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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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in dem Kuron, auszubreiten, unterstützet dieselbe durch Wunder, und bezaubert
damit das leichtglaubige Volk dergestalt, daß er im Stande ist, ein Kriegesheer
[Spaltenumbruch]
andern, das von den gewöhnlichen Abschrif-
ten gemachet, aber durch und durch häßlich
beflecket war. Die Höhle dieses Baumes war
durch die Natur und seine Zauberkünste der-
gestalt genau zugeschlossen, daß nicht die
mindeste Spur von außen zu sehen war. Als
Sofi nach der Zeit von Ismäil wegen des
Aufruhrs, den er erreget hatte, heftig aus-
gescholten wurde: so nahm er seine Zuflucht
zu seinem vorher ausgedachten Betruge, und
erbot sich, seine Lehre durch ein Wunder zu
bekräftigen. Auf dieses Anerbieten berief der
König eine Menge Leute zusammen, die bey
dem Wunderwerke zugegen seyn sollten. Die
Bedingungen dabey waren: wenn die Wahr-
heit durch ein Wunder ihre Bestätigung er-
halten würde; so sollte iedermann ohne Aus-
nahme gehalten seyn, dieselbe anzunehmen:
wo aber nicht; so sollte Schejtan Kuli, als
einem Betrieger, der Tod zu Theile werden.
Weil sie nun alle dazu einstimmeten, indem
sie von dem Betruge nichts wußten: so begab
sich der König hinaus in den Wald, in Be-
gleitung einer großen Anzahl von gelehrten
Männern und gemeinem Volke. Der Be-
trieger wendete sich selbst zu dem Könige (um,
wie er sagte, allem Verdachte eines Betrugs
vorzukommen), daß er seinem kleinen Prinzen
befehlen möchte, ihm einen Baum, welcher
ihm beliebte, anzuzeigen. Als sowol der Kö-
nig als das Volk diesen Vorschlag gut hießen:
so sagte der König zu seinem Sohne; Zeige
mir doch einen Baum in diesem Walde an.
Der junge Prinz that, wie er war angelehret
worden, und bezeichnete den alten Ahornbaum.
Schejtan nahm sogleich den Spund von der
Höhle des Baumes weg, und legte das unbe-
[Spaltenumbruch]
schriebene Buch und den alten Kuron, wie
vorhin gedacht worden, in den Baum. Nach-
dem er das Gespötte eines heuchlerischen Ge-
betes hinzu gethan hatte: so ließ er dieselben
beyderseits darinnen, und die Höhle wurde mit
eisernen Platen und Siegeln verwahret. Am
vierzehenten Tage kam das Volk wieder bey
dem Baume zusammen, und da verfügte sich
der Betrieger (mit unbewaffneten Händen
und vorhergängigem Gebete, um allen Arg-
wohn zu vermeiden) zu der Höhle, und nahm
heraus, nicht die zuletzt hineingelegten Bü-
cher, sondern zwey andere, die unterhalb
jener lagen. Er hielt dieselben gegen das
Volk empor, und fragte es: ob dieses nicht
dieselben wären, die er in ihrem Angesichte
hinein geleget hätte. Weil nun der Band
und die äußere Gestalt ganz genau einerley
waren: so antwortete das Volk; es seyen
eben dieselben Bücher. Als er ihnen nun
dieselben in die Hände gab: so fanden sie das
unbeschriebene Buch des Betriegers mit zier-
licher Schrift angefüllet, und bey angestellter
Zusammenhaltung desselben mit dem neuen
Kuron, zeigte sich durchgehends die vollkom-
menste Uebereinstimmung. Aeßiß Allah!
oder glorwürdiger Gott! war itzo das erho-
bene Geschrey: und als der alte Kuron häß-
lich mit Dinte beflecket angetroffen wurde;
so riefen sie abermals überlaut: Häk Allah!
subhan Allah! Gerechter Gott! gütiger* Gott!
Damit nun aller Argwohn wegen eines Be-
trugs auf ewig möchte ausgerottet werden:
so (sagen die Türken) behexte Sofi Ismäil
durch seine Bezauberungen dergestalt, daß er
Befehl gab, den Baum auf der Stelle zu ver-
brennen; unter dem Vorwande, um aller

von
* großer, heiliger.

8. Bajeßid der II
in dem Kuron, auszubreiten, unterſtuͤtzet dieſelbe durch Wunder, und bezaubert
damit das leichtglaubige Volk dergeſtalt, daß er im Stande iſt, ein Kriegesheer
[Spaltenumbruch]
andern, das von den gewoͤhnlichen Abſchrif-
ten gemachet, aber durch und durch haͤßlich
beflecket war. Die Hoͤhle dieſes Baumes war
durch die Natur und ſeine Zauberkuͤnſte der-
geſtalt genau zugeſchloſſen, daß nicht die
mindeſte Spur von außen zu ſehen war. Als
Sofi nach der Zeit von Ismaͤil wegen des
Aufruhrs, den er erreget hatte, heftig aus-
geſcholten wurde: ſo nahm er ſeine Zuflucht
zu ſeinem vorher ausgedachten Betruge, und
erbot ſich, ſeine Lehre durch ein Wunder zu
bekraͤftigen. Auf dieſes Anerbieten berief der
Koͤnig eine Menge Leute zuſammen, die bey
dem Wunderwerke zugegen ſeyn ſollten. Die
Bedingungen dabey waren: wenn die Wahr-
heit durch ein Wunder ihre Beſtaͤtigung er-
halten wuͤrde; ſo ſollte iedermann ohne Aus-
nahme gehalten ſeyn, dieſelbe anzunehmen:
wo aber nicht; ſo ſollte Schejtan Kuli, als
einem Betrieger, der Tod zu Theile werden.
Weil ſie nun alle dazu einſtimmeten, indem
ſie von dem Betruge nichts wußten: ſo begab
ſich der Koͤnig hinaus in den Wald, in Be-
gleitung einer großen Anzahl von gelehrten
Maͤnnern und gemeinem Volke. Der Be-
trieger wendete ſich ſelbſt zu dem Koͤnige (um,
wie er ſagte, allem Verdachte eines Betrugs
vorzukommen), daß er ſeinem kleinen Prinzen
befehlen moͤchte, ihm einen Baum, welcher
ihm beliebte, anzuzeigen. Als ſowol der Koͤ-
nig als das Volk dieſen Vorſchlag gut hießen:
ſo ſagte der Koͤnig zu ſeinem Sohne; Zeige
mir doch einen Baum in dieſem Walde an.
Der junge Prinz that, wie er war angelehret
worden, und bezeichnete den alten Ahornbaum.
Schejtan nahm ſogleich den Spund von der
Hoͤhle des Baumes weg, und legte das unbe-
[Spaltenumbruch]
ſchriebene Buch und den alten Kuron, wie
vorhin gedacht worden, in den Baum. Nach-
dem er das Geſpoͤtte eines heuchleriſchen Ge-
betes hinzu gethan hatte: ſo ließ er dieſelben
beyderſeits darinnen, und die Hoͤhle wurde mit
eiſernen Platen und Siegeln verwahret. Am
vierzehenten Tage kam das Volk wieder bey
dem Baume zuſammen, und da verfuͤgte ſich
der Betrieger (mit unbewaffneten Haͤnden
und vorhergaͤngigem Gebete, um allen Arg-
wohn zu vermeiden) zu der Hoͤhle, und nahm
heraus, nicht die zuletzt hineingelegten Buͤ-
cher, ſondern zwey andere, die unterhalb
jener lagen. Er hielt dieſelben gegen das
Volk empor, und fragte es: ob dieſes nicht
dieſelben waͤren, die er in ihrem Angeſichte
hinein geleget haͤtte. Weil nun der Band
und die aͤußere Geſtalt ganz genau einerley
waren: ſo antwortete das Volk; es ſeyen
eben dieſelben Buͤcher. Als er ihnen nun
dieſelben in die Haͤnde gab: ſo fanden ſie das
unbeſchriebene Buch des Betriegers mit zier-
licher Schrift angefuͤllet, und bey angeſtellter
Zuſammenhaltung deſſelben mit dem neuen
Kuron, zeigte ſich durchgehends die vollkom-
menſte Uebereinſtimmung. Aeßiß Allah!
oder glorwuͤrdiger Gott! war itzo das erho-
bene Geſchrey: und als der alte Kuron haͤß-
lich mit Dinte beflecket angetroffen wurde;
ſo riefen ſie abermals uͤberlaut: Haͤk Allah!
ſubhan Allah! Gerechter Gott! guͤtiger* Gott!
Damit nun aller Argwohn wegen eines Be-
trugs auf ewig moͤchte ausgerottet werden:
ſo (ſagen die Tuͤrken) behexte Sofi Ismaͤil
durch ſeine Bezauberungen dergeſtalt, daß er
Befehl gab, den Baum auf der Stelle zu ver-
brennen; unter dem Vorwande, um aller

von
* großer, heiliger.
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[199/0285] 8. Bajeßid der II in dem Kuron, auszubreiten, unterſtuͤtzet dieſelbe durch Wunder, und bezaubert damit das leichtglaubige Volk dergeſtalt, daß er im Stande iſt, ein Kriegesheer von andern, das von den gewoͤhnlichen Abſchrif- ten gemachet, aber durch und durch haͤßlich beflecket war. Die Hoͤhle dieſes Baumes war durch die Natur und ſeine Zauberkuͤnſte der- geſtalt genau zugeſchloſſen, daß nicht die mindeſte Spur von außen zu ſehen war. Als Sofi nach der Zeit von Ismaͤil wegen des Aufruhrs, den er erreget hatte, heftig aus- geſcholten wurde: ſo nahm er ſeine Zuflucht zu ſeinem vorher ausgedachten Betruge, und erbot ſich, ſeine Lehre durch ein Wunder zu bekraͤftigen. Auf dieſes Anerbieten berief der Koͤnig eine Menge Leute zuſammen, die bey dem Wunderwerke zugegen ſeyn ſollten. Die Bedingungen dabey waren: wenn die Wahr- heit durch ein Wunder ihre Beſtaͤtigung er- halten wuͤrde; ſo ſollte iedermann ohne Aus- nahme gehalten ſeyn, dieſelbe anzunehmen: wo aber nicht; ſo ſollte Schejtan Kuli, als einem Betrieger, der Tod zu Theile werden. Weil ſie nun alle dazu einſtimmeten, indem ſie von dem Betruge nichts wußten: ſo begab ſich der Koͤnig hinaus in den Wald, in Be- gleitung einer großen Anzahl von gelehrten Maͤnnern und gemeinem Volke. Der Be- trieger wendete ſich ſelbſt zu dem Koͤnige (um, wie er ſagte, allem Verdachte eines Betrugs vorzukommen), daß er ſeinem kleinen Prinzen befehlen moͤchte, ihm einen Baum, welcher ihm beliebte, anzuzeigen. Als ſowol der Koͤ- nig als das Volk dieſen Vorſchlag gut hießen: ſo ſagte der Koͤnig zu ſeinem Sohne; Zeige mir doch einen Baum in dieſem Walde an. Der junge Prinz that, wie er war angelehret worden, und bezeichnete den alten Ahornbaum. Schejtan nahm ſogleich den Spund von der Hoͤhle des Baumes weg, und legte das unbe- ſchriebene Buch und den alten Kuron, wie vorhin gedacht worden, in den Baum. Nach- dem er das Geſpoͤtte eines heuchleriſchen Ge- betes hinzu gethan hatte: ſo ließ er dieſelben beyderſeits darinnen, und die Hoͤhle wurde mit eiſernen Platen und Siegeln verwahret. Am vierzehenten Tage kam das Volk wieder bey dem Baume zuſammen, und da verfuͤgte ſich der Betrieger (mit unbewaffneten Haͤnden und vorhergaͤngigem Gebete, um allen Arg- wohn zu vermeiden) zu der Hoͤhle, und nahm heraus, nicht die zuletzt hineingelegten Buͤ- cher, ſondern zwey andere, die unterhalb jener lagen. Er hielt dieſelben gegen das Volk empor, und fragte es: ob dieſes nicht dieſelben waͤren, die er in ihrem Angeſichte hinein geleget haͤtte. Weil nun der Band und die aͤußere Geſtalt ganz genau einerley waren: ſo antwortete das Volk; es ſeyen eben dieſelben Buͤcher. Als er ihnen nun dieſelben in die Haͤnde gab: ſo fanden ſie das unbeſchriebene Buch des Betriegers mit zier- licher Schrift angefuͤllet, und bey angeſtellter Zuſammenhaltung deſſelben mit dem neuen Kuron, zeigte ſich durchgehends die vollkom- menſte Uebereinſtimmung. Aeßiß Allah! oder glorwuͤrdiger Gott! war itzo das erho- bene Geſchrey: und als der alte Kuron haͤß- lich mit Dinte beflecket angetroffen wurde; ſo riefen ſie abermals uͤberlaut: Haͤk Allah! ſubhan Allah! Gerechter Gott! guͤtiger * Gott! Damit nun aller Argwohn wegen eines Be- trugs auf ewig moͤchte ausgerottet werden: ſo (ſagen die Tuͤrken) behexte Sofi Ismaͤil durch ſeine Bezauberungen dergeſtalt, daß er Befehl gab, den Baum auf der Stelle zu ver- brennen; unter dem Vorwande, um aller aber- * großer, heiliger.

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/285>, abgerufen am 22.11.2024.