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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

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gemeiniglich grade die edelsten Selen verabsäumt;
und diese Vernachläßigung allein erklärt dem nach-
denkenden Beobachter schon zum Theil das sonst
unauflöslichscheinende Räthsel, warum auch diese,
welche in dem Reiche eines alweisen und algütigen
Weltregenten einer ausgezeichneten Glükseeligkeit
genießen solten, nicht selten elend sind.

Es sind aber hiebei vornehmlich vier Re-
geln zu beobachten, die ich dir mittheilen wil.

Die erste und wichtigste unter allen ist diese:
wolle, indem du auf die Schaubühne des
geschäftigen Lebens tritst, nicht glänzen,
sondern nüzen und glüklich sein
! O eine
goldene Regel, deren Beobachtung Zufriedenheit,
deren Vernachläßigung unausbleibliches Elend
zum Gefolge hat! Und doch, wie selten wird sie
befolgt!

Der junge rüstige Geist des Jünglings,
durch eine thörichte Erziehung und durch das al-
gemeine Beispiel zur Ehrsucht entflamt, fühlt
kaum den ersten dürftigen Knospen der frühreifen
Manskraft seiner Sele zum Ausbruch anschwellen:
so schaut er schon gierig umher, und brent, und

lechzt

gemeiniglich grade die edelſten Selen verabſaͤumt;
und dieſe Vernachlaͤßigung allein erklaͤrt dem nach-
denkenden Beobachter ſchon zum Theil das ſonſt
unaufloͤslichſcheinende Raͤthſel, warum auch dieſe,
welche in dem Reiche eines alweiſen und alguͤtigen
Weltregenten einer ausgezeichneten Gluͤkſeeligkeit
genießen ſolten, nicht ſelten elend ſind.

Es ſind aber hiebei vornehmlich vier Re-
geln zu beobachten, die ich dir mittheilen wil.

Die erſte und wichtigſte unter allen iſt dieſe:
wolle, indem du auf die Schaubuͤhne des
geſchaͤftigen Lebens tritſt, nicht glaͤnzen,
ſondern nuͤzen und gluͤklich ſein
! O eine
goldene Regel, deren Beobachtung Zufriedenheit,
deren Vernachlaͤßigung unausbleibliches Elend
zum Gefolge hat! Und doch, wie ſelten wird ſie
befolgt!

Der junge ruͤſtige Geiſt des Juͤnglings,
durch eine thoͤrichte Erziehung und durch das al-
gemeine Beiſpiel zur Ehrſucht entflamt, fuͤhlt
kaum den erſten duͤrftigen Knospen der fruͤhreifen
Manskraft ſeiner Sele zum Ausbruch anſchwellen:
ſo ſchaut er ſchon gierig umher, und brent, und

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[14/0044] gemeiniglich grade die edelſten Selen verabſaͤumt; und dieſe Vernachlaͤßigung allein erklaͤrt dem nach- denkenden Beobachter ſchon zum Theil das ſonſt unaufloͤslichſcheinende Raͤthſel, warum auch dieſe, welche in dem Reiche eines alweiſen und alguͤtigen Weltregenten einer ausgezeichneten Gluͤkſeeligkeit genießen ſolten, nicht ſelten elend ſind. Es ſind aber hiebei vornehmlich vier Re- geln zu beobachten, die ich dir mittheilen wil. Die erſte und wichtigſte unter allen iſt dieſe: wolle, indem du auf die Schaubuͤhne des geſchaͤftigen Lebens tritſt, nicht glaͤnzen, ſondern nuͤzen und gluͤklich ſein! O eine goldene Regel, deren Beobachtung Zufriedenheit, deren Vernachlaͤßigung unausbleibliches Elend zum Gefolge hat! Und doch, wie ſelten wird ſie befolgt! Der junge ruͤſtige Geiſt des Juͤnglings, durch eine thoͤrichte Erziehung und durch das al- gemeine Beiſpiel zur Ehrſucht entflamt, fuͤhlt kaum den erſten duͤrftigen Knospen der fruͤhreifen Manskraft ſeiner Sele zum Ausbruch anſchwellen: ſo ſchaut er ſchon gierig umher, und brent, und lechzt

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/44>, abgerufen am 02.05.2024.