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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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9. Selim der I
spießen auf dieselben loszugehen; dadurch die eine Hälfte von des Feindes lin-
kem Flügel geschlagen, und die Uebrigen die Flucht zu ergreifen gezwungen wur-
den. Sobald der Schah siehet, daß der linke Flügel der Perser in Gefahr ist:
so verlässet er den rechten, und kommt ihm mit seinen besten Truppen zu Hülfe;
treibet auch die Türken, die schon im Begriffe waren, die Uebergebliebenen vol-
lends zu Grunde zu richten, tapfer zurück. Selim auf der andern Seite, der
da merket, daß sein rechter Flügel durch die Menge ins Gedränge gekommen ist,
stellet ihnen dreyzehen tausend Jeng-itscheri an die Seite, mit Befehl, anfangs
auf die Feinde in einiger Entfernung mit Schießgewehre zu feuren, und sie hier-
auf mit dem Säbel in der Faust anzugreifen; um solchergestalt, wann sie die
Hitze des Treffens auf sich lenkten, den andern Zeit zu verschaffen, daß sie sich
wieder in Ordnung stellen könnten. Diesen seinen Befehlen wird eifrig nach-
gelebet, und die Perser so muthig angegriffen, daß sie anfangs sachte weichen,
und endlich die weite Flucht nehmen. Als die Perser am rechten Flügel, die
die Anfälle der Türken noch immer beherzt aushielten, dieses gewahr wurden,
und nunmehr an dem Siege verzagten: so flohen sie gleichfals, um noch ihr Le-
ben zu retten. Nachdem solchergestalt die Perser allenthalben überwunden und
mit Schimpfe in die Flucht getrieben waren: so wurden sie von den türkischen
Soldaten erschlagen, gefangen, und dergestalt übel zugerichtet, daß es ihnen
zur ewigen Schande gereichet. Der Schah selbst kam mit genauer Noth durch
den schnellen Lauf seines Pferdes davon: aber auch dieses würde ihn nicht der
Gefahr entrissen haben, wenn nicht die einbrechende Nacht dem Nachsetzen ein
Ende gemacht hätte. Die Perser verloren in der Schlacht, ohne die vielen tau-
send Erschlagenen 12, die Anführer beyder Flügel, Mehemmed Chan und Tekje-
li Chan, die beherztesten und tapfersten Feldherren selbiger Zeit in Persien.

7.

Dieser Sieg würde noch weit größer und vollständiger gewesen seyn:lässet die müsül-
manischen Ge-
fangenen los.

wenn nicht Selim es für gefährlich gehalten hätte, in der Nacht durch beschwer-
[Spaltenumbruch]

Gebäude zu sehen, das auf funfzig achteckigen
marmornen Säulen stehet, am Eingange des
innern Hafens, Pera gegen über. In die-
sem Gebäude pfleget Bostandschi Baschi im
Frühlinge zu wohnen. Denn nahe dabey
ist ein Thor, das zu der kaiserlichen Hofhal-
tung führet, da die Bostandschi ihre bestimm-
ten Wohnungen haben, und da noch ein an-
deres Zimmer für ihn ist, Jali Kjöschkji* ge-
nennet.
[Spaltenumbruch]
11 Straßen und Gassen] Sokak be
Sokak, Straßen bey Straßen. Eine türki-
sche Art zu reden, die so viel bedeutet, als hier
und da unordentlich liegende Haufen.
12 viele tausend Erschlagenen] Unge-
achtet dieses ein heftiges und blutiges Treffen
gewesen ist: so wird doch die Anzahl der Er-
schlagenen auf beyden Seiten von den türki-
schen Geschichtschreibern nicht gemeldet.

liche
* auf Deutsch, der Palast am Ufer.
2 E 3

9. Selim der I
ſpießen auf dieſelben loszugehen; dadurch die eine Haͤlfte von des Feindes lin-
kem Fluͤgel geſchlagen, und die Uebrigen die Flucht zu ergreifen gezwungen wur-
den. Sobald der Schah ſiehet, daß der linke Fluͤgel der Perſer in Gefahr iſt:
ſo verlaͤſſet er den rechten, und kommt ihm mit ſeinen beſten Truppen zu Huͤlfe;
treibet auch die Tuͤrken, die ſchon im Begriffe waren, die Uebergebliebenen vol-
lends zu Grunde zu richten, tapfer zuruͤck. Selim auf der andern Seite, der
da merket, daß ſein rechter Fluͤgel durch die Menge ins Gedraͤnge gekommen iſt,
ſtellet ihnen dreyzehen tauſend Jeng-itſcheri an die Seite, mit Befehl, anfangs
auf die Feinde in einiger Entfernung mit Schießgewehre zu feuren, und ſie hier-
auf mit dem Saͤbel in der Fauſt anzugreifen; um ſolchergeſtalt, wann ſie die
Hitze des Treffens auf ſich lenkten, den andern Zeit zu verſchaffen, daß ſie ſich
wieder in Ordnung ſtellen koͤnnten. Dieſen ſeinen Befehlen wird eifrig nach-
gelebet, und die Perſer ſo muthig angegriffen, daß ſie anfangs ſachte weichen,
und endlich die weite Flucht nehmen. Als die Perſer am rechten Fluͤgel, die
die Anfaͤlle der Tuͤrken noch immer beherzt aushielten, dieſes gewahr wurden,
und nunmehr an dem Siege verzagten: ſo flohen ſie gleichfals, um noch ihr Le-
ben zu retten. Nachdem ſolchergeſtalt die Perſer allenthalben uͤberwunden und
mit Schimpfe in die Flucht getrieben waren: ſo wurden ſie von den tuͤrkiſchen
Soldaten erſchlagen, gefangen, und dergeſtalt uͤbel zugerichtet, daß es ihnen
zur ewigen Schande gereichet. Der Schah ſelbſt kam mit genauer Noth durch
den ſchnellen Lauf ſeines Pferdes davon: aber auch dieſes wuͤrde ihn nicht der
Gefahr entriſſen haben, wenn nicht die einbrechende Nacht dem Nachſetzen ein
Ende gemacht haͤtte. Die Perſer verloren in der Schlacht, ohne die vielen tau-
ſend Erſchlagenen 12, die Anfuͤhrer beyder Fluͤgel, Mehemmed Chan und Tekje-
li Chan, die beherzteſten und tapferſten Feldherren ſelbiger Zeit in Perſien.

7.

Dieſer Sieg wuͤrde noch weit groͤßer und vollſtaͤndiger geweſen ſeyn:laͤſſet die muͤſuͤl-
maniſchen Ge-
fangenen los.

wenn nicht Selim es fuͤr gefaͤhrlich gehalten haͤtte, in der Nacht durch beſchwer-
[Spaltenumbruch]

Gebaͤude zu ſehen, das auf funfzig achteckigen
marmornen Saͤulen ſtehet, am Eingange des
innern Hafens, Pera gegen uͤber. In die-
ſem Gebaͤude pfleget Boſtandſchi Baſchi im
Fruͤhlinge zu wohnen. Denn nahe dabey
iſt ein Thor, das zu der kaiſerlichen Hofhal-
tung fuͤhret, da die Boſtandſchi ihre beſtimm-
ten Wohnungen haben, und da noch ein an-
deres Zimmer fuͤr ihn iſt, Jali Kjoͤſchkji* ge-
nennet.
[Spaltenumbruch]
11 Straßen und Gaſſen] Sokak be
Sokak, Straßen bey Straßen. Eine tuͤrki-
ſche Art zu reden, die ſo viel bedeutet, als hier
und da unordentlich liegende Haufen.
12 viele tauſend Erſchlagenen] Unge-
achtet dieſes ein heftiges und blutiges Treffen
geweſen iſt: ſo wird doch die Anzahl der Er-
ſchlagenen auf beyden Seiten von den tuͤrki-
ſchen Geſchichtſchreibern nicht gemeldet.

liche
* auf Deutſch, der Palaſt am Ufer.
2 E 3
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[221/0309] 9. Selim der I ſpießen auf dieſelben loszugehen; dadurch die eine Haͤlfte von des Feindes lin- kem Fluͤgel geſchlagen, und die Uebrigen die Flucht zu ergreifen gezwungen wur- den. Sobald der Schah ſiehet, daß der linke Fluͤgel der Perſer in Gefahr iſt: ſo verlaͤſſet er den rechten, und kommt ihm mit ſeinen beſten Truppen zu Huͤlfe; treibet auch die Tuͤrken, die ſchon im Begriffe waren, die Uebergebliebenen vol- lends zu Grunde zu richten, tapfer zuruͤck. Selim auf der andern Seite, der da merket, daß ſein rechter Fluͤgel durch die Menge ins Gedraͤnge gekommen iſt, ſtellet ihnen dreyzehen tauſend Jeng-itſcheri an die Seite, mit Befehl, anfangs auf die Feinde in einiger Entfernung mit Schießgewehre zu feuren, und ſie hier- auf mit dem Saͤbel in der Fauſt anzugreifen; um ſolchergeſtalt, wann ſie die Hitze des Treffens auf ſich lenkten, den andern Zeit zu verſchaffen, daß ſie ſich wieder in Ordnung ſtellen koͤnnten. Dieſen ſeinen Befehlen wird eifrig nach- gelebet, und die Perſer ſo muthig angegriffen, daß ſie anfangs ſachte weichen, und endlich die weite Flucht nehmen. Als die Perſer am rechten Fluͤgel, die die Anfaͤlle der Tuͤrken noch immer beherzt aushielten, dieſes gewahr wurden, und nunmehr an dem Siege verzagten: ſo flohen ſie gleichfals, um noch ihr Le- ben zu retten. Nachdem ſolchergeſtalt die Perſer allenthalben uͤberwunden und mit Schimpfe in die Flucht getrieben waren: ſo wurden ſie von den tuͤrkiſchen Soldaten erſchlagen, gefangen, und dergeſtalt uͤbel zugerichtet, daß es ihnen zur ewigen Schande gereichet. Der Schah ſelbſt kam mit genauer Noth durch den ſchnellen Lauf ſeines Pferdes davon: aber auch dieſes wuͤrde ihn nicht der Gefahr entriſſen haben, wenn nicht die einbrechende Nacht dem Nachſetzen ein Ende gemacht haͤtte. Die Perſer verloren in der Schlacht, ohne die vielen tau- ſend Erſchlagenen ¹² , die Anfuͤhrer beyder Fluͤgel, Mehemmed Chan und Tekje- li Chan, die beherzteſten und tapferſten Feldherren ſelbiger Zeit in Perſien. 7. Dieſer Sieg wuͤrde noch weit groͤßer und vollſtaͤndiger geweſen ſeyn: wenn nicht Selim es fuͤr gefaͤhrlich gehalten haͤtte, in der Nacht durch beſchwer- liche Gebaͤude zu ſehen, das auf funfzig achteckigen marmornen Saͤulen ſtehet, am Eingange des innern Hafens, Pera gegen uͤber. In die- ſem Gebaͤude pfleget Boſtandſchi Baſchi im Fruͤhlinge zu wohnen. Denn nahe dabey iſt ein Thor, das zu der kaiſerlichen Hofhal- tung fuͤhret, da die Boſtandſchi ihre beſtimm- ten Wohnungen haben, und da noch ein an- deres Zimmer fuͤr ihn iſt, Jali Kjoͤſchkji * ge- nennet. ¹¹ Straßen und Gaſſen] Sokak be Sokak, Straßen bey Straßen. Eine tuͤrki- ſche Art zu reden, die ſo viel bedeutet, als hier und da unordentlich liegende Haufen. ¹² viele tauſend Erſchlagenen] Unge- achtet dieſes ein heftiges und blutiges Treffen geweſen iſt: ſo wird doch die Anzahl der Er- ſchlagenen auf beyden Seiten von den tuͤrki- ſchen Geſchichtſchreibern nicht gemeldet. laͤſſet die muͤſuͤl- maniſchen Ge- fangenen los. * auf Deutſch, der Palaſt am Ufer. 2 E 3

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/309>, abgerufen am 22.11.2024.