Recht auf unsere nüzliche Wirksamkeit haben, als diejenigen, welche die Natur, oder die göt- liche Vorsehung, am nächsten und innigsten mit uns verbunden hat? Würd' es nicht unaus- sprechlich thöricht und ungerecht zugleich sein, wenn ein Arzt, der seiner Kunst gewiß wäre, seine Zeit damit verschwenden wolte, Arzeneimittel wider mögliche Krankheiten der Antipoden zu be- reiten, indes seine Hausgenossen und Mitbürger an einer epidemischen Seuche darnieder lägen, und vergebens um Hülfe schrien? Erst suche er diese zu retten; dan seine Landsleute in den näch- sten Dörfern, Flekken und Städten, und so im- mer weiter in dem Maaße, in welchem ihm zu ausgedehntern Wirkungen Zeit und Kräfte von Gott verliehen werden.
Eben diese Pflicht der weisen Einschränkung seines Wirkungskreises liegt nun auch dem mora- lischen Arzte ob. Hat er ein Weib genommen, so sei diese der nächste Gegenstand, dessen sitliche Vervolkomnung, nächst der seinigen, ihm am meisten am Herzen liegen muß. Vertraut die götliche Vorsehung ihm Kinder an; so ziehe er
die
Recht auf unſere nuͤzliche Wirkſamkeit haben, als diejenigen, welche die Natur, oder die goͤt- liche Vorſehung, am naͤchſten und innigſten mit uns verbunden hat? Wuͤrd’ es nicht unaus- ſprechlich thoͤricht und ungerecht zugleich ſein, wenn ein Arzt, der ſeiner Kunſt gewiß waͤre, ſeine Zeit damit verſchwenden wolte, Arzeneimittel wider moͤgliche Krankheiten der Antipoden zu be- reiten, indes ſeine Hausgenoſſen und Mitbuͤrger an einer epidemiſchen Seuche darnieder laͤgen, und vergebens um Huͤlfe ſchrien? Erſt ſuche er dieſe zu retten; dan ſeine Landsleute in den naͤch- ſten Doͤrfern, Flekken und Staͤdten, und ſo im- mer weiter in dem Maaße, in welchem ihm zu ausgedehntern Wirkungen Zeit und Kraͤfte von Gott verliehen werden.
Eben dieſe Pflicht der weiſen Einſchraͤnkung ſeines Wirkungskreiſes liegt nun auch dem mora- liſchen Arzte ob. Hat er ein Weib genommen, ſo ſei dieſe der naͤchſte Gegenſtand, deſſen ſitliche Vervolkomnung, naͤchſt der ſeinigen, ihm am meiſten am Herzen liegen muß. Vertraut die goͤtliche Vorſehung ihm Kinder an; ſo ziehe er
die
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Recht auf unſere nuͤzliche Wirkſamkeit haben,
als diejenigen, welche die Natur, oder die goͤt-
liche Vorſehung, am naͤchſten und innigſten mit
uns verbunden hat? Wuͤrd’ es nicht unaus-
ſprechlich thoͤricht und ungerecht zugleich ſein,
wenn ein Arzt, der ſeiner Kunſt gewiß waͤre,
ſeine Zeit damit verſchwenden wolte, Arzeneimittel
wider moͤgliche Krankheiten der Antipoden zu be-
reiten, indes ſeine Hausgenoſſen und Mitbuͤrger
an einer epidemiſchen Seuche darnieder laͤgen,
und vergebens um Huͤlfe ſchrien? Erſt ſuche er
dieſe zu retten; dan ſeine Landsleute in den naͤch-
ſten Doͤrfern, Flekken und Staͤdten, und ſo im-
mer weiter in dem Maaße, in welchem ihm zu
ausgedehntern Wirkungen Zeit und Kraͤfte von
Gott verliehen werden.
Eben dieſe Pflicht der weiſen Einſchraͤnkung
ſeines Wirkungskreiſes liegt nun auch dem mora-
liſchen Arzte ob. Hat er ein Weib genommen,
ſo ſei dieſe der naͤchſte Gegenſtand, deſſen ſitliche
Vervolkomnung, naͤchſt der ſeinigen, ihm am
meiſten am Herzen liegen muß. Vertraut die
goͤtliche Vorſehung ihm Kinder an; ſo ziehe er
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/52>, abgerufen am 16.02.2025.
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