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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

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ihnen etwa noch zu Gebote steht, auf einmahl
ganz zernichten; und wozu sol ihnen dan das
Tageslicht, wan sie keine Augen mehr, es aufzu-
nehmen, haben?

Also von dieser Art von Verstellung, welche
in einer weisen Zurükbehaltung gewisser Wahr-
heiten, oder in einer sparsamen Ausspendung der-
selben besteht, kan hier nicht die Rede sein.

Auch nicht von einer zweiten Art von Un-
wahrheit, welche eben so unschädlich ist, und deren
keiner, der nicht allen Zusammenhang mit der
menschlichen Geselschaft abbrechen, und mit Dio-
genes in eine Tonne kriechen wil, sich erwehren
kan. Es gibt nemlich unzählbare Arten zu reden,
unzählbare Höflichkeitsbezeugungen und Ge-
bräuche, bei denen keiner, der nicht seit gestern
aus dem Monde herabgefallen ist, sich jemahls
einfallen läßt, dasjenige zu denken, was die
Worte eigentlich besagen, oder was die äusser-
lichen Zeichen, deren man sich dabei bedient, ihrer
Natur nach anzudeuten scheinen; sondern welche
bloße, durch algemeines Einverständniß festge-
sezte Zeichen sind, wodurch einer dem andern zu

erkennen
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ihnen etwa noch zu Gebote ſteht, auf einmahl
ganz zernichten; und wozu ſol ihnen dan das
Tageslicht, wan ſie keine Augen mehr, es aufzu-
nehmen, haben?

Alſo von dieſer Art von Verſtellung, welche
in einer weiſen Zuruͤkbehaltung gewiſſer Wahr-
heiten, oder in einer ſparſamen Ausſpendung der-
ſelben beſteht, kan hier nicht die Rede ſein.

Auch nicht von einer zweiten Art von Un-
wahrheit, welche eben ſo unſchaͤdlich iſt, und deren
keiner, der nicht allen Zuſammenhang mit der
menſchlichen Geſelſchaft abbrechen, und mit Dio-
genes in eine Tonne kriechen wil, ſich erwehren
kan. Es gibt nemlich unzaͤhlbare Arten zu reden,
unzaͤhlbare Hoͤflichkeitsbezeugungen und Ge-
braͤuche, bei denen keiner, der nicht ſeit geſtern
aus dem Monde herabgefallen iſt, ſich jemahls
einfallen laͤßt, dasjenige zu denken, was die
Worte eigentlich beſagen, oder was die aͤuſſer-
lichen Zeichen, deren man ſich dabei bedient, ihrer
Natur nach anzudeuten ſcheinen; ſondern welche
bloße, durch algemeines Einverſtaͤndniß feſtge-
ſezte Zeichen ſind, wodurch einer dem andern zu

erkennen
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[119/0149] ihnen etwa noch zu Gebote ſteht, auf einmahl ganz zernichten; und wozu ſol ihnen dan das Tageslicht, wan ſie keine Augen mehr, es aufzu- nehmen, haben? Alſo von dieſer Art von Verſtellung, welche in einer weiſen Zuruͤkbehaltung gewiſſer Wahr- heiten, oder in einer ſparſamen Ausſpendung der- ſelben beſteht, kan hier nicht die Rede ſein. Auch nicht von einer zweiten Art von Un- wahrheit, welche eben ſo unſchaͤdlich iſt, und deren keiner, der nicht allen Zuſammenhang mit der menſchlichen Geſelſchaft abbrechen, und mit Dio- genes in eine Tonne kriechen wil, ſich erwehren kan. Es gibt nemlich unzaͤhlbare Arten zu reden, unzaͤhlbare Hoͤflichkeitsbezeugungen und Ge- braͤuche, bei denen keiner, der nicht ſeit geſtern aus dem Monde herabgefallen iſt, ſich jemahls einfallen laͤßt, dasjenige zu denken, was die Worte eigentlich beſagen, oder was die aͤuſſer- lichen Zeichen, deren man ſich dabei bedient, ihrer Natur nach anzudeuten ſcheinen; ſondern welche bloße, durch algemeines Einverſtaͤndniß feſtge- ſezte Zeichen ſind, wodurch einer dem andern zu erkennen H 4

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/149>, abgerufen am 23.11.2024.