Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Candidus, Karl: Der deutsche Christus. Fünfzehn Canzonen. Leipzig, 1844.

Bild:
<< vorherige Seite
Und wunderbar! es weissagt groß die Bibel
Im Selbstvergehn ihr ewiges Bestehen.
Aufhebt all Jugendliches in der reifen
Vollendung sich des Mannes, und versehen
Soll deß die Kirche sich, daß sie, wie Fibel
Und Flügelkleid, ab alles Stückwerk streife.
Doch was der Geist ergreife,
Durchdrungener nur wird es sein das Alte,
Er selbst, die Liebe, die im Wandel bleibet,
Jetzt aber mächtig treibet
Daß Schauen und Vollendung sich gestalte.
Bis dahin bleibt uns Glauben, bleibt uns Hoffen
Und soll die Liebe mildern alle Schroffen.
Auch andre Schrift mag Gottes Wort wol heißen;
Wie aber in vergilbten Jugendbriefen
Ein Etwas wohnt, was heilig man verehret,
So von ureigner Lebensfrische triefen
Und einfach treuer Innigkeit die weißen
Pfingstblumen, wie die Bibel sie bescheeret.
Auch wird, so lang man lehret,
Dies Buch, was Lüge sammeln mag, zerstreuen
Und, auf den Weinstock zeigend, niederschlagen
Der Dornen stolzes Wagen,
Die Weinberg sich zu nennen sich nicht scheuen.
Als Prüfstein liegt es auf dem Altar oben
Daß sich der Lehre Gold dran mag erproben.
Und wunderbar! es weiſſagt groß die Bibel
Im Selbſtvergehn ihr ewiges Beſtehen.
Aufhebt all Jugendliches in der reifen
Vollendung ſich des Mannes, und verſehen
Soll deß die Kirche ſich, daß ſie, wie Fibel
Und Flügelkleid, ab alles Stückwerk ſtreife.
Doch was der Geiſt ergreife,
Durchdrungener nur wird es ſein das Alte,
Er ſelbſt, die Liebe, die im Wandel bleibet,
Jetzt aber mächtig treibet
Daß Schauen und Vollendung ſich geſtalte.
Bis dahin bleibt uns Glauben, bleibt uns Hoffen
Und ſoll die Liebe mildern alle Schroffen.
Auch andre Schrift mag Gottes Wort wol heißen;
Wie aber in vergilbten Jugendbriefen
Ein Etwas wohnt, was heilig man verehret,
So von ureigner Lebensfriſche triefen
Und einfach treuer Innigkeit die weißen
Pfingſtblumen, wie die Bibel ſie beſcheeret.
Auch wird, ſo lang man lehret,
Dies Buch, was Lüge ſammeln mag, zerſtreuen
Und, auf den Weinſtock zeigend, niederſchlagen
Der Dornen ſtolzes Wagen,
Die Weinberg ſich zu nennen ſich nicht ſcheuen.
Als Prüfſtein liegt es auf dem Altar oben
Daß ſich der Lehre Gold dran mag erproben.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0053" n="39"/>
            <lg n="6">
              <l>Und wunderbar! es wei&#x017F;&#x017F;agt groß die Bibel</l><lb/>
              <l>Im Selb&#x017F;tvergehn ihr ewiges Be&#x017F;tehen.</l><lb/>
              <l>Aufhebt all Jugendliches in der reifen</l><lb/>
              <l>Vollendung &#x017F;ich des Mannes, und ver&#x017F;ehen</l><lb/>
              <l>Soll deß die Kirche &#x017F;ich, daß &#x017F;ie, wie Fibel</l><lb/>
              <l>Und Flügelkleid, ab alles Stückwerk &#x017F;treife.</l><lb/>
              <l>Doch was der Gei&#x017F;t ergreife,</l><lb/>
              <l>Durchdrungener nur wird es &#x017F;ein das Alte,</l><lb/>
              <l>Er &#x017F;elb&#x017F;t, die Liebe, die im Wandel <hi rendition="#g">bleibet</hi>,</l><lb/>
              <l>Jetzt aber mächtig treibet</l><lb/>
              <l>Daß Schauen und Vollendung &#x017F;ich ge&#x017F;talte.</l><lb/>
              <l>Bis dahin bleibt uns Glauben, bleibt uns Hoffen</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;oll die Liebe mildern alle Schroffen.</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="7">
              <l>Auch andre Schrift mag Gottes Wort wol heißen;</l><lb/>
              <l>Wie aber in vergilbten Jugendbriefen</l><lb/>
              <l>Ein Etwas wohnt, was heilig man verehret,</l><lb/>
              <l>So von ureigner Lebensfri&#x017F;che triefen</l><lb/>
              <l>Und einfach treuer Innigkeit die weißen</l><lb/>
              <l>Pfing&#x017F;tblumen, wie die Bibel &#x017F;ie be&#x017F;cheeret.</l><lb/>
              <l>Auch wird, &#x017F;o lang man lehret,</l><lb/>
              <l>Dies Buch, was Lüge &#x017F;ammeln mag, zer&#x017F;treuen</l><lb/>
              <l>Und, auf den Wein&#x017F;tock zeigend, nieder&#x017F;chlagen</l><lb/>
              <l>Der Dornen &#x017F;tolzes Wagen,</l><lb/>
              <l>Die Weinberg &#x017F;ich zu nennen &#x017F;ich nicht &#x017F;cheuen.</l><lb/>
              <l>Als Prüf&#x017F;tein liegt es auf dem Altar oben</l><lb/>
              <l>Daß &#x017F;ich der Lehre Gold dran mag erproben.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[39/0053] Und wunderbar! es weiſſagt groß die Bibel Im Selbſtvergehn ihr ewiges Beſtehen. Aufhebt all Jugendliches in der reifen Vollendung ſich des Mannes, und verſehen Soll deß die Kirche ſich, daß ſie, wie Fibel Und Flügelkleid, ab alles Stückwerk ſtreife. Doch was der Geiſt ergreife, Durchdrungener nur wird es ſein das Alte, Er ſelbſt, die Liebe, die im Wandel bleibet, Jetzt aber mächtig treibet Daß Schauen und Vollendung ſich geſtalte. Bis dahin bleibt uns Glauben, bleibt uns Hoffen Und ſoll die Liebe mildern alle Schroffen. Auch andre Schrift mag Gottes Wort wol heißen; Wie aber in vergilbten Jugendbriefen Ein Etwas wohnt, was heilig man verehret, So von ureigner Lebensfriſche triefen Und einfach treuer Innigkeit die weißen Pfingſtblumen, wie die Bibel ſie beſcheeret. Auch wird, ſo lang man lehret, Dies Buch, was Lüge ſammeln mag, zerſtreuen Und, auf den Weinſtock zeigend, niederſchlagen Der Dornen ſtolzes Wagen, Die Weinberg ſich zu nennen ſich nicht ſcheuen. Als Prüfſtein liegt es auf dem Altar oben Daß ſich der Lehre Gold dran mag erproben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/candidus_christus_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/candidus_christus_1854/53
Zitationshilfe: Candidus, Karl: Der deutsche Christus. Fünfzehn Canzonen. Leipzig, 1844, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/candidus_christus_1854/53>, abgerufen am 21.11.2024.