rungskünste ausgelernter Buhlerinnen erwäge: o so bebt mir das Herz vor ängstlicher Besorgniß, und ich mögte aufspringen, dich ergreifen und fest halten, damit du mit keinem Fuße eine Welt be- trätest, wo das Laster, wie eine Schlange, unter Blumen liegt, und das Verderben, unter der Larve der Freude tanzend, dem unvorsichtigen Jüngling auflauert, um ihn in den tiefsten Ab- grund hinabzustoßen! Aber meine Arme sinken; bald werden sie im Grabe liegen: was würd' es denn helfen, dich bis dahin fest zu halten? Ein- mahl müßtest du der Gefahr, welche deiner wartet, doch entgegen gehn. Geh also, mein Einziger, aber bewafne dich vorher mit allem, was Ver- nunft und Religion uns zum Schuze darbieten; geh, aber vergiß nicht, daß der erste Schrit zum Laster der lezte auf der Bahn der Tugend und der wahren Glükseeligkeit ist!
Aber
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rungskuͤnſte ausgelernter Buhlerinnen erwaͤge: o ſo bebt mir das Herz vor aͤngſtlicher Beſorgniß, und ich moͤgte aufſpringen, dich ergreifen und feſt halten, damit du mit keinem Fuße eine Welt be- traͤteſt, wo das Laſter, wie eine Schlange, unter Blumen liegt, und das Verderben, unter der Larve der Freude tanzend, dem unvorſichtigen Juͤngling auflauert, um ihn in den tiefſten Ab- grund hinabzuſtoßen! Aber meine Arme ſinken; bald werden ſie im Grabe liegen: was wuͤrd’ es denn helfen, dich bis dahin feſt zu halten? Ein- mahl muͤßteſt du der Gefahr, welche deiner wartet, doch entgegen gehn. Geh alſo, mein Einziger, aber bewafne dich vorher mit allem, was Ver- nunft und Religion uns zum Schuze darbieten; geh, aber vergiß nicht, daß der erſte Schrit zum Laſter der lezte auf der Bahn der Tugend und der wahren Gluͤkſeeligkeit iſt!
Aber
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rungskuͤnſte ausgelernter Buhlerinnen erwaͤge:
o ſo bebt mir das Herz vor aͤngſtlicher Beſorgniß,
und ich moͤgte aufſpringen, dich ergreifen und feſt
halten, damit du mit keinem Fuße eine Welt be-
traͤteſt, wo das Laſter, wie eine Schlange, unter
Blumen liegt, und das Verderben, unter der
Larve der Freude tanzend, dem unvorſichtigen
Juͤngling auflauert, um ihn in den tiefſten Ab-
grund hinabzuſtoßen! Aber meine Arme ſinken;
bald werden ſie im Grabe liegen: was wuͤrd’ es
denn helfen, dich bis dahin feſt zu halten? Ein-
mahl muͤßteſt du der Gefahr, welche deiner wartet,
doch entgegen gehn. Geh alſo, mein Einziger,
aber bewafne dich vorher mit allem, was Ver-
nunft und Religion uns zum Schuze darbieten;
geh, aber vergiß nicht, daß der erſte Schrit zum
Laſter der lezte auf der Bahn der Tugend und der
wahren Gluͤkſeeligkeit iſt!
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/291>, abgerufen am 22.11.2024.
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