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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783.

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und seiner verwaiseten Familie, wenn er diesem
verführerischen Gefühl, ohne lange und sorgfäl-
tige Prüfung, traut, und seine von wildem auf-
brausendem Enthusiasmus angeschwollene Kräfte
nun sogleich die Dämme zerreissen läßt! Was
wird die Folge sein? Er wird in kurzer Zeit so
sehr Geschmak an großen glänzenden Wirkungen
finden, daß die kleinen häuslichen Familienscenen
ihm zum Ekel werden; seine unglükliche Gattin,
seine beklagenswürdigen Kinder werden ihm fremd
werden; er selbst wird mit Herz und Geist überal,
nur nicht zu Hause sein.

Glaube mir, mein Sohn, nur sehr wenige
Menschen sind berufen, Lichter der Welt zu
sein. Aber nach dem Maaße seiner Einsichten
sein Weib, seine Hausgenossen zu erleuchten, den
Beruf hat jederman, der die Würde eines Haus-
vaters übernommen hat.

"Ein Man von mehr, als gewöhnlicher Fä-
higkeit, sagt ein Schriftsteller von großen Ta-
lenten, *) hat noch genug an seiner eigenen Bes-

serung
*) Wieland.

und ſeiner verwaiſeten Familie, wenn er dieſem
verfuͤhreriſchen Gefuͤhl, ohne lange und ſorgfaͤl-
tige Pruͤfung, traut, und ſeine von wildem auf-
brauſendem Enthuſiasmus angeſchwollene Kraͤfte
nun ſogleich die Daͤmme zerreiſſen laͤßt! Was
wird die Folge ſein? Er wird in kurzer Zeit ſo
ſehr Geſchmak an großen glaͤnzenden Wirkungen
finden, daß die kleinen haͤuslichen Familienſcenen
ihm zum Ekel werden; ſeine ungluͤkliche Gattin,
ſeine beklagenswuͤrdigen Kinder werden ihm fremd
werden; er ſelbſt wird mit Herz und Geiſt uͤberal,
nur nicht zu Hauſe ſein.

Glaube mir, mein Sohn, nur ſehr wenige
Menſchen ſind berufen, Lichter der Welt zu
ſein. Aber nach dem Maaße ſeiner Einſichten
ſein Weib, ſeine Hausgenoſſen zu erleuchten, den
Beruf hat jederman, der die Wuͤrde eines Haus-
vaters uͤbernommen hat.

“Ein Man von mehr, als gewoͤhnlicher Faͤ-
higkeit, ſagt ein Schriftſteller von großen Ta-
lenten, *) hat noch genug an ſeiner eigenen Beſ-

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*) Wieland.
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[24/0054] und ſeiner verwaiſeten Familie, wenn er dieſem verfuͤhreriſchen Gefuͤhl, ohne lange und ſorgfaͤl- tige Pruͤfung, traut, und ſeine von wildem auf- brauſendem Enthuſiasmus angeſchwollene Kraͤfte nun ſogleich die Daͤmme zerreiſſen laͤßt! Was wird die Folge ſein? Er wird in kurzer Zeit ſo ſehr Geſchmak an großen glaͤnzenden Wirkungen finden, daß die kleinen haͤuslichen Familienſcenen ihm zum Ekel werden; ſeine ungluͤkliche Gattin, ſeine beklagenswuͤrdigen Kinder werden ihm fremd werden; er ſelbſt wird mit Herz und Geiſt uͤberal, nur nicht zu Hauſe ſein. Glaube mir, mein Sohn, nur ſehr wenige Menſchen ſind berufen, Lichter der Welt zu ſein. Aber nach dem Maaße ſeiner Einſichten ſein Weib, ſeine Hausgenoſſen zu erleuchten, den Beruf hat jederman, der die Wuͤrde eines Haus- vaters uͤbernommen hat. “Ein Man von mehr, als gewoͤhnlicher Faͤ- higkeit, ſagt ein Schriftſteller von großen Ta- lenten, *) hat noch genug an ſeiner eigenen Beſ- ſerung *) Wieland.

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Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 1. Hamburg, 1783, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron01_1783/54>, abgerufen am 17.05.2024.