Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Es ist in manchen Geselschaften etwas sehr
gewöhnliches, den Ton der Verläumdung anzu-
stimmen; einige thun es, um die Tükke ihres
Herzens zu befriedigen; andere glauben, sie zeigen
damit ihren Wiz. Ich hoffe, du wirst nie diesen
Ton annehmen. Sieh vielmehr allemahl die
Sache von der vortheilhaften Seite an, und ohne
gerade zu und auf eine beleidigende Weise zu wi-
dersprechen, zeige, daß du an der Wahrheit der
Sache zweifelst; stelle die Unzuverlässigkeit der
meisten Erzählungen vor, wo wenigstens Privat-
haß sich so leicht ins Spiel mischt. Diese Red-
lichkeit und Mässigung wird der ganzen, obgleich
nicht so redlichgesinten Geselschaft gefallen, unge-
achtet es eine Art von feinem Widerspruch gegen
ihre ungünstigen Behauptungen ist; weil sie hof-
fen, wenn sie einmahl die Reihe trift, auch einen
solchen Fürsprecher an dir zu finden.


Es gibt noch eine andere Art von beleidigen-
dem Betragen, welches man oft in Geselschaften
wahrnimt; nemlich es besteht darin, daß man
einen Fingerzeig giebt oder ein Wort hinwirft,

das

Es iſt in manchen Geſelſchaften etwas ſehr
gewoͤhnliches, den Ton der Verlaͤumdung anzu-
ſtimmen; einige thun es, um die Tuͤkke ihres
Herzens zu befriedigen; andere glauben, ſie zeigen
damit ihren Wiz. Ich hoffe, du wirſt nie dieſen
Ton annehmen. Sieh vielmehr allemahl die
Sache von der vortheilhaften Seite an, und ohne
gerade zu und auf eine beleidigende Weiſe zu wi-
derſprechen, zeige, daß du an der Wahrheit der
Sache zweifelſt; ſtelle die Unzuverlaͤſſigkeit der
meiſten Erzaͤhlungen vor, wo wenigſtens Privat-
haß ſich ſo leicht ins Spiel miſcht. Dieſe Red-
lichkeit und Maͤſſigung wird der ganzen, obgleich
nicht ſo redlichgeſinten Geſelſchaft gefallen, unge-
achtet es eine Art von feinem Widerſpruch gegen
ihre unguͤnſtigen Behauptungen iſt; weil ſie hof-
fen, wenn ſie einmahl die Reihe trift, auch einen
ſolchen Fuͤrſprecher an dir zu finden.


Es gibt noch eine andere Art von beleidigen-
dem Betragen, welches man oft in Geſelſchaften
wahrnimt; nemlich es beſteht darin, daß man
einen Fingerzeig giebt oder ein Wort hinwirft,

das
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0096" n="90"/>
        <p>Es i&#x017F;t in manchen Ge&#x017F;el&#x017F;chaften etwas &#x017F;ehr<lb/>
gewo&#x0364;hnliches, den Ton der Verla&#x0364;umdung anzu-<lb/>
&#x017F;timmen; einige thun es, um die Tu&#x0364;kke ihres<lb/>
Herzens zu befriedigen; andere glauben, &#x017F;ie zeigen<lb/>
damit ihren Wiz. Ich hoffe, du wir&#x017F;t nie die&#x017F;en<lb/>
Ton annehmen. Sieh vielmehr allemahl die<lb/>
Sache von der vortheilhaften Seite an, und ohne<lb/>
gerade zu und auf eine beleidigende Wei&#x017F;e zu wi-<lb/>
der&#x017F;prechen, zeige, daß du an der Wahrheit der<lb/>
Sache zweifel&#x017F;t; &#x017F;telle die Unzuverla&#x0364;&#x017F;&#x017F;igkeit der<lb/>
mei&#x017F;ten Erza&#x0364;hlungen vor, wo wenig&#x017F;tens Privat-<lb/>
haß &#x017F;ich &#x017F;o leicht ins Spiel mi&#x017F;cht. Die&#x017F;e Red-<lb/>
lichkeit und Ma&#x0364;&#x017F;&#x017F;igung wird der ganzen, obgleich<lb/>
nicht &#x017F;o redlichge&#x017F;inten Ge&#x017F;el&#x017F;chaft gefallen, unge-<lb/>
achtet es eine Art von feinem Wider&#x017F;pruch gegen<lb/>
ihre ungu&#x0364;n&#x017F;tigen Behauptungen i&#x017F;t; weil &#x017F;ie hof-<lb/>
fen, wenn &#x017F;ie einmahl die Reihe trift, auch einen<lb/>
&#x017F;olchen Fu&#x0364;r&#x017F;precher an dir zu finden.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Es gibt noch eine andere Art von beleidigen-<lb/>
dem Betragen, welches man oft in Ge&#x017F;el&#x017F;chaften<lb/>
wahrnimt; nemlich es be&#x017F;teht darin, daß man<lb/>
einen Fingerzeig giebt oder ein Wort hinwirft,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">das</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0096] Es iſt in manchen Geſelſchaften etwas ſehr gewoͤhnliches, den Ton der Verlaͤumdung anzu- ſtimmen; einige thun es, um die Tuͤkke ihres Herzens zu befriedigen; andere glauben, ſie zeigen damit ihren Wiz. Ich hoffe, du wirſt nie dieſen Ton annehmen. Sieh vielmehr allemahl die Sache von der vortheilhaften Seite an, und ohne gerade zu und auf eine beleidigende Weiſe zu wi- derſprechen, zeige, daß du an der Wahrheit der Sache zweifelſt; ſtelle die Unzuverlaͤſſigkeit der meiſten Erzaͤhlungen vor, wo wenigſtens Privat- haß ſich ſo leicht ins Spiel miſcht. Dieſe Red- lichkeit und Maͤſſigung wird der ganzen, obgleich nicht ſo redlichgeſinten Geſelſchaft gefallen, unge- achtet es eine Art von feinem Widerſpruch gegen ihre unguͤnſtigen Behauptungen iſt; weil ſie hof- fen, wenn ſie einmahl die Reihe trift, auch einen ſolchen Fuͤrſprecher an dir zu finden. Es gibt noch eine andere Art von beleidigen- dem Betragen, welches man oft in Geſelſchaften wahrnimt; nemlich es beſteht darin, daß man einen Fingerzeig giebt oder ein Wort hinwirft, das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/96
Zitationshilfe: Campe, Joachim Heinrich: Theophron oder der erfahrne Rathgeber für die unerfahrne Jugend. Bd. 2. Hamburg, 1783, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/campe_theophron02_1783/96>, abgerufen am 04.12.2024.