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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

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liche oder scheinbare Handlung der Gutherzigkeit
mit Hintansezung der Gerechtigkeit gegen andere,
und erlaubt er sich also nie, gewissenlos zu sein,
um wohlthätig und großmüthig zu scheinen?

Können alle diese Fragen mit Bestand der
Wahrheit zu seinem Lobe beantwortet werden:
so ziehe den Hut ab, mein Sohn, so oft du
seinen Nahmen nennen hörst; denn es ist der
Nahme des edelsten Sterblichen, eines vollen-
deten Rechtschaffenen! Kan dis aber nicht ge-
schehen, und ist es klar, daß Mitleid und
Wohlthätigkeit die einzige isolirte Tugend seines
Karakters sind: so höre auf, ihn zu bewundern;
weiche seinen Zudringlichkeiten aus, und habe so
wenig Gemeinschaft mit ihm, als du kanst.
Denn sicher ist er in diesem Fal, entweder ein
über seine Pflichten schlecht unterrichteter und sehr
schwacher Mensch, oder -- ein absichtsvoller
Heuchler!



Ich komme zu einer fünften Klasse von Men-
schen, mit der ich zu deiner Warnung dich gleich-
fals etwas näher bekant machen muß. Das sind

dieje-

liche oder ſcheinbare Handlung der Gutherzigkeit
mit Hintanſezung der Gerechtigkeit gegen andere,
und erlaubt er ſich alſo nie, gewiſſenlos zu ſein,
um wohlthaͤtig und großmuͤthig zu ſcheinen?

Koͤnnen alle dieſe Fragen mit Beſtand der
Wahrheit zu ſeinem Lobe beantwortet werden:
ſo ziehe den Hut ab, mein Sohn, ſo oft du
ſeinen Nahmen nennen hoͤrſt; denn es iſt der
Nahme des edelſten Sterblichen, eines vollen-
deten Rechtſchaffenen! Kan dis aber nicht ge-
ſchehen, und iſt es klar, daß Mitleid und
Wohlthaͤtigkeit die einzige iſolirte Tugend ſeines
Karakters ſind: ſo hoͤre auf, ihn zu bewundern;
weiche ſeinen Zudringlichkeiten aus, und habe ſo
wenig Gemeinſchaft mit ihm, als du kanſt.
Denn ſicher iſt er in dieſem Fal, entweder ein
uͤber ſeine Pflichten ſchlecht unterrichteter und ſehr
ſchwacher Menſch, oder — ein abſichtsvoller
Heuchler!



Ich komme zu einer fuͤnften Klaſſe von Men-
ſchen, mit der ich zu deiner Warnung dich gleich-
fals etwas naͤher bekant machen muß. Das ſind

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[205/0235] liche oder ſcheinbare Handlung der Gutherzigkeit mit Hintanſezung der Gerechtigkeit gegen andere, und erlaubt er ſich alſo nie, gewiſſenlos zu ſein, um wohlthaͤtig und großmuͤthig zu ſcheinen? Koͤnnen alle dieſe Fragen mit Beſtand der Wahrheit zu ſeinem Lobe beantwortet werden: ſo ziehe den Hut ab, mein Sohn, ſo oft du ſeinen Nahmen nennen hoͤrſt; denn es iſt der Nahme des edelſten Sterblichen, eines vollen- deten Rechtſchaffenen! Kan dis aber nicht ge- ſchehen, und iſt es klar, daß Mitleid und Wohlthaͤtigkeit die einzige iſolirte Tugend ſeines Karakters ſind: ſo hoͤre auf, ihn zu bewundern; weiche ſeinen Zudringlichkeiten aus, und habe ſo wenig Gemeinſchaft mit ihm, als du kanſt. Denn ſicher iſt er in dieſem Fal, entweder ein uͤber ſeine Pflichten ſchlecht unterrichteter und ſehr ſchwacher Menſch, oder — ein abſichtsvoller Heuchler! Ich komme zu einer fuͤnften Klaſſe von Men- ſchen, mit der ich zu deiner Warnung dich gleich- fals etwas naͤher bekant machen muß. Das ſind dieje-

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/235>, abgerufen am 28.09.2024.