Man, der so mildthätig ist, auch sein eigenes Haus versorgt? Ist unter seinen Verwandten, Hausgenossen und Freunden keiner, dem das ent- zogen wird, was seine Freigebigkeit auf Fremde verwendet? Ist er niemandem etwas schuldig, und enthält er dem Arbeiter nie seinen verdien- ten Lohn vor? Ist er nicht blos wohlthätig, sondern auch gerecht gegen jederman; nicht blos mitleidig, sondern auch fleissig, ordentlich und treu in seinen Berufsgeschäften; nicht blos gütig gegen Elende und Bedrengte, sondern auch billig gegen seine Hausgenossen, mild und freundlich gegen alle, welche von ihm abhängen, oder in Verbindung mit ihm stehen? Verrichtet er das Gute, welches er thut, im Stillen, ohne phari- säisches Gepränge, ohne Ansprüche auf Lob und Bewunderung zu machen, ohne sich dadurch zur Eitelkeit und zum Hochmuht verleiten zu lassen? Versäumt er auch, indem er sich dienstfertig be- zeigt, keine von denjenigen Pflichten, welche zu seinem eigentlichen Beruf gehören, und zu deren Erfüllung er sich einmahl anheischig gemacht hat? Mit einem Worte, verrichtet er nie eine wirk-
liche
Man, der ſo mildthaͤtig iſt, auch ſein eigenes Haus verſorgt? Iſt unter ſeinen Verwandten, Hausgenoſſen und Freunden keiner, dem das ent- zogen wird, was ſeine Freigebigkeit auf Fremde verwendet? Iſt er niemandem etwas ſchuldig, und enthaͤlt er dem Arbeiter nie ſeinen verdien- ten Lohn vor? Iſt er nicht blos wohlthaͤtig, ſondern auch gerecht gegen jederman; nicht blos mitleidig, ſondern auch fleiſſig, ordentlich und treu in ſeinen Berufsgeſchaͤften; nicht blos guͤtig gegen Elende und Bedrengte, ſondern auch billig gegen ſeine Hausgenoſſen, mild und freundlich gegen alle, welche von ihm abhaͤngen, oder in Verbindung mit ihm ſtehen? Verrichtet er das Gute, welches er thut, im Stillen, ohne phari- ſaͤiſches Gepraͤnge, ohne Anſpruͤche auf Lob und Bewunderung zu machen, ohne ſich dadurch zur Eitelkeit und zum Hochmuht verleiten zu laſſen? Verſaͤumt er auch, indem er ſich dienſtfertig be- zeigt, keine von denjenigen Pflichten, welche zu ſeinem eigentlichen Beruf gehoͤren, und zu deren Erfuͤllung er ſich einmahl anheiſchig gemacht hat? Mit einem Worte, verrichtet er nie eine wirk-
liche
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Man, der ſo mildthaͤtig iſt, auch ſein eigenes
Haus verſorgt? Iſt unter ſeinen Verwandten,
Hausgenoſſen und Freunden keiner, dem das ent-
zogen wird, was ſeine Freigebigkeit auf Fremde
verwendet? Iſt er niemandem etwas ſchuldig,
und enthaͤlt er dem Arbeiter nie ſeinen verdien-
ten Lohn vor? Iſt er nicht blos wohlthaͤtig,
ſondern auch gerecht gegen jederman; nicht blos
mitleidig, ſondern auch fleiſſig, ordentlich und
treu in ſeinen Berufsgeſchaͤften; nicht blos guͤtig
gegen Elende und Bedrengte, ſondern auch billig
gegen ſeine Hausgenoſſen, mild und freundlich
gegen alle, welche von ihm abhaͤngen, oder in
Verbindung mit ihm ſtehen? Verrichtet er das
Gute, welches er thut, im Stillen, ohne phari-
ſaͤiſches Gepraͤnge, ohne Anſpruͤche auf Lob und
Bewunderung zu machen, ohne ſich dadurch zur
Eitelkeit und zum Hochmuht verleiten zu laſſen?
Verſaͤumt er auch, indem er ſich dienſtfertig be-
zeigt, keine von denjenigen Pflichten, welche zu
ſeinem eigentlichen Beruf gehoͤren, und zu deren
Erfuͤllung er ſich einmahl anheiſchig gemacht hat?
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/234>, abgerufen am 23.11.2024.
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