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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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8. Bajeßid der II
Gelegenheit zu entsetzlichen Zerrüttungen in selbigem Reiche gab. Bajeßid
sowol, als der König in Aegypten, Kajetbajs Nachfolger, waren darinnen ver-
[Spaltenumbruch]
Chan. Dieser setzte sich vor, diese Beleidi-
gung zu rächen und allem künftigen Aufruhre
vorzubeugen: unterdrückte aber anfangs sei-
nen Unmuth, und machte öffentlich bekannt,
iedermann die Vergebung des Vorgegangenen
angedeihen zu lassen. Zwey Jahre hernach
stellete er eine große Malzeit an, und ließ alle
Mirßen dazu einladen. Er bewirthete die-
selben auf das prächtigste, und verzögerte die
Malzeit bis zu Mitternacht. Alsdann ließ
er sie insgesamt, nachdem er sie mit süßem
Weine und Boßa (einer Art Getränkes bey
den Tatarn, das aus Hirsen gemacht wird)
trunken gemacht hatte, in Wagen setzen, um
nach Hause geführet zu werden: unterweges
aber wurden sie von Soldaten, die dazu
bestellet waren, ermordet; da sie eben am
tiefsten in der Schwelgerey lagen. Durch
dieses Trauerspiel ist das ganze Geschlecht der
Mirßen in der Krim gänzlich ausgerottet
worden, so daß nur wenige übrig geblieben
sind, die sich damals außer Landes befanden.
Die andern scythischen Völker aber haben ihre
Mirßen noch, sonderlich in Budschak, wel-
ches das Bessarabien der Alten ist. Die
Töchter dieser Mirßen heiraten keinen andern,
als einen Mirßa: allein die Söhne haben
die Freyheit, Slawinnen zu nehmen, und
ihre Kinder sind eben so rechtmäßig, als wenn
sie von einer mirßischen Tochter geboren wä-
ren. Das Verlöbniß und die Hochzeit wer-
den mit sonderbaren Gebräuchen verrichtet.
Wann beyderseitige Aeltern wegen der Heirat
ihrer Kinder einig sind: so lässet der Braut
Vater ein kleines Häuschen bauen, davon
die Thüre in sein Schlafzimmer gehet, und
darein ein so kleines Fenster machen, daß ein
Mensch kaum seinen Kopf durchstecken kann.
[Spaltenumbruch]
Durch dieses ist es dem Bräutigam vergönnet,
seine Braut zu Nachtzeit zu küssen, und mit
ihr die Art und Weise zu verabreden, wie sie
mit einander entwischen wollen. Die Ael-
tern und Brüder lauren der Braut sorgfältig
auf, da indessen der Bräutigam bemühet ist,
sie entweder verstolener Weise oder mit Gewalt
zu entführen. Es kommt oft dabey zum
Handgemenge, iedoch nur mit Fäusten und
Peitschen, Kamtschi genennet: und wenn sie
den Bräutigam gefangen bekommen; so las-
sen sie ihn nicht ohne Lösegeld wieder los.
Wenn aber in diesem Streite der Bräutigam
der Braut beykommen kann: so gehet er be-
herzt hinein, nimmt sie weg, plündert ihre
kleine Wohnung aus, und behält alles, was
er darinnen findet, zu seinem Brautschatze.
Ihre Brüder verfolgen sie, nachdem man sie
solchergestalt weggenommen hat, in Gesell-
schaft ihrer Anverwandten; und wenn sie ih-
rer können habhaft werden, ehe sie ihres Bräu-
tigams Zelt erlanget: so muß er sie entweder
lösen, oder sie ohne Mitgabe nehmen. In
dem Augenblicke aber, da sie sein Zelt errei-
chet, hat der Krieg ein Ende und verwandelt
sich in eine Hochzeit. Von den Töchtern die-
ser Mirßen werden Dinge erzählet, die beson-
ders merkwürdig und zu bewundern sind.
Wann sie mannbar werden und zum ersten
ihre monatliche Reinigung haben; und sollten
sie bisher noch so stark und gesund gewesen
seyn: so werden sie gleich mit einer Gattung
der Mondsucht befallen. Dieses erwecket bey
den Aeltern eine große Freude, und sie wün-
schen einander dazu Glück, als zu einer Sa-
che, die ein offenbares Kennzeichen ihres
adelichen Herkommens sey, und dadurch die
Mutter von dem Ehebruche losgesprochen

wickelt,
2 B 2

8. Bajeßid der II
Gelegenheit zu entſetzlichen Zerruͤttungen in ſelbigem Reiche gab. Bajeßid
ſowol, als der Koͤnig in Aegypten, Kajetbajs Nachfolger, waren darinnen ver-
[Spaltenumbruch]
Chan. Dieſer ſetzte ſich vor, dieſe Beleidi-
gung zu raͤchen und allem kuͤnftigen Aufruhre
vorzubeugen: unterdruͤckte aber anfangs ſei-
nen Unmuth, und machte oͤffentlich bekannt,
iedermann die Vergebung des Vorgegangenen
angedeihen zu laſſen. Zwey Jahre hernach
ſtellete er eine große Malzeit an, und ließ alle
Mirßen dazu einladen. Er bewirthete die-
ſelben auf das praͤchtigſte, und verzoͤgerte die
Malzeit bis zu Mitternacht. Alsdann ließ
er ſie insgeſamt, nachdem er ſie mit ſuͤßem
Weine und Boßa (einer Art Getraͤnkes bey
den Tatarn, das aus Hirſen gemacht wird)
trunken gemacht hatte, in Wagen ſetzen, um
nach Hauſe gefuͤhret zu werden: unterweges
aber wurden ſie von Soldaten, die dazu
beſtellet waren, ermordet; da ſie eben am
tiefſten in der Schwelgerey lagen. Durch
dieſes Trauerſpiel iſt das ganze Geſchlecht der
Mirßen in der Krim gaͤnzlich ausgerottet
worden, ſo daß nur wenige uͤbrig geblieben
ſind, die ſich damals außer Landes befanden.
Die andern ſcythiſchen Voͤlker aber haben ihre
Mirßen noch, ſonderlich in Budſchak, wel-
ches das Beſſarabien der Alten iſt. Die
Toͤchter dieſer Mirßen heiraten keinen andern,
als einen Mirßa: allein die Soͤhne haben
die Freyheit, Slawinnen zu nehmen, und
ihre Kinder ſind eben ſo rechtmaͤßig, als wenn
ſie von einer mirßiſchen Tochter geboren waͤ-
ren. Das Verloͤbniß und die Hochzeit wer-
den mit ſonderbaren Gebraͤuchen verrichtet.
Wann beyderſeitige Aeltern wegen der Heirat
ihrer Kinder einig ſind: ſo laͤſſet der Braut
Vater ein kleines Haͤuschen bauen, davon
die Thuͤre in ſein Schlafzimmer gehet, und
darein ein ſo kleines Fenſter machen, daß ein
Menſch kaum ſeinen Kopf durchſtecken kann.
[Spaltenumbruch]
Durch dieſes iſt es dem Braͤutigam vergoͤnnet,
ſeine Braut zu Nachtzeit zu kuͤſſen, und mit
ihr die Art und Weiſe zu verabreden, wie ſie
mit einander entwiſchen wollen. Die Ael-
tern und Bruͤder lauren der Braut ſorgfaͤltig
auf, da indeſſen der Braͤutigam bemuͤhet iſt,
ſie entweder verſtolener Weiſe oder mit Gewalt
zu entfuͤhren. Es kommt oft dabey zum
Handgemenge, iedoch nur mit Faͤuſten und
Peitſchen, Kamtſchi genennet: und wenn ſie
den Braͤutigam gefangen bekommen; ſo laſ-
ſen ſie ihn nicht ohne Loͤſegeld wieder los.
Wenn aber in dieſem Streite der Braͤutigam
der Braut beykommen kann: ſo gehet er be-
herzt hinein, nimmt ſie weg, pluͤndert ihre
kleine Wohnung aus, und behaͤlt alles, was
er darinnen findet, zu ſeinem Brautſchatze.
Ihre Bruͤder verfolgen ſie, nachdem man ſie
ſolchergeſtalt weggenommen hat, in Geſell-
ſchaft ihrer Anverwandten; und wenn ſie ih-
rer koͤnnen habhaft werden, ehe ſie ihres Braͤu-
tigams Zelt erlanget: ſo muß er ſie entweder
loͤſen, oder ſie ohne Mitgabe nehmen. In
dem Augenblicke aber, da ſie ſein Zelt errei-
chet, hat der Krieg ein Ende und verwandelt
ſich in eine Hochzeit. Von den Toͤchtern die-
ſer Mirßen werden Dinge erzaͤhlet, die beſon-
ders merkwuͤrdig und zu bewundern ſind.
Wann ſie mannbar werden und zum erſten
ihre monatliche Reinigung haben; und ſollten
ſie bisher noch ſo ſtark und geſund geweſen
ſeyn: ſo werden ſie gleich mit einer Gattung
der Mondſucht befallen. Dieſes erwecket bey
den Aeltern eine große Freude, und ſie wuͤn-
ſchen einander dazu Gluͤck, als zu einer Sa-
che, die ein offenbares Kennzeichen ihres
adelichen Herkommens ſey, und dadurch die
Mutter von dem Ehebruche losgeſprochen

wickelt,
2 B 2
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[195/0281] 8. Bajeßid der II Gelegenheit zu entſetzlichen Zerruͤttungen in ſelbigem Reiche gab. Bajeßid ſowol, als der Koͤnig in Aegypten, Kajetbajs Nachfolger, waren darinnen ver- wickelt, Chan. Dieſer ſetzte ſich vor, dieſe Beleidi- gung zu raͤchen und allem kuͤnftigen Aufruhre vorzubeugen: unterdruͤckte aber anfangs ſei- nen Unmuth, und machte oͤffentlich bekannt, iedermann die Vergebung des Vorgegangenen angedeihen zu laſſen. Zwey Jahre hernach ſtellete er eine große Malzeit an, und ließ alle Mirßen dazu einladen. Er bewirthete die- ſelben auf das praͤchtigſte, und verzoͤgerte die Malzeit bis zu Mitternacht. Alsdann ließ er ſie insgeſamt, nachdem er ſie mit ſuͤßem Weine und Boßa (einer Art Getraͤnkes bey den Tatarn, das aus Hirſen gemacht wird) trunken gemacht hatte, in Wagen ſetzen, um nach Hauſe gefuͤhret zu werden: unterweges aber wurden ſie von Soldaten, die dazu beſtellet waren, ermordet; da ſie eben am tiefſten in der Schwelgerey lagen. Durch dieſes Trauerſpiel iſt das ganze Geſchlecht der Mirßen in der Krim gaͤnzlich ausgerottet worden, ſo daß nur wenige uͤbrig geblieben ſind, die ſich damals außer Landes befanden. Die andern ſcythiſchen Voͤlker aber haben ihre Mirßen noch, ſonderlich in Budſchak, wel- ches das Beſſarabien der Alten iſt. Die Toͤchter dieſer Mirßen heiraten keinen andern, als einen Mirßa: allein die Soͤhne haben die Freyheit, Slawinnen zu nehmen, und ihre Kinder ſind eben ſo rechtmaͤßig, als wenn ſie von einer mirßiſchen Tochter geboren waͤ- ren. Das Verloͤbniß und die Hochzeit wer- den mit ſonderbaren Gebraͤuchen verrichtet. Wann beyderſeitige Aeltern wegen der Heirat ihrer Kinder einig ſind: ſo laͤſſet der Braut Vater ein kleines Haͤuschen bauen, davon die Thuͤre in ſein Schlafzimmer gehet, und darein ein ſo kleines Fenſter machen, daß ein Menſch kaum ſeinen Kopf durchſtecken kann. Durch dieſes iſt es dem Braͤutigam vergoͤnnet, ſeine Braut zu Nachtzeit zu kuͤſſen, und mit ihr die Art und Weiſe zu verabreden, wie ſie mit einander entwiſchen wollen. Die Ael- tern und Bruͤder lauren der Braut ſorgfaͤltig auf, da indeſſen der Braͤutigam bemuͤhet iſt, ſie entweder verſtolener Weiſe oder mit Gewalt zu entfuͤhren. Es kommt oft dabey zum Handgemenge, iedoch nur mit Faͤuſten und Peitſchen, Kamtſchi genennet: und wenn ſie den Braͤutigam gefangen bekommen; ſo laſ- ſen ſie ihn nicht ohne Loͤſegeld wieder los. Wenn aber in dieſem Streite der Braͤutigam der Braut beykommen kann: ſo gehet er be- herzt hinein, nimmt ſie weg, pluͤndert ihre kleine Wohnung aus, und behaͤlt alles, was er darinnen findet, zu ſeinem Brautſchatze. Ihre Bruͤder verfolgen ſie, nachdem man ſie ſolchergeſtalt weggenommen hat, in Geſell- ſchaft ihrer Anverwandten; und wenn ſie ih- rer koͤnnen habhaft werden, ehe ſie ihres Braͤu- tigams Zelt erlanget: ſo muß er ſie entweder loͤſen, oder ſie ohne Mitgabe nehmen. In dem Augenblicke aber, da ſie ſein Zelt errei- chet, hat der Krieg ein Ende und verwandelt ſich in eine Hochzeit. Von den Toͤchtern die- ſer Mirßen werden Dinge erzaͤhlet, die beſon- ders merkwuͤrdig und zu bewundern ſind. Wann ſie mannbar werden und zum erſten ihre monatliche Reinigung haben; und ſollten ſie bisher noch ſo ſtark und geſund geweſen ſeyn: ſo werden ſie gleich mit einer Gattung der Mondſucht befallen. Dieſes erwecket bey den Aeltern eine große Freude, und ſie wuͤn- ſchen einander dazu Gluͤck, als zu einer Sa- che, die ein offenbares Kennzeichen ihres adelichen Herkommens ſey, und dadurch die Mutter von dem Ehebruche losgeſprochen wird, 2 B 2

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/281>, abgerufen am 22.11.2024.