Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

dern Falle von uns denken und sprechen würden?
Auch die Worte und Handlungen anderer Men-
schen werden auf eben diese falsche Wage gelegt,
und nicht nach ihrem innern Gehalte, sondern
lediglich nach ihrem äusserlichen Scheine, und nach
dem, was man davon sagen wird, gewürdiget.
Klug und weise ist -- nicht wer einen aufgeklär-
ten Verstand und ein wohlwollendes Herz besizt --
sondern wer seine Geselschaft am besten zu unter-
halten und seine Worte und Handlungen jedesmahl
so zu stellen weiß, daß sie den herschenden Mei-
nungen und Vorurtheilen entsprechen. Brav und
bieder heißt -- nicht wer bei allem, was er thut,
die Grundsäze einer strengen Rechtschaffenheit vor
Augen hat -- sondern wer den Leuten Sand in
die Augen zu streuen, seine selbstsüchtigen Absich-
ten am geschiktesten zu bemänteln, durch glatte
Worte und Schmeicheleien sich jederman zu ver-
binden, und auf Gelegenheiten zu lauern weiß,
mit solchen Handlungen Parade zu machen, welche
für edel gehalten werden, ohngeachtet sie oft
nicht einmahl gut, oder pflichtmäßig sind.


Das
H

dern Falle von uns denken und ſprechen wuͤrden?
Auch die Worte und Handlungen anderer Men-
ſchen werden auf eben dieſe falſche Wage gelegt,
und nicht nach ihrem innern Gehalte, ſondern
lediglich nach ihrem aͤuſſerlichen Scheine, und nach
dem, was man davon ſagen wird, gewuͤrdiget.
Klug und weiſe iſt — nicht wer einen aufgeklaͤr-
ten Verſtand und ein wohlwollendes Herz beſizt —
ſondern wer ſeine Geſelſchaft am beſten zu unter-
halten und ſeine Worte und Handlungen jedesmahl
ſo zu ſtellen weiß, daß ſie den herſchenden Mei-
nungen und Vorurtheilen entſprechen. Brav und
bieder heißt — nicht wer bei allem, was er thut,
die Grundſaͤze einer ſtrengen Rechtſchaffenheit vor
Augen hat — ſondern wer den Leuten Sand in
die Augen zu ſtreuen, ſeine ſelbſtſuͤchtigen Abſich-
ten am geſchikteſten zu bemaͤnteln, durch glatte
Worte und Schmeicheleien ſich jederman zu ver-
binden, und auf Gelegenheiten zu lauern weiß,
mit ſolchen Handlungen Parade zu machen, welche
fuͤr edel gehalten werden, ohngeachtet ſie oft
nicht einmahl gut, oder pflichtmaͤßig ſind.


Das
H
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0143" n="113"/>
dern Falle von uns denken und &#x017F;prechen wu&#x0364;rden?<lb/>
Auch die Worte und Handlungen anderer Men-<lb/>
&#x017F;chen werden auf eben die&#x017F;e fal&#x017F;che Wage gelegt,<lb/>
und nicht nach ihrem innern Gehalte, &#x017F;ondern<lb/>
lediglich nach ihrem a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;erlichen Scheine, und nach<lb/>
dem, was man davon &#x017F;agen wird, gewu&#x0364;rdiget.<lb/>
Klug und wei&#x017F;e i&#x017F;t &#x2014; nicht wer einen aufgekla&#x0364;r-<lb/>
ten Ver&#x017F;tand und ein wohlwollendes Herz be&#x017F;izt &#x2014;<lb/>
&#x017F;ondern wer &#x017F;eine Ge&#x017F;el&#x017F;chaft am be&#x017F;ten zu unter-<lb/>
halten und &#x017F;eine Worte und Handlungen jedesmahl<lb/>
&#x017F;o zu &#x017F;tellen weiß, daß &#x017F;ie den her&#x017F;chenden Mei-<lb/>
nungen und Vorurtheilen ent&#x017F;prechen. Brav und<lb/>
bieder heißt &#x2014; nicht wer bei allem, was er thut,<lb/>
die Grund&#x017F;a&#x0364;ze einer &#x017F;trengen Recht&#x017F;chaffenheit vor<lb/>
Augen hat &#x2014; &#x017F;ondern wer den Leuten Sand in<lb/>
die Augen zu &#x017F;treuen, &#x017F;eine &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;u&#x0364;chtigen Ab&#x017F;ich-<lb/>
ten am ge&#x017F;chikte&#x017F;ten zu bema&#x0364;nteln, durch glatte<lb/>
Worte und Schmeicheleien &#x017F;ich jederman zu ver-<lb/>
binden, und auf Gelegenheiten zu lauern weiß,<lb/>
mit &#x017F;olchen Handlungen Parade zu machen, welche<lb/>
fu&#x0364;r edel gehalten werden, ohngeachtet &#x017F;ie oft<lb/>
nicht einmahl gut, oder pflichtma&#x0364;ßig &#x017F;ind.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">H</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">Das</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0143] dern Falle von uns denken und ſprechen wuͤrden? Auch die Worte und Handlungen anderer Men- ſchen werden auf eben dieſe falſche Wage gelegt, und nicht nach ihrem innern Gehalte, ſondern lediglich nach ihrem aͤuſſerlichen Scheine, und nach dem, was man davon ſagen wird, gewuͤrdiget. Klug und weiſe iſt — nicht wer einen aufgeklaͤr- ten Verſtand und ein wohlwollendes Herz beſizt — ſondern wer ſeine Geſelſchaft am beſten zu unter- halten und ſeine Worte und Handlungen jedesmahl ſo zu ſtellen weiß, daß ſie den herſchenden Mei- nungen und Vorurtheilen entſprechen. Brav und bieder heißt — nicht wer bei allem, was er thut, die Grundſaͤze einer ſtrengen Rechtſchaffenheit vor Augen hat — ſondern wer den Leuten Sand in die Augen zu ſtreuen, ſeine ſelbſtſuͤchtigen Abſich- ten am geſchikteſten zu bemaͤnteln, durch glatte Worte und Schmeicheleien ſich jederman zu ver- binden, und auf Gelegenheiten zu lauern weiß, mit ſolchen Handlungen Parade zu machen, welche fuͤr edel gehalten werden, ohngeachtet ſie oft nicht einmahl gut, oder pflichtmaͤßig ſind. Das H

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/143
Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/143>, abgerufen am 17.05.2024.