Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.9. Selim der I gesheere nach Asien, und traf zu Tibris 5, einer der vornehmsten Städte in Per-sien, auf einer Ebene Tschaldüran 6 genennet, das feindliche Heer an, das nicht geringer war, als das seinige. Er lässet daher sogleich die Weßire und seine übrigen vornehmsten Bedienten zusammenberufen, und berathschlaget sich mit ihnen, was zu thun sey. Sie sind alle der Meinung: man müsse die Sachen nicht übereilen; die Soldaten seyen von ihrem Zuge ermüdet, und möchten sonst dem Feinde den Sieg erleichtern; man müsse daher die Schlacht bis auf den folgenden Tag aufschieben, und den Truppen Zeit lassen, sich vorher etwas zu erholen. Ungeachtet dieser Rath einmüthig gebilliget wurde: so war doch Selim allein dagegen, und sagte; "Der Rath, den ihr gegeben habt, ist "dem Feinde eben sowol, als uns, vorträglich: denn sind jene nicht eben so "gut durch ihre Reise ermüdet worden? Ich sehe also nicht, warum wir ih- "nen Zeit lassen sollen, desto besser uns Widerstand zu thun und sich auf die "Schlacht gefaßt zu machen. Wahrhaftig, itzo merke ich unsern Fehler, daß "wir sie nicht gleich bey dem ersten Anblicke angegriffen, und vor der Schlacht, "und nicht vielmehr nach derselben, wegen Ausruhung unserer Leute gerath- "schlaget haben." 5. Nachdem er diese Worte gesagt hatte: so ließ er den Kriegesrathbilliget den Rath 7 Defterdar] Dieses Wort kommt her von dem persischen Defter, Rechnungen oder Rechnungsbücher, und Dar, ein Bewahrer; oder, wenn dieses iemandem besser gefällt, von dem griechischen [fremdsprachliches Material - Zeichen fehlt], die Haut oder das Pergamen, darauf man schriebe. Es ist ein sehr hohes Amt an dem osmani- schen Hofe, und die Person, die dasselbe be- kleidet, hat die Verwaltung über die gesam- ten äußern Einkünfte. Wenn aber ein Se- kretär oder Efendi dieses Amt versiehet: so kann derselbe nichts thun, ohne Einwilligung des Weßirs. Ist es hingegen ein Pascha von dreyen Tug, der demselben vorstehet: so nimmt er das Tugra mit sich, auch ohne [Spaltenumbruch] Vorwissen des Weßirs, und lässet das Fer- man in seinem eigenen Namen ausfertigen. Allein, dieses geschiehet selten, außer wann der Weßir blödes Verstandes oder unwissend ist, und der Kaiser das Belieben hat, diese Stelle einem Manne von größerm Ansehen anzuvertrauen. Der Defterdar hat zwölf Kammern, Kälem genennet, unter sich, dar- ein die gesammten Einkünfte, Tribute und Zölle des ganzen Reichs zusammengebracht und die Solde der Kriegsleute ausgetheilet werden, iedoch unter verschiedenen Vorstehern. Der Defterdar stehet der ersten Kammer vor, aus der alle Befehle wegen Erhebung der Tri- bute und Zölle ausgefertiget werden, sowol an Sache * der alte. 2 E
9. Selim der I gesheere nach Aſien, und traf zu Tibris 5, einer der vornehmſten Staͤdte in Per-ſien, auf einer Ebene Tſchalduͤran 6 genennet, das feindliche Heer an, das nicht geringer war, als das ſeinige. Er laͤſſet daher ſogleich die Weßire und ſeine uͤbrigen vornehmſten Bedienten zuſammenberufen, und berathſchlaget ſich mit ihnen, was zu thun ſey. Sie ſind alle der Meinung: man muͤſſe die Sachen nicht uͤbereilen; die Soldaten ſeyen von ihrem Zuge ermuͤdet, und moͤchten ſonſt dem Feinde den Sieg erleichtern; man muͤſſe daher die Schlacht bis auf den folgenden Tag aufſchieben, und den Truppen Zeit laſſen, ſich vorher etwas zu erholen. Ungeachtet dieſer Rath einmuͤthig gebilliget wurde: ſo war doch Selim allein dagegen, und ſagte; “Der Rath, den ihr gegeben habt, iſt “dem Feinde eben ſowol, als uns, vortraͤglich: denn ſind jene nicht eben ſo “gut durch ihre Reiſe ermuͤdet worden? Ich ſehe alſo nicht, warum wir ih- “nen Zeit laſſen ſollen, deſto beſſer uns Widerſtand zu thun und ſich auf die “Schlacht gefaßt zu machen. Wahrhaftig, itzo merke ich unſern Fehler, daß “wir ſie nicht gleich bey dem erſten Anblicke angegriffen, und vor der Schlacht, “und nicht vielmehr nach derſelben, wegen Ausruhung unſerer Leute gerath- “ſchlaget haben.„ 5. Nachdem er dieſe Worte geſagt hatte: ſo ließ er den Kriegesrathbilliget den Rath 7 Defterdar] Dieſes Wort kommt her von dem perſiſchen Defter, Rechnungen oder Rechnungsbuͤcher, und Dar, ein Bewahrer; oder, wenn dieſes iemandem beſſer gefaͤllt, von dem griechiſchen [fremdsprachliches Material – Zeichen fehlt], die Haut oder das Pergamen, darauf man ſchriebe. Es iſt ein ſehr hohes Amt an dem osmani- ſchen Hofe, und die Perſon, die daſſelbe be- kleidet, hat die Verwaltung uͤber die geſam- ten aͤußern Einkuͤnfte. Wenn aber ein Se- kretaͤr oder Efendi dieſes Amt verſiehet: ſo kann derſelbe nichts thun, ohne Einwilligung des Weßirs. Iſt es hingegen ein Paſcha von dreyen Tug, der demſelben vorſtehet: ſo nimmt er das Tugra mit ſich, auch ohne [Spaltenumbruch] Vorwiſſen des Weßirs, und laͤſſet das Fer- man in ſeinem eigenen Namen ausfertigen. Allein, dieſes geſchiehet ſelten, außer wann der Weßir bloͤdes Verſtandes oder unwiſſend iſt, und der Kaiſer das Belieben hat, dieſe Stelle einem Manne von groͤßerm Anſehen anzuvertrauen. Der Defterdar hat zwoͤlf Kammern, Kaͤlem genennet, unter ſich, dar- ein die geſammten Einkuͤnfte, Tribute und Zoͤlle des ganzen Reichs zuſammengebracht und die Solde der Kriegsleute ausgetheilet werden, iedoch unter verſchiedenen Vorſtehern. Der Defterdar ſtehet der erſten Kammer vor, aus der alle Befehle wegen Erhebung der Tri- bute und Zoͤlle ausgefertiget werden, ſowol an Sache * der alte. 2 E
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0305" n="217"/><fw place="top" type="header">9. Selim der <hi rendition="#aq">I</hi></fw><lb/> gesheere nach Aſien, und traf zu Tibris <note place="end" n="5"/>, einer der vornehmſten Staͤdte in Per-<lb/> ſien, auf einer Ebene Tſchalduͤran <note place="end" n="6"/> genennet, das feindliche Heer an, das nicht<lb/> geringer war, als das ſeinige. Er laͤſſet daher ſogleich die Weßire und ſeine<lb/> uͤbrigen vornehmſten Bedienten zuſammenberufen, und berathſchlaget ſich mit<lb/> ihnen, was zu thun ſey. Sie ſind alle der Meinung: man muͤſſe die Sachen<lb/> nicht uͤbereilen; die Soldaten ſeyen von ihrem Zuge ermuͤdet, und moͤchten<lb/> ſonſt dem Feinde den Sieg erleichtern; man muͤſſe daher die Schlacht bis auf<lb/> den folgenden Tag aufſchieben, und den Truppen Zeit laſſen, ſich vorher etwas<lb/> zu erholen. Ungeachtet dieſer Rath einmuͤthig gebilliget wurde: ſo war doch<lb/> Selim allein dagegen, und ſagte; “Der Rath, den ihr gegeben habt, iſt<lb/> “dem Feinde eben ſowol, als uns, vortraͤglich: denn ſind jene nicht eben ſo<lb/> “gut durch ihre Reiſe ermuͤdet worden? Ich ſehe alſo nicht, warum wir ih-<lb/> “nen Zeit laſſen ſollen, deſto beſſer uns Widerſtand zu thun und ſich auf die<lb/> “Schlacht gefaßt zu machen. Wahrhaftig, itzo merke ich unſern Fehler, daß<lb/> “wir ſie nicht gleich bey dem erſten Anblicke angegriffen, und vor der Schlacht,<lb/> “und nicht vielmehr nach derſelben, wegen Ausruhung unſerer Leute gerath-<lb/> “ſchlaget haben.„</p> </div><lb/> <div n="3"> <head>5.</head> <p>Nachdem er dieſe Worte geſagt hatte: ſo ließ er den Kriegesrath<note place="right">billiget den Rath<lb/> Piri Paſchas:</note><lb/> aus einander gehen, mit dem Befehle, ſich zu der Schlacht anzuſchicken.<lb/> Schickte auch unverzuͤglich nach ſeinem Defterdar <note place="end" n="7"/>, Piri<note place="foot" n="*">der alte.</note> Paſcha, der nicht<lb/> mit in dem Rathe geweſen war, und begehrete von ihm, ſeine Meinung in der<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Sache</fw><lb/><cb n="1"/><lb/><note xml:id="B305" next="#B306" place="end" n="7">Defterdar] Dieſes Wort kommt her<lb/> von dem perſiſchen Defter, Rechnungen oder<lb/> Rechnungsbuͤcher, und Dar, ein Bewahrer;<lb/> oder, wenn dieſes iemandem beſſer gefaͤllt,<lb/> von dem griechiſchen <gap reason="fm" unit="chars"/>, die Haut<lb/> oder das Pergamen, darauf man ſchriebe.<lb/> Es iſt ein ſehr hohes Amt an dem osmani-<lb/> ſchen Hofe, und die Perſon, die daſſelbe be-<lb/> kleidet, hat die Verwaltung uͤber die geſam-<lb/> ten aͤußern Einkuͤnfte. Wenn aber ein Se-<lb/> kretaͤr oder Efendi dieſes Amt verſiehet: ſo<lb/> kann derſelbe nichts thun, ohne Einwilligung<lb/> des Weßirs. Iſt es hingegen ein Paſcha von<lb/> dreyen Tug, der demſelben vorſtehet: ſo<lb/> nimmt er das Tugra mit ſich, auch ohne<lb/><cb n="2"/><lb/> Vorwiſſen des Weßirs, und laͤſſet das Fer-<lb/> man in ſeinem eigenen Namen ausfertigen.<lb/> Allein, dieſes geſchiehet ſelten, außer wann<lb/> der Weßir bloͤdes Verſtandes oder unwiſſend<lb/> iſt, und der Kaiſer das Belieben hat, dieſe<lb/> Stelle einem Manne von groͤßerm Anſehen<lb/> anzuvertrauen. Der Defterdar hat zwoͤlf<lb/> Kammern, Kaͤlem genennet, unter ſich, dar-<lb/> ein die geſammten Einkuͤnfte, Tribute und<lb/> Zoͤlle des ganzen Reichs zuſammengebracht<lb/> und die Solde der Kriegsleute ausgetheilet<lb/> werden, iedoch unter verſchiedenen Vorſtehern.<lb/> Der Defterdar ſtehet der erſten Kammer vor,<lb/> aus der alle Befehle wegen Erhebung der Tri-<lb/> bute und Zoͤlle ausgefertiget werden, ſowol an<lb/> <fw place="bottom" type="sig">2 E</fw> <fw place="bottom" type="catch">die</fw></note><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [217/0305]
9. Selim der I
gesheere nach Aſien, und traf zu Tibris
⁵
, einer der vornehmſten Staͤdte in Per-
ſien, auf einer Ebene Tſchalduͤran
⁶
genennet, das feindliche Heer an, das nicht
geringer war, als das ſeinige. Er laͤſſet daher ſogleich die Weßire und ſeine
uͤbrigen vornehmſten Bedienten zuſammenberufen, und berathſchlaget ſich mit
ihnen, was zu thun ſey. Sie ſind alle der Meinung: man muͤſſe die Sachen
nicht uͤbereilen; die Soldaten ſeyen von ihrem Zuge ermuͤdet, und moͤchten
ſonſt dem Feinde den Sieg erleichtern; man muͤſſe daher die Schlacht bis auf
den folgenden Tag aufſchieben, und den Truppen Zeit laſſen, ſich vorher etwas
zu erholen. Ungeachtet dieſer Rath einmuͤthig gebilliget wurde: ſo war doch
Selim allein dagegen, und ſagte; “Der Rath, den ihr gegeben habt, iſt
“dem Feinde eben ſowol, als uns, vortraͤglich: denn ſind jene nicht eben ſo
“gut durch ihre Reiſe ermuͤdet worden? Ich ſehe alſo nicht, warum wir ih-
“nen Zeit laſſen ſollen, deſto beſſer uns Widerſtand zu thun und ſich auf die
“Schlacht gefaßt zu machen. Wahrhaftig, itzo merke ich unſern Fehler, daß
“wir ſie nicht gleich bey dem erſten Anblicke angegriffen, und vor der Schlacht,
“und nicht vielmehr nach derſelben, wegen Ausruhung unſerer Leute gerath-
“ſchlaget haben.„
5. Nachdem er dieſe Worte geſagt hatte: ſo ließ er den Kriegesrath
aus einander gehen, mit dem Befehle, ſich zu der Schlacht anzuſchicken.
Schickte auch unverzuͤglich nach ſeinem Defterdar
⁷
, Piri * Paſcha, der nicht
mit in dem Rathe geweſen war, und begehrete von ihm, ſeine Meinung in der
Sache
⁷ Defterdar] Dieſes Wort kommt her
von dem perſiſchen Defter, Rechnungen oder
Rechnungsbuͤcher, und Dar, ein Bewahrer;
oder, wenn dieſes iemandem beſſer gefaͤllt,
von dem griechiſchen _ , die Haut
oder das Pergamen, darauf man ſchriebe.
Es iſt ein ſehr hohes Amt an dem osmani-
ſchen Hofe, und die Perſon, die daſſelbe be-
kleidet, hat die Verwaltung uͤber die geſam-
ten aͤußern Einkuͤnfte. Wenn aber ein Se-
kretaͤr oder Efendi dieſes Amt verſiehet: ſo
kann derſelbe nichts thun, ohne Einwilligung
des Weßirs. Iſt es hingegen ein Paſcha von
dreyen Tug, der demſelben vorſtehet: ſo
nimmt er das Tugra mit ſich, auch ohne
Vorwiſſen des Weßirs, und laͤſſet das Fer-
man in ſeinem eigenen Namen ausfertigen.
Allein, dieſes geſchiehet ſelten, außer wann
der Weßir bloͤdes Verſtandes oder unwiſſend
iſt, und der Kaiſer das Belieben hat, dieſe
Stelle einem Manne von groͤßerm Anſehen
anzuvertrauen. Der Defterdar hat zwoͤlf
Kammern, Kaͤlem genennet, unter ſich, dar-
ein die geſammten Einkuͤnfte, Tribute und
Zoͤlle des ganzen Reichs zuſammengebracht
und die Solde der Kriegsleute ausgetheilet
werden, iedoch unter verſchiedenen Vorſtehern.
Der Defterdar ſtehet der erſten Kammer vor,
aus der alle Befehle wegen Erhebung der Tri-
bute und Zoͤlle ausgefertiget werden, ſowol an
die
billiget den Rath
Piri Paſchas:
* der alte.
2 E
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |