das ist, warum wart ihr nicht an einem ganz an- dern Orte, der dem wichtigen andern Dinge, woran ihr gerade dachtet, angemessen gewesen wäre? Vielleicht werdet ihr sagen: "die Geselschaft war so einfältig, daß sie eure Aufmerksamkeit nicht verdiente." Aber glaube mir, mein Lieber, das ist das Geschwäz eines noch einfältigen Menschen; denn der Man von Verstande weiß wohl, daß keine Geselschaft so einfältig ist, die man nicht bei gehöriger Aufmerksamkeit auf eine oder die andre Weise für sich nüzlich machen könte.
(Derjenige ist weder zu Geschäften noch zu Vergnügungen tüchtig, der nicht seine Aufmerksam- keit auf die jedesmalige gegenwärtige Sache len- ken, und in gewißer Maaße diese Zeit über alle andre Gedanken aus seiner Sele verbannen kan. Wenn jemand auf einem Balle, bei Tische, oder bei einer Lustreise auf die Auflösung einer Aufgabe aus dem Euklid dächte: so würd' er gar ein schlechter Geselschafter sein, und unter den andern nur geringes Ansehen erlangen. Dächt' er dage- gen, wenn er in seinem Kabinette der Aufgabe
nachsint,
Theophron 2. Th. B
das iſt, warum wart ihr nicht an einem ganz an- dern Orte, der dem wichtigen andern Dinge, woran ihr gerade dachtet, angemeſſen geweſen waͤre? Vielleicht werdet ihr ſagen: “die Geſelſchaft war ſo einfaͤltig, daß ſie eure Aufmerkſamkeit nicht verdiente.„ Aber glaube mir, mein Lieber, das iſt das Geſchwaͤz eines noch einfaͤltigen Menſchen; denn der Man von Verſtande weiß wohl, daß keine Geſelſchaft ſo einfaͤltig iſt, die man nicht bei gehoͤriger Aufmerkſamkeit auf eine oder die andre Weiſe fuͤr ſich nuͤzlich machen koͤnte.
(Derjenige iſt weder zu Geſchaͤften noch zu Vergnuͤgungen tuͤchtig, der nicht ſeine Aufmerkſam- keit auf die jedesmalige gegenwaͤrtige Sache len- ken, und in gewißer Maaße dieſe Zeit uͤber alle andre Gedanken aus ſeiner Sele verbannen kan. Wenn jemand auf einem Balle, bei Tiſche, oder bei einer Luſtreiſe auf die Aufloͤſung einer Aufgabe aus dem Euklid daͤchte: ſo wuͤrd’ er gar ein ſchlechter Geſelſchafter ſein, und unter den andern nur geringes Anſehen erlangen. Daͤcht’ er dage- gen, wenn er in ſeinem Kabinette der Aufgabe
nachſint,
Theophron 2. Th. B
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das iſt, warum wart ihr nicht an einem ganz an-
dern Orte, der dem wichtigen andern Dinge,
woran ihr gerade dachtet, angemeſſen geweſen
waͤre? Vielleicht werdet ihr ſagen: “die Geſelſchaft
war ſo einfaͤltig, daß ſie eure Aufmerkſamkeit nicht
verdiente.„ Aber glaube mir, mein Lieber, das iſt
das Geſchwaͤz eines noch einfaͤltigen Menſchen;
denn der Man von Verſtande weiß wohl, daß
keine Geſelſchaft ſo einfaͤltig iſt, die man nicht bei
gehoͤriger Aufmerkſamkeit auf eine oder die andre
Weiſe fuͤr ſich nuͤzlich machen koͤnte.
(Derjenige iſt weder zu Geſchaͤften noch zu
Vergnuͤgungen tuͤchtig, der nicht ſeine Aufmerkſam-
keit auf die jedesmalige gegenwaͤrtige Sache len-
ken, und in gewißer Maaße dieſe Zeit uͤber alle
andre Gedanken aus ſeiner Sele verbannen kan.
Wenn jemand auf einem Balle, bei Tiſche, oder
bei einer Luſtreiſe auf die Aufloͤſung einer Aufgabe
aus dem Euklid daͤchte: ſo wuͤrd’ er gar ein
ſchlechter Geſelſchafter ſein, und unter den andern
nur geringes Anſehen erlangen. Daͤcht’ er dage-
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Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/23>, abgerufen am 16.07.2024.
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