diejenigen, welche eine besondere Fröm- migkeit affektiren, und in allen ihren Re- den, auch über die nichtswürdigsten Klei- nigkeiten, sich ohn' Unterlaß auf Gott und Kristus, auf Religion und Gewissen- haftigkeit berufen. Merke dir hierüber, was der große Kenner des menschlichen Herzens, Shakespear, sagt: "es ereignet sich nur gar zu oft, daß man mit der andächtigsten Miene, und mit der frömsten Gebehrde, den Teufel im Her- zen hat." Sehr wahr bemerkt, und ganz über- einstimmend mit der gemeinsten Erfahrung! Ein Gefäß, das klingt, ist zuverlässig leer; und ein Mensch, der Gott und Rechtschaffenheit ohn' Unterlaß im Munde führt, hat beide zuverlässig nicht im Herzen. Denn, wem Religion und Gewissenhaftigkeit wirklich eigen sind, tacito gaudet ille sinu, der freut sich seines Schazes im Stillen, unbe- kümmert, ob andere ihn bemerken, oder nicht; so wie gemeiniglich, nicht der wirklich Wohlha- bende, sondern nur derjenige, der für reich ge- halten zu werden wünscht, ohne es zu sein, mit
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diejenigen, welche eine beſondere Froͤm- migkeit affektiren, und in allen ihren Re- den, auch uͤber die nichtswuͤrdigſten Klei- nigkeiten, ſich ohn’ Unterlaß auf Gott und Kriſtus, auf Religion und Gewiſſen- haftigkeit berufen. Merke dir hieruͤber, was der große Kenner des menſchlichen Herzens, Shakeſpear, ſagt: “es ereignet ſich nur gar zu oft, daß man mit der andaͤchtigſten Miene, und mit der froͤmſten Gebehrde, den Teufel im Her- zen hat.„ Sehr wahr bemerkt, und ganz uͤber- einſtimmend mit der gemeinſten Erfahrung! Ein Gefaͤß, das klingt, iſt zuverlaͤſſig leer; und ein Menſch, der Gott und Rechtſchaffenheit ohn’ Unterlaß im Munde fuͤhrt, hat beide zuverlaͤſſig nicht im Herzen. Denn, wem Religion und Gewiſſenhaftigkeit wirklich eigen ſind, tacito gaudet ille ſinu, der freut ſich ſeines Schazes im Stillen, unbe- kuͤmmert, ob andere ihn bemerken, oder nicht; ſo wie gemeiniglich, nicht der wirklich Wohlha- bende, ſondern nur derjenige, der fuͤr reich ge- halten zu werden wuͤnſcht, ohne es zu ſein, mit
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den, auch uͤber die nichtswuͤrdigſten Klei-
nigkeiten, ſich ohn’ Unterlaß auf Gott
und Kriſtus, auf Religion und Gewiſſen-
haftigkeit berufen. Merke dir hieruͤber, was
der große Kenner des menſchlichen Herzens,
Shakeſpear, ſagt: “es ereignet ſich nur gar zu
oft, daß man mit der andaͤchtigſten Miene, und
mit der froͤmſten Gebehrde, den Teufel im Her-
zen hat.„ Sehr wahr bemerkt, und ganz uͤber-
einſtimmend mit der gemeinſten Erfahrung! Ein
Gefaͤß, das klingt, iſt zuverlaͤſſig leer; und ein
Menſch, der Gott und Rechtſchaffenheit ohn’
Unterlaß im Munde fuͤhrt, hat beide zuverlaͤſſig
nicht im Herzen. Denn, wem Religion und
Gewiſſenhaftigkeit wirklich eigen ſind,
tacito gaudet ille ſinu,
der freut ſich ſeines Schazes im Stillen, unbe-
kuͤmmert, ob andere ihn bemerken, oder nicht;
ſo wie gemeiniglich, nicht der wirklich Wohlha-
bende, ſondern nur derjenige, der fuͤr reich ge-
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/236>, abgerufen am 23.11.2024.
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