Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Candidus, Karl: Der deutsche Christus. Fünfzehn Canzonen. Leipzig, 1844.

Bild:
<< vorherige Seite
Ist's Thorheit nicht, für Menschenheil zu sterben
Wenn keine Thräne unsern Hügel feuchtet?
Geschlechter opfern sich und gehn zur Ruhe
Und denken: "Also lang die Sonne leuchtet
Wird unsre Liebe Liebe sich erwerben."
Ihr Thoren, ihr! was Einer immer thue,
Schläft er in dunkler Truhe,
So mag er schlafen, sein gedenkt man nimmer.
So sei uns denn das Höchste das Genießen!
Laßt uns mit Spott begießen
Wer uns noch spricht von hoher Liebe Schimmer!
Laßt unser Alles wilde, schnöde Lust sein!
Die Menschheit ist kein Ganzes voll Bewußtsein!
Erkennet doch! In lobenswertem Streben
Spannt ihr durch Land und Meer die Eisendrähte.
Was hilft's? Fortglüht der Herrn und Knechte Feindschaft.
Die Lebenden vereint solch Hochgeräte
Dann erst wenn ihre Toten ihnen leben
Und Herzenselectricität Verein schafft.
Die geistige Gemeinschaft,
O kennet sie, die Zeit wie Raum besieget
Und, so Jahrhunderte wie Länderstrecken
Vernichtend, Schmerz mag wecken
Daß uns in heil'gem Kampf ein Freund erlieget!
Als Ganzes muß die Menschheit sich begreifen,
Soll sie nicht ewig ratlos kreisend schweifen.
Iſt's Thorheit nicht, für Menſchenheil zu ſterben
Wenn keine Thräne unſern Hügel feuchtet?
Geſchlechter opfern ſich und gehn zur Ruhe
Und denken: „Alſo lang die Sonne leuchtet
Wird unſre Liebe Liebe ſich erwerben.“
Ihr Thoren, ihr! was Einer immer thue,
Schläft er in dunkler Truhe,
So mag er ſchlafen, ſein gedenkt man nimmer.
So ſei uns denn das Höchſte das Genießen!
Laßt uns mit Spott begießen
Wer uns noch ſpricht von hoher Liebe Schimmer!
Laßt unſer Alles wilde, ſchnöde Luſt ſein!
Die Menſchheit iſt kein Ganzes voll Bewußtſein!
Erkennet doch! In lobenswertem Streben
Spannt ihr durch Land und Meer die Eiſendrähte.
Was hilft's? Fortglüht der Herrn und Knechte Feindſchaft.
Die Lebenden vereint ſolch Hochgeräte
Dann erſt wenn ihre Toten ihnen leben
Und Herzenselectricität Verein ſchafft.
Die geiſtige Gemeinſchaft,
O kennet ſie, die Zeit wie Raum beſieget
Und, ſo Jahrhunderte wie Länderſtrecken
Vernichtend, Schmerz mag wecken
Daß uns in heil'gem Kampf ein Freund erlieget!
Als Ganzes muß die Menſchheit ſich begreifen,
Soll ſie nicht ewig ratlos kreiſend ſchweifen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0081" n="67"/>
            <lg n="10">
              <l>I&#x017F;t's Thorheit nicht, für Men&#x017F;chenheil zu &#x017F;terben</l><lb/>
              <l>Wenn keine Thräne un&#x017F;ern Hügel feuchtet?</l><lb/>
              <l>Ge&#x017F;chlechter opfern &#x017F;ich und gehn zur Ruhe</l><lb/>
              <l>Und denken: &#x201E;Al&#x017F;o lang die Sonne leuchtet</l><lb/>
              <l>Wird un&#x017F;re Liebe Liebe &#x017F;ich erwerben.&#x201C;</l><lb/>
              <l>Ihr Thoren, ihr! was Einer immer thue,</l><lb/>
              <l>Schläft er in dunkler Truhe,</l><lb/>
              <l>So mag er &#x017F;chlafen, &#x017F;ein gedenkt man nimmer.</l><lb/>
              <l>So &#x017F;ei uns denn das Höch&#x017F;te das Genießen!</l><lb/>
              <l>Laßt uns mit Spott begießen</l><lb/>
              <l>Wer uns noch &#x017F;pricht von hoher Liebe Schimmer!</l><lb/>
              <l>Laßt un&#x017F;er Alles wilde, &#x017F;chnöde Lu&#x017F;t &#x017F;ein!</l><lb/>
              <l>Die Men&#x017F;chheit i&#x017F;t kein Ganzes voll Bewußt&#x017F;ein!</l><lb/>
            </lg>
            <lg n="11">
              <l>Erkennet doch! In lobenswertem Streben</l><lb/>
              <l>Spannt ihr durch Land und Meer die Ei&#x017F;endrähte.</l><lb/>
              <l>Was hilft's? Fortglüht der Herrn und Knechte Feind&#x017F;chaft.</l><lb/>
              <l>Die Lebenden vereint &#x017F;olch Hochgeräte</l><lb/>
              <l>Dann er&#x017F;t wenn ihre Toten ihnen leben</l><lb/>
              <l>Und Herzenselectricität Verein &#x017F;chafft.</l><lb/>
              <l>Die gei&#x017F;tige Gemein&#x017F;chaft,</l><lb/>
              <l>O kennet &#x017F;ie, die Zeit wie Raum be&#x017F;ieget</l><lb/>
              <l>Und, &#x017F;o Jahrhunderte wie Länder&#x017F;trecken</l><lb/>
              <l>Vernichtend, Schmerz mag wecken</l><lb/>
              <l>Daß uns in heil'gem Kampf ein Freund erlieget!</l><lb/>
              <l>Als Ganzes muß die Men&#x017F;chheit &#x017F;ich begreifen,</l><lb/>
              <l>Soll &#x017F;ie nicht ewig ratlos krei&#x017F;end &#x017F;chweifen.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[67/0081] Iſt's Thorheit nicht, für Menſchenheil zu ſterben Wenn keine Thräne unſern Hügel feuchtet? Geſchlechter opfern ſich und gehn zur Ruhe Und denken: „Alſo lang die Sonne leuchtet Wird unſre Liebe Liebe ſich erwerben.“ Ihr Thoren, ihr! was Einer immer thue, Schläft er in dunkler Truhe, So mag er ſchlafen, ſein gedenkt man nimmer. So ſei uns denn das Höchſte das Genießen! Laßt uns mit Spott begießen Wer uns noch ſpricht von hoher Liebe Schimmer! Laßt unſer Alles wilde, ſchnöde Luſt ſein! Die Menſchheit iſt kein Ganzes voll Bewußtſein! Erkennet doch! In lobenswertem Streben Spannt ihr durch Land und Meer die Eiſendrähte. Was hilft's? Fortglüht der Herrn und Knechte Feindſchaft. Die Lebenden vereint ſolch Hochgeräte Dann erſt wenn ihre Toten ihnen leben Und Herzenselectricität Verein ſchafft. Die geiſtige Gemeinſchaft, O kennet ſie, die Zeit wie Raum beſieget Und, ſo Jahrhunderte wie Länderſtrecken Vernichtend, Schmerz mag wecken Daß uns in heil'gem Kampf ein Freund erlieget! Als Ganzes muß die Menſchheit ſich begreifen, Soll ſie nicht ewig ratlos kreiſend ſchweifen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/candidus_christus_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/candidus_christus_1854/81
Zitationshilfe: Candidus, Karl: Der deutsche Christus. Fünfzehn Canzonen. Leipzig, 1844, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/candidus_christus_1854/81>, abgerufen am 21.11.2024.