von, wie ein Mensch sich selbst so sehr herabwür- digen könne, vor irgend einem andern Menschen -- und wär' er auch ein König! -- als Schmeichler zu kriechen. Sie verabscheuet und verwünscht die niederträchtige Gefälligkeit oder Falschheit, das Schwarze weiß, das Krumme grade zu nennen, und Irthum, Thorheit und Laster als Wahrheit, Weisheit und Tugend zu bewundern! Das wolle also Gott nicht, daß ich zu einer so schändlichen Verstellung dich ermuntern solte.
Aber was wil denn eigentlich, wirst du fra- gen, jener Grundsaz, der dem ersten Laute nach der Schmeichelei das Wort zu reden schien? Dieses, mein Sohn, daß du die Menschen neh- mest, wie sie sind, weil es doch nun einmahl nicht von dir abhängt, aus ihnen zu machen, was sie sein solten; dieses also, daß du deine eigene Eitel- keit der Eitelkeit anderer zu deinem großen Vor- theile aufopfern lernest; daß du dich nie bemühest, deine eigene Vorzüge ins Licht zu stellen, sondern vielmehr gern das Deinige dazu beitragest, daß andere die ihrigen auf die vortheilhafteste Weise an den Tag zu bringen Gelegenheit erhalten; daß
du
von, wie ein Menſch ſich ſelbſt ſo ſehr herabwuͤr- digen koͤnne, vor irgend einem andern Menſchen — und waͤr’ er auch ein Koͤnig! — als Schmeichler zu kriechen. Sie verabſcheuet und verwuͤnſcht die niedertraͤchtige Gefaͤlligkeit oder Falſchheit, das Schwarze weiß, das Krumme grade zu nennen, und Irthum, Thorheit und Laſter als Wahrheit, Weisheit und Tugend zu bewundern! Das wolle alſo Gott nicht, daß ich zu einer ſo ſchaͤndlichen Verſtellung dich ermuntern ſolte.
Aber was wil denn eigentlich, wirſt du fra- gen, jener Grundſaz, der dem erſten Laute nach der Schmeichelei das Wort zu reden ſchien? Dieſes, mein Sohn, daß du die Menſchen neh- meſt, wie ſie ſind, weil es doch nun einmahl nicht von dir abhaͤngt, aus ihnen zu machen, was ſie ſein ſolten; dieſes alſo, daß du deine eigene Eitel- keit der Eitelkeit anderer zu deinem großen Vor- theile aufopfern lerneſt; daß du dich nie bemuͤheſt, deine eigene Vorzuͤge ins Licht zu ſtellen, ſondern vielmehr gern das Deinige dazu beitrageſt, daß andere die ihrigen auf die vortheilhafteſte Weiſe an den Tag zu bringen Gelegenheit erhalten; daß
du
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von, wie ein Menſch ſich ſelbſt ſo ſehr herabwuͤr-
digen koͤnne, vor irgend einem andern Menſchen —
und waͤr’ er auch ein Koͤnig! — als Schmeichler
zu kriechen. Sie verabſcheuet und verwuͤnſcht die
niedertraͤchtige Gefaͤlligkeit oder Falſchheit, das
Schwarze weiß, das Krumme grade zu nennen,
und Irthum, Thorheit und Laſter als Wahrheit,
Weisheit und Tugend zu bewundern! Das wolle
alſo Gott nicht, daß ich zu einer ſo ſchaͤndlichen
Verſtellung dich ermuntern ſolte.
Aber was wil denn eigentlich, wirſt du fra-
gen, jener Grundſaz, der dem erſten Laute nach
der Schmeichelei das Wort zu reden ſchien?
Dieſes, mein Sohn, daß du die Menſchen neh-
meſt, wie ſie ſind, weil es doch nun einmahl nicht
von dir abhaͤngt, aus ihnen zu machen, was ſie
ſein ſolten; dieſes alſo, daß du deine eigene Eitel-
keit der Eitelkeit anderer zu deinem großen Vor-
theile aufopfern lerneſt; daß du dich nie bemuͤheſt,
deine eigene Vorzuͤge ins Licht zu ſtellen, ſondern
vielmehr gern das Deinige dazu beitrageſt, daß
andere die ihrigen auf die vortheilhafteſte Weiſe
an den Tag zu bringen Gelegenheit erhalten; daß
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/201>, abgerufen am 23.11.2024.
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