Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Die einzige Schwierigkeit ist, (ich bin aber
sicher, du hast Verstand genug dazu) zwischen
den rechten und schiklichen Eigenschaften und den
mit ihnen verwandten Fehlern einen Unterscheid
zu machen. Denn es gibt nur eine Linie zwischen
jeder Volkommenheit und ihrer benachbarten Un-
volkommenheit.

Du mußt, zum Beispiele, überaus artig und
höflich sein, aber ohne das beschwerliche, steife
Wesen der Staatsgebräuche. Du mußt ehrer-
bietig und zum Beifalgeben fertig, darum aber
keinesweges knechtisch, noch niederträgtig sein.
Du mußt dich offenherzig bezeigen, jedoch ohne
Schwazhaftigkeit; mußt zurükhaltend sein, jedoch
ohne ein sprödes Wesen anzunehmen. Du mußt
deines Standes Würde behaupten, jedoch ohne
den geringsten Stolz auf Herkunft oder Rang.
Du mußt lustig sein, aber innerhalb aller Schran-
ken der Anständigkeit und Ehrerbietung; und
ernsthaft, ohne gezwungne Anmaßung von Weis-
heit, die dem Alter von zwanzig Jahren nicht
ansteht. Du mußt wesentlich verschwiegen sein,
nicht aber dunkel und geheimnißvol. Du mußt

standhaft,

Die einzige Schwierigkeit iſt, (ich bin aber
ſicher, du haſt Verſtand genug dazu) zwiſchen
den rechten und ſchiklichen Eigenſchaften und den
mit ihnen verwandten Fehlern einen Unterſcheid
zu machen. Denn es gibt nur eine Linie zwiſchen
jeder Volkommenheit und ihrer benachbarten Un-
volkommenheit.

Du mußt, zum Beiſpiele, uͤberaus artig und
hoͤflich ſein, aber ohne das beſchwerliche, ſteife
Weſen der Staatsgebraͤuche. Du mußt ehrer-
bietig und zum Beifalgeben fertig, darum aber
keinesweges knechtiſch, noch niedertraͤgtig ſein.
Du mußt dich offenherzig bezeigen, jedoch ohne
Schwazhaftigkeit; mußt zuruͤkhaltend ſein, jedoch
ohne ein ſproͤdes Weſen anzunehmen. Du mußt
deines Standes Wuͤrde behaupten, jedoch ohne
den geringſten Stolz auf Herkunft oder Rang.
Du mußt luſtig ſein, aber innerhalb aller Schran-
ken der Anſtaͤndigkeit und Ehrerbietung; und
ernſthaft, ohne gezwungne Anmaßung von Weis-
heit, die dem Alter von zwanzig Jahren nicht
anſteht. Du mußt weſentlich verſchwiegen ſein,
nicht aber dunkel und geheimnißvol. Du mußt

ſtandhaft,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0134" n="128"/>
        <p>Die einzige Schwierigkeit i&#x017F;t, (ich bin aber<lb/>
&#x017F;icher, du ha&#x017F;t Ver&#x017F;tand genug dazu) zwi&#x017F;chen<lb/>
den rechten und &#x017F;chiklichen Eigen&#x017F;chaften und den<lb/>
mit ihnen verwandten Fehlern einen Unter&#x017F;cheid<lb/>
zu machen. Denn es gibt nur eine Linie zwi&#x017F;chen<lb/>
jeder Volkommenheit und ihrer benachbarten Un-<lb/>
volkommenheit.</p><lb/>
        <p>Du mußt, zum Bei&#x017F;piele, u&#x0364;beraus artig und<lb/>
ho&#x0364;flich &#x017F;ein, aber ohne das be&#x017F;chwerliche, &#x017F;teife<lb/>
We&#x017F;en der Staatsgebra&#x0364;uche. Du mußt ehrer-<lb/>
bietig und zum Beifalgeben fertig, darum aber<lb/>
keinesweges knechti&#x017F;ch, noch niedertra&#x0364;gtig &#x017F;ein.<lb/>
Du mußt dich offenherzig bezeigen, jedoch ohne<lb/>
Schwazhaftigkeit; mußt zuru&#x0364;khaltend &#x017F;ein, jedoch<lb/>
ohne ein &#x017F;pro&#x0364;des We&#x017F;en anzunehmen. Du mußt<lb/>
deines Standes Wu&#x0364;rde behaupten, jedoch ohne<lb/>
den gering&#x017F;ten Stolz auf Herkunft oder Rang.<lb/>
Du mußt lu&#x017F;tig &#x017F;ein, aber innerhalb aller Schran-<lb/>
ken der An&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit und Ehrerbietung; und<lb/>
ern&#x017F;thaft, ohne gezwungne Anmaßung von Weis-<lb/>
heit, die dem Alter von zwanzig Jahren nicht<lb/>
an&#x017F;teht. Du mußt we&#x017F;entlich ver&#x017F;chwiegen &#x017F;ein,<lb/>
nicht aber dunkel und geheimnißvol. Du mußt<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;tandhaft,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[128/0134] Die einzige Schwierigkeit iſt, (ich bin aber ſicher, du haſt Verſtand genug dazu) zwiſchen den rechten und ſchiklichen Eigenſchaften und den mit ihnen verwandten Fehlern einen Unterſcheid zu machen. Denn es gibt nur eine Linie zwiſchen jeder Volkommenheit und ihrer benachbarten Un- volkommenheit. Du mußt, zum Beiſpiele, uͤberaus artig und hoͤflich ſein, aber ohne das beſchwerliche, ſteife Weſen der Staatsgebraͤuche. Du mußt ehrer- bietig und zum Beifalgeben fertig, darum aber keinesweges knechtiſch, noch niedertraͤgtig ſein. Du mußt dich offenherzig bezeigen, jedoch ohne Schwazhaftigkeit; mußt zuruͤkhaltend ſein, jedoch ohne ein ſproͤdes Weſen anzunehmen. Du mußt deines Standes Wuͤrde behaupten, jedoch ohne den geringſten Stolz auf Herkunft oder Rang. Du mußt luſtig ſein, aber innerhalb aller Schran- ken der Anſtaͤndigkeit und Ehrerbietung; und ernſthaft, ohne gezwungne Anmaßung von Weis- heit, die dem Alter von zwanzig Jahren nicht anſteht. Du mußt weſentlich verſchwiegen ſein, nicht aber dunkel und geheimnißvol. Du mußt ſtandhaft,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/134
Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/134>, abgerufen am 04.12.2024.