" n="155"/>
Wie gern wolt' ich kleine Beleidigungen dul-<lb/>
den, und wie wolte ich durch Gu&#x0364;te und Freund-<lb/>
lichkeit alle Men&#x017F;chen zwingen, mir gut<lb/>
zu &#x017F;ein! Gott! Gott! Warum wu&#x017F;te ich das<lb/>
Glu&#x0364;k der Freund&#x017F;chaft doch nicht eher zu &#x017F;cha&#x0364;-<lb/>
zen, bis es fu&#x0364;r mich verloren &#x2014; ach! auf<lb/>
immer verloren wa&#x0364;re!</p><lb/>
          <p>Indem er hierauf zufa&#x0364;lliger Wei&#x017F;e die Au-<lb/>
gen nach dem Eingange in &#x017F;eine Hu&#x0364;tte richte-<lb/>
te, bemerkte er eine Spinne, die in einer Ekke<lb/>
ihr Nez ausge&#x017F;pant hatte. Der Gedanke,<lb/>
mit irgend einem lebendigen We&#x017F;en unter ei-<lb/>
nem Dache zu &#x017F;chlafen, hatte &#x017F;o viel freudi-<lb/>
ges fu&#x0364;r ihn, daß es ihm jezt ganz und gar<lb/>
nicht darauf ankam, was es fu&#x0364;r ein Thier<lb/>
&#x017F;ei. Er be&#x017F;chloß, die&#x017F;er Spinne alle Tage<lb/>
Fliegen zu fangen, um ihr zu erkennen zu<lb/>
geben, daß &#x017F;ie an einem &#x017F;ichern und freund-<lb/>
&#x017F;chaftlichen Orte wohne, und, wo mo&#x0364;glich, &#x017F;ie<lb/>
zahm zu machen.</p><lb/>
          <p>Da es noch hel am Tage und die durchs<lb/>
Gewitter abgeku&#x0364;hlte Luft &#x017F;o &#x017F;ehr erquikkend<lb/>
war: &#x017F;o wolte <hi rendition="#fr">Robin&#x017F;on</hi> noch nicht zu Bette<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gehen;</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0195] Wie gern wolt' ich kleine Beleidigungen dul- den, und wie wolte ich durch Guͤte und Freund- lichkeit alle Menſchen zwingen, mir gut zu ſein! Gott! Gott! Warum wuſte ich das Gluͤk der Freundſchaft doch nicht eher zu ſchaͤ- zen, bis es fuͤr mich verloren — ach! auf immer verloren waͤre! Indem er hierauf zufaͤlliger Weiſe die Au- gen nach dem Eingange in ſeine Huͤtte richte- te, bemerkte er eine Spinne, die in einer Ekke ihr Nez ausgeſpant hatte. Der Gedanke, mit irgend einem lebendigen Weſen unter ei- nem Dache zu ſchlafen, hatte ſo viel freudi- ges fuͤr ihn, daß es ihm jezt ganz und gar nicht darauf ankam, was es fuͤr ein Thier ſei. Er beſchloß, dieſer Spinne alle Tage Fliegen zu fangen, um ihr zu erkennen zu geben, daß ſie an einem ſichern und freund- ſchaftlichen Orte wohne, und, wo moͤglich, ſie zahm zu machen. Da es noch hel am Tage und die durchs Gewitter abgekuͤhlte Luft ſo ſehr erquikkend war: ſo wolte Robinſon noch nicht zu Bette gehen;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_robinson01_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_robinson01_1779/195
Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Robinson der Jüngere. Bd. 1. Hamburg, 1779, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_robinson01_1779/195>, abgerufen am 24.11.2024.