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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

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eigenen Verstande und von deinen eigenen Kentnis-
sen, die du ihm nicht ausgelegt hast, mit Bewunde-
rung reden. Du wirst abermahls "ein würdiger,
ein allerliebster Man!" heissen; aber du wirst
dich dan auch schon von selbst zu bescheiden wissen,
daß der dismalige Sin dieses Ausrufs kein an-
derer sei, als der: "er ist ein Mensch, der mir
Gelegenheit gegeben hat, zu zeigen, daß ich selbst
ein würdiger Man sei!"



Ueberhaupt, mein Sohn, kanst du auf die
Eitelkeit der Menschen schwerlich zu viel rechnen,
und du darfst daher die Regel: daß man bei
jeder mündlichen und schriftlichen Unter-
haltung es mehr darauf anlegen müsse,
daß der Andere seinen eigenen Werth, als
darauf, daß er den unsrigen fühle
, ohne
Gefahr zu fehlen, für einen der algemeinsten
Grundsäze der Kunst zu gefallen halten. Aber
verkenne mich nicht so sehr, daß du besorgest, ich
wolle, indem ich dir diesen Grundsaz empfehle,
dich in der schändlichen Kunst zu schmeicheln unter-
weisen. Meine Sele hat gar keinen Begrif da-

von,

eigenen Verſtande und von deinen eigenen Kentniſ-
ſen, die du ihm nicht ausgelegt haſt, mit Bewunde-
rung reden. Du wirſt abermahls “ein wuͤrdiger,
ein allerliebſter Man!„ heiſſen; aber du wirſt
dich dan auch ſchon von ſelbſt zu beſcheiden wiſſen,
daß der dismalige Sin dieſes Ausrufs kein an-
derer ſei, als der: “er iſt ein Menſch, der mir
Gelegenheit gegeben hat, zu zeigen, daß ich ſelbſt
ein wuͤrdiger Man ſei!„



Ueberhaupt, mein Sohn, kanſt du auf die
Eitelkeit der Menſchen ſchwerlich zu viel rechnen,
und du darfſt daher die Regel: daß man bei
jeder muͤndlichen und ſchriftlichen Unter-
haltung es mehr darauf anlegen muͤſſe,
daß der Andere ſeinen eigenen Werth, als
darauf, daß er den unſrigen fuͤhle
, ohne
Gefahr zu fehlen, fuͤr einen der algemeinſten
Grundſaͤze der Kunſt zu gefallen halten. Aber
verkenne mich nicht ſo ſehr, daß du beſorgeſt, ich
wolle, indem ich dir dieſen Grundſaz empfehle,
dich in der ſchaͤndlichen Kunſt zu ſchmeicheln unter-
weiſen. Meine Sele hat gar keinen Begrif da-

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[170/0200] eigenen Verſtande und von deinen eigenen Kentniſ- ſen, die du ihm nicht ausgelegt haſt, mit Bewunde- rung reden. Du wirſt abermahls “ein wuͤrdiger, ein allerliebſter Man!„ heiſſen; aber du wirſt dich dan auch ſchon von ſelbſt zu beſcheiden wiſſen, daß der dismalige Sin dieſes Ausrufs kein an- derer ſei, als der: “er iſt ein Menſch, der mir Gelegenheit gegeben hat, zu zeigen, daß ich ſelbſt ein wuͤrdiger Man ſei!„ Ueberhaupt, mein Sohn, kanſt du auf die Eitelkeit der Menſchen ſchwerlich zu viel rechnen, und du darfſt daher die Regel: daß man bei jeder muͤndlichen und ſchriftlichen Unter- haltung es mehr darauf anlegen muͤſſe, daß der Andere ſeinen eigenen Werth, als darauf, daß er den unſrigen fuͤhle, ohne Gefahr zu fehlen, fuͤr einen der algemeinſten Grundſaͤze der Kunſt zu gefallen halten. Aber verkenne mich nicht ſo ſehr, daß du beſorgeſt, ich wolle, indem ich dir dieſen Grundſaz empfehle, dich in der ſchaͤndlichen Kunſt zu ſchmeicheln unter- weiſen. Meine Sele hat gar keinen Begrif da- von,

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/200>, abgerufen am 17.05.2024.