Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

ihrer ganzen erheiternden Kraft auf meine Nerven
fließe: denn, was ich nun dir noch zu sagen habe,
betrift die Menschen, mit denen du künftig leben
wirst; und ach, mein Sohn! es ist so schwer, von
ihnen zu reden, ohne bitter zu werden! Der Man
von gutem Herzen, der sie kent, solte nie anders,
als in freier Luft, bei ofnen Fenstern wenigstens,
sie zu schildern wagen.

Kleon öfnete die Fenster, und Theophron
fuhr mit heiterer Miene fort:

Von Natur, mein Sohn, sind die Men-
schen fürwahr! ein gutartiges Geschlecht
.
Wären sie das nicht, und hätten diejenigen, welche
uns die Menschheit, so wie sie noch jezt aus den
Händen ihres Schöpfers komt, mit so traurigen
und gehässigen Farben schildern, recht gesehn: wie
wär' es doch möglich, daß bei so vielen geselschaft-
lichen Einrichtungen, welche gradezu darauf ab-
zielen, uns zu verschlimmern, von guten Menschen
noch gehört würde, halbgute Menschen wirklich so
häufig noch zu finden wären? Dis allein, daß
die Menschen noch nicht alle Teufel sind, welche
leiden und Leiden machen, da in kultivierten Staa-

ten

ihrer ganzen erheiternden Kraft auf meine Nerven
fließe: denn, was ich nun dir noch zu ſagen habe,
betrift die Menſchen, mit denen du kuͤnftig leben
wirſt; und ach, mein Sohn! es iſt ſo ſchwer, von
ihnen zu reden, ohne bitter zu werden! Der Man
von gutem Herzen, der ſie kent, ſolte nie anders,
als in freier Luft, bei ofnen Fenſtern wenigſtens,
ſie zu ſchildern wagen.

Kleon oͤfnete die Fenſter, und Theophron
fuhr mit heiterer Miene fort:

Von Natur, mein Sohn, ſind die Men-
ſchen fuͤrwahr! ein gutartiges Geſchlecht
.
Waͤren ſie das nicht, und haͤtten diejenigen, welche
uns die Menſchheit, ſo wie ſie noch jezt aus den
Haͤnden ihres Schoͤpfers komt, mit ſo traurigen
und gehaͤſſigen Farben ſchildern, recht geſehn: wie
waͤr’ es doch moͤglich, daß bei ſo vielen geſelſchaft-
lichen Einrichtungen, welche gradezu darauf ab-
zielen, uns zu verſchlimmern, von guten Menſchen
noch gehoͤrt wuͤrde, halbgute Menſchen wirklich ſo
haͤufig noch zu finden waͤren? Dis allein, daß
die Menſchen noch nicht alle Teufel ſind, welche
leiden und Leiden machen, da in kultivierten Staa-

ten
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0123" n="93"/>
ihrer ganzen erheiternden Kraft auf meine Nerven<lb/>
fließe: denn, was ich nun dir noch zu &#x017F;agen habe,<lb/>
betrift die <hi rendition="#fr">Men&#x017F;chen</hi>, mit denen du ku&#x0364;nftig leben<lb/>
wir&#x017F;t; und ach, mein Sohn! es i&#x017F;t &#x017F;o &#x017F;chwer, von<lb/>
ihnen zu reden, ohne bitter zu werden! Der Man<lb/>
von gutem Herzen, der &#x017F;ie kent, &#x017F;olte nie anders,<lb/>
als in freier Luft, bei ofnen Fen&#x017F;tern wenig&#x017F;tens,<lb/>
&#x017F;ie zu &#x017F;childern wagen.</p><lb/>
        <p>Kleon o&#x0364;fnete die Fen&#x017F;ter, und Theophron<lb/>
fuhr mit heiterer Miene fort:</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Von Natur</hi>, mein Sohn, <hi rendition="#fr">&#x017F;ind die Men-<lb/>
&#x017F;chen fu&#x0364;rwahr! ein gutartiges Ge&#x017F;chlecht</hi>.<lb/>
Wa&#x0364;ren &#x017F;ie das nicht, und ha&#x0364;tten diejenigen, welche<lb/>
uns die Men&#x017F;chheit, &#x017F;o wie &#x017F;ie noch jezt aus den<lb/>
Ha&#x0364;nden ihres Scho&#x0364;pfers komt, mit &#x017F;o traurigen<lb/>
und geha&#x0364;&#x017F;&#x017F;igen Farben &#x017F;childern, recht ge&#x017F;ehn: wie<lb/>
wa&#x0364;r&#x2019; es doch mo&#x0364;glich, daß bei &#x017F;o vielen ge&#x017F;el&#x017F;chaft-<lb/>
lichen Einrichtungen, welche gradezu darauf ab-<lb/>
zielen, uns zu ver&#x017F;chlimmern, von guten Men&#x017F;chen<lb/>
noch geho&#x0364;rt wu&#x0364;rde, halbgute Men&#x017F;chen wirklich &#x017F;o<lb/><choice><sic>ha&#x0364;nfig</sic><corr>ha&#x0364;ufig</corr></choice> noch zu finden wa&#x0364;ren? Dis allein, daß<lb/>
die Men&#x017F;chen noch nicht alle Teufel &#x017F;ind, welche<lb/>
leiden und Leiden machen, da in kultivierten Staa-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ten</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0123] ihrer ganzen erheiternden Kraft auf meine Nerven fließe: denn, was ich nun dir noch zu ſagen habe, betrift die Menſchen, mit denen du kuͤnftig leben wirſt; und ach, mein Sohn! es iſt ſo ſchwer, von ihnen zu reden, ohne bitter zu werden! Der Man von gutem Herzen, der ſie kent, ſolte nie anders, als in freier Luft, bei ofnen Fenſtern wenigſtens, ſie zu ſchildern wagen. Kleon oͤfnete die Fenſter, und Theophron fuhr mit heiterer Miene fort: Von Natur, mein Sohn, ſind die Men- ſchen fuͤrwahr! ein gutartiges Geſchlecht. Waͤren ſie das nicht, und haͤtten diejenigen, welche uns die Menſchheit, ſo wie ſie noch jezt aus den Haͤnden ihres Schoͤpfers komt, mit ſo traurigen und gehaͤſſigen Farben ſchildern, recht geſehn: wie waͤr’ es doch moͤglich, daß bei ſo vielen geſelſchaft- lichen Einrichtungen, welche gradezu darauf ab- zielen, uns zu verſchlimmern, von guten Menſchen noch gehoͤrt wuͤrde, halbgute Menſchen wirklich ſo haͤufig noch zu finden waͤren? Dis allein, daß die Menſchen noch nicht alle Teufel ſind, welche leiden und Leiden machen, da in kultivierten Staa- ten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/123
Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/123>, abgerufen am 17.05.2024.