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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

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gründete Beschuldigung! Mögtest du sie doch
nie bestätiget finden! Mir ging es nun einmahl
nicht anders; so oft ich in irgend einer Sache
aus reiner Gewissenhaftigkeit und ohne Rüksicht
auf meinen eigenen Vortheil oder auf das Urtheil
der Menschen, handelte, mußte ich jedesmahl
erfahren, daß mein Betragen mit Bitterkeit ge-
tadelt ward, daß man meine Bewegungsgründe
verkante, oder, wenn ich sie selbst darlegte, sie
nicht glaubte, sie für eine Maske hielt, und mir
andere unterschob, welche mir nie in die Sele
gekommen waren. Ich erinnere mich hierbei
eines wahren und großen Worts, welches ein
guter Fürst, der die nemliche Erfahrung gemacht
hatte, mir einmahl über diesen Unglauben der
Menschen sagte: "heutiges Tages ist in gewissen
Fällen die beste Politik, gar keine Politik zu
brauchen, sondern mit der Wahrheit ehrlich her-
auszugehn. Denn da kein Mensch an Wahr-
haftigkeit und Rechtschaffenheit mehr glaubt, so
werden wir unsere jedesmaligen guten Absichten,
grade durch eine offenherzige Bekantmachung der-
selben, mehr verbergen, als wir es durch die feinsten

Künste
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gruͤndete Beſchuldigung! Moͤgteſt du ſie doch
nie beſtaͤtiget finden! Mir ging es nun einmahl
nicht anders; ſo oft ich in irgend einer Sache
aus reiner Gewiſſenhaftigkeit und ohne Ruͤkſicht
auf meinen eigenen Vortheil oder auf das Urtheil
der Menſchen, handelte, mußte ich jedesmahl
erfahren, daß mein Betragen mit Bitterkeit ge-
tadelt ward, daß man meine Bewegungsgruͤnde
verkante, oder, wenn ich ſie ſelbſt darlegte, ſie
nicht glaubte, ſie fuͤr eine Maske hielt, und mir
andere unterſchob, welche mir nie in die Sele
gekommen waren. Ich erinnere mich hierbei
eines wahren und großen Worts, welches ein
guter Fuͤrſt, der die nemliche Erfahrung gemacht
hatte, mir einmahl uͤber dieſen Unglauben der
Menſchen ſagte: “heutiges Tages iſt in gewiſſen
Faͤllen die beſte Politik, gar keine Politik zu
brauchen, ſondern mit der Wahrheit ehrlich her-
auszugehn. Denn da kein Menſch an Wahr-
haftigkeit und Rechtſchaffenheit mehr glaubt, ſo
werden wir unſere jedesmaligen guten Abſichten,
grade durch eine offenherzige Bekantmachung der-
ſelben, mehr verbergen, als wir es durch die feinſten

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[115/0145] gruͤndete Beſchuldigung! Moͤgteſt du ſie doch nie beſtaͤtiget finden! Mir ging es nun einmahl nicht anders; ſo oft ich in irgend einer Sache aus reiner Gewiſſenhaftigkeit und ohne Ruͤkſicht auf meinen eigenen Vortheil oder auf das Urtheil der Menſchen, handelte, mußte ich jedesmahl erfahren, daß mein Betragen mit Bitterkeit ge- tadelt ward, daß man meine Bewegungsgruͤnde verkante, oder, wenn ich ſie ſelbſt darlegte, ſie nicht glaubte, ſie fuͤr eine Maske hielt, und mir andere unterſchob, welche mir nie in die Sele gekommen waren. Ich erinnere mich hierbei eines wahren und großen Worts, welches ein guter Fuͤrſt, der die nemliche Erfahrung gemacht hatte, mir einmahl uͤber dieſen Unglauben der Menſchen ſagte: “heutiges Tages iſt in gewiſſen Faͤllen die beſte Politik, gar keine Politik zu brauchen, ſondern mit der Wahrheit ehrlich her- auszugehn. Denn da kein Menſch an Wahr- haftigkeit und Rechtſchaffenheit mehr glaubt, ſo werden wir unſere jedesmaligen guten Abſichten, grade durch eine offenherzige Bekantmachung der- ſelben, mehr verbergen, als wir es durch die feinſten Kuͤnſte H 2

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/145>, abgerufen am 23.11.2024.