gebliche Freundschaften sah ich, während meines Lebens, an diesem Probierstein zerschellen! Und die als Ruinen nicht mehr zu verkennende Bestand- theile derselben? -- Waren Eigennuz!
Aber wozu, mein Kleon, ermahne ich dich zu einer so ämsigen Erforschung der wahren Ge- sinnungen, Leidenschaften und Schwachheiten deiner Nebenmenschen? Etwa um Betrug durch Betrug, List durch List zu besiegen? Oder damit du deiner eigenen größern Rechtschaffenheit dich erheben, und auf deine schwächern Mitmen- schen mit stolzer Verachtung herabsehen mögest? Das wolle Gott nicht! Und wozu denn also? Dazu, daß du von keinem mehr erwartest, als er wahrscheinlicher Weise leisten wird; dazu, daß du vom Scheine dich nicht blenden lassest, den Wolf nicht für ein Lam, den Geier nicht für eine Taube haltest; dazu also, daß du vorsichtig wan- deln mögest unter den Menschen, und deine Wohlfahrt nicht in Hände legest, die sich ein Ver- gnügen daraus machen könten, sie zu zerknikken.
Damit
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gebliche Freundſchaften ſah ich, waͤhrend meines Lebens, an dieſem Probierſtein zerſchellen! Und die als Ruinen nicht mehr zu verkennende Beſtand- theile derſelben? — Waren Eigennuz!
Aber wozu, mein Kleon, ermahne ich dich zu einer ſo aͤmſigen Erforſchung der wahren Ge- ſinnungen, Leidenſchaften und Schwachheiten deiner Nebenmenſchen? Etwa um Betrug durch Betrug, Liſt durch Liſt zu beſiegen? Oder damit du deiner eigenen groͤßern Rechtſchaffenheit dich erheben, und auf deine ſchwaͤchern Mitmen- ſchen mit ſtolzer Verachtung herabſehen moͤgeſt? Das wolle Gott nicht! Und wozu denn alſo? Dazu, daß du von keinem mehr erwarteſt, als er wahrſcheinlicher Weiſe leiſten wird; dazu, daß du vom Scheine dich nicht blenden laſſeſt, den Wolf nicht fuͤr ein Lam, den Geier nicht fuͤr eine Taube halteſt; dazu alſo, daß du vorſichtig wan- deln moͤgeſt unter den Menſchen, und deine Wohlfahrt nicht in Haͤnde legeſt, die ſich ein Ver- gnuͤgen daraus machen koͤnten, ſie zu zerknikken.
Damit
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gebliche Freundſchaften ſah ich, waͤhrend meines
Lebens, an dieſem Probierſtein zerſchellen! Und
die als Ruinen nicht mehr zu verkennende Beſtand-
theile derſelben? — Waren Eigennuz!
Aber wozu, mein Kleon, ermahne ich dich
zu einer ſo aͤmſigen Erforſchung der wahren Ge-
ſinnungen, Leidenſchaften und Schwachheiten
deiner Nebenmenſchen? Etwa um Betrug durch
Betrug, Liſt durch Liſt zu beſiegen? Oder damit
du deiner eigenen groͤßern Rechtſchaffenheit dich
erheben, und auf deine ſchwaͤchern Mitmen-
ſchen mit ſtolzer Verachtung herabſehen moͤgeſt?
Das wolle Gott nicht! Und wozu denn alſo?
Dazu, daß du von keinem mehr erwarteſt, als
er wahrſcheinlicher Weiſe leiſten wird; dazu, daß
du vom Scheine dich nicht blenden laſſeſt, den
Wolf nicht fuͤr ein Lam, den Geier nicht fuͤr eine
Taube halteſt; dazu alſo, daß du vorſichtig wan-
deln moͤgeſt unter den Menſchen, und deine
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/183>, abgerufen am 17.05.2024.
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