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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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9. Selim der I
21.

Von hier setzte er seinen Zug nach Gäßße fort. Als er hieselbst ver-besuchet Kudsi-
scherif, und
nimmt einige
Städte ein:

nimmt, daß Kudsischerif* nicht weit mehr entfernet sey: so bekommt er eine
heftige Begierde, eine Stadt zu sehen, die die Mutter so vieler Propheten, und
der Schauplatz so vieler Wunder gewesen ist. Er thut also mit wenigen Beglei-
tern eine Reise dahin, verrichtet in dreyen Tagen dasjenige, was die Religion
von ihm erforderte, und kehret wieder zu seinem Heere nach Gäßße zurück.
Hierauf verfolget er seinen Zug gerades Weges gegen Elkahire 39, und nimmt
im Vorbeyziehen Sifidülbähr 40 und Chanüldschuni ein. Er hielte es aber
nicht für rathsam, Besatzungen darein zu legen, weil diese Städte, wenn er
siegete, sich seiner Herrschaft nicht entziehen: und wenn er überwunden würde,
keine sichere Zuflucht abgeben konnten. Er ließ also nur diejenigen daselbst zu-
rück, die wegen empfangener Wunden oder langer Reise untüchtig geworden
[Spaltenumbruch]

"und Resten der Heiligen erweisen, vor-
"nehmlich auf Gott selbst führen, und nur
"nachgesetzter Weise auf das Urbild oder
"die vorgestellte Person. Denn sie beten
"die Heiligen nicht an, als Heiligen oder
"heilige Menschen: sondern als Gottes
"Knechte, oder, wie man sie nennen kann,
"Gottes Heiligen." Diese deutliche und
verständliche Erklärung unserer Lehre gefiel
dem Türken wohl: er ließ sich aber dadurch
dennoch nicht von seinem Irrthume abbrin-
gen.
37 Chani Junus] Johanns Herberge.
Ich kann nicht sagen, ob vielleicht die Leute
glauben, daß dieses das Haus des Propheten
Johannes gewesen sey.
38 Kütbujur Kajs] Ein Dorf oder Vor-
stadt von Kahire. Es scheinet ein kleiner
und schlechter Ort gewesen zu seyn: in wel-
[Spaltenumbruch]
cher Gegend aber derselbe gestanden, kann ich
nicht finden.
39 Elkahire] In unsern Landen schreibet
man es insgemein fälschlicher Weise Alkair:
gleichwie Alkoran anstatt Elkuron. Es ist
die Hauptstadt in Aegypten und aller Welt
bekannt genug, wird auch noch mit einem
andern Namen Misr genennet. Die türki-
schen Fabeln von dieser Stadt und Joseph
'*, lasse ich mit Fleiß vorbey, weil
dieselben in vielen Büchern, die von den ägypti-
schen Sachen zum Vorschein gekommen, weit-
läuftig erzählet sind.
40 Sifidülbähr u. s. w.] Heißet eigent-
lich, das weiße Meer2*. Es sind dieses zwo
Städte, deren alte Namen mir unbekannt sind.
Denn ich habe noch nicht Geschicklichkeit ge-
nug, daß ich alle die alten Benennungen,
die so lange Zeiten hindurch unter den heuti-

waren,
* Jerusalem.
* Das ist, der Allerschönste. Es ist eine allgemeine Sage unter den Morgenländern, daß der Patriarch
Joseph an Schönheit seines gleichen nicht gehabt habe. Sie geben ihn auch für einen großen Bau-
meister und Meßkünstler aus und schreiben ihm die Erbauung der Säule zu Elkahire, damit man
die Höhe des Nils misset, des Kanals zur Ableitung desselben, der Brunnen, Vorrathshäuser und
Spitzsäulen, die Abmessung und Austheilung des Landes nach der Ueberschwemmung, und andere
Thaten mehr zu.
2* So nennen die Perser das mittelländische Meer.
2 H 2
9. Selim der I
21.

Von hier ſetzte er ſeinen Zug nach Gaͤßße fort. Als er hieſelbſt ver-beſuchet Kudſi-
ſcherif, und
nimmt einige
Staͤdte ein:

nimmt, daß Kudſiſcherif* nicht weit mehr entfernet ſey: ſo bekommt er eine
heftige Begierde, eine Stadt zu ſehen, die die Mutter ſo vieler Propheten, und
der Schauplatz ſo vieler Wunder geweſen iſt. Er thut alſo mit wenigen Beglei-
tern eine Reiſe dahin, verrichtet in dreyen Tagen dasjenige, was die Religion
von ihm erforderte, und kehret wieder zu ſeinem Heere nach Gaͤßße zuruͤck.
Hierauf verfolget er ſeinen Zug gerades Weges gegen Elkahire 39, und nimmt
im Vorbeyziehen Sifiduͤlbaͤhr 40 und Chanuͤldſchuni ein. Er hielte es aber
nicht fuͤr rathſam, Beſatzungen darein zu legen, weil dieſe Staͤdte, wenn er
ſiegete, ſich ſeiner Herrſchaft nicht entziehen: und wenn er uͤberwunden wuͤrde,
keine ſichere Zuflucht abgeben konnten. Er ließ alſo nur diejenigen daſelbſt zu-
ruͤck, die wegen empfangener Wunden oder langer Reiſe untuͤchtig geworden
[Spaltenumbruch]

“und Reſten der Heiligen erweiſen, vor-
“nehmlich auf Gott ſelbſt fuͤhren, und nur
“nachgeſetzter Weiſe auf das Urbild oder
“die vorgeſtellte Perſon. Denn ſie beten
“die Heiligen nicht an, als Heiligen oder
“heilige Menſchen: ſondern als Gottes
“Knechte, oder, wie man ſie nennen kann,
“Gottes Heiligen.„ Dieſe deutliche und
verſtaͤndliche Erklaͤrung unſerer Lehre gefiel
dem Tuͤrken wohl: er ließ ſich aber dadurch
dennoch nicht von ſeinem Irrthume abbrin-
gen.
37 Chani Junus] Johanns Herberge.
Ich kann nicht ſagen, ob vielleicht die Leute
glauben, daß dieſes das Haus des Propheten
Johannes geweſen ſey.
38 Kuͤtbujur Kajs] Ein Dorf oder Vor-
ſtadt von Kahire. Es ſcheinet ein kleiner
und ſchlechter Ort geweſen zu ſeyn: in wel-
[Spaltenumbruch]
cher Gegend aber derſelbe geſtanden, kann ich
nicht finden.
39 Elkahire] In unſern Landen ſchreibet
man es insgemein faͤlſchlicher Weiſe Alkair:
gleichwie Alkoran anſtatt Elkuron. Es iſt
die Hauptſtadt in Aegypten und aller Welt
bekannt genug, wird auch noch mit einem
andern Namen Miſr genennet. Die tuͤrki-
ſchen Fabeln von dieſer Stadt und Joſeph
*, laſſe ich mit Fleiß vorbey, weil
dieſelben in vielen Buͤchern, die von den aͤgypti-
ſchen Sachen zum Vorſchein gekommen, weit-
laͤuftig erzaͤhlet ſind.
40 Sifiduͤlbaͤhr u. ſ. w.] Heißet eigent-
lich, das weiße Meer2*. Es ſind dieſes zwo
Staͤdte, deren alte Namen mir unbekannt ſind.
Denn ich habe noch nicht Geſchicklichkeit ge-
nug, daß ich alle die alten Benennungen,
die ſo lange Zeiten hindurch unter den heuti-

waren,
* Jeruſalem.
* Das iſt, der Allerſchoͤnſte. Es iſt eine allgemeine Sage unter den Morgenlaͤndern, daß der Patriarch
Joſeph an Schoͤnheit ſeines gleichen nicht gehabt habe. Sie geben ihn auch fuͤr einen großen Bau-
meiſter und Meßkuͤnſtler aus und ſchreiben ihm die Erbauung der Saͤule zu Elkahire, damit man
die Hoͤhe des Nils miſſet, des Kanals zur Ableitung deſſelben, der Brunnen, Vorrathshaͤuſer und
Spitzſaͤulen, die Abmeſſung und Austheilung des Landes nach der Ueberſchwemmung, und andere
Thaten mehr zu.
2* So nennen die Perſer das mittellaͤndiſche Meer.
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[243/0331] 9. Selim der I 21. Von hier ſetzte er ſeinen Zug nach Gaͤßße fort. Als er hieſelbſt ver- nimmt, daß Kudſiſcherif * nicht weit mehr entfernet ſey: ſo bekommt er eine heftige Begierde, eine Stadt zu ſehen, die die Mutter ſo vieler Propheten, und der Schauplatz ſo vieler Wunder geweſen iſt. Er thut alſo mit wenigen Beglei- tern eine Reiſe dahin, verrichtet in dreyen Tagen dasjenige, was die Religion von ihm erforderte, und kehret wieder zu ſeinem Heere nach Gaͤßße zuruͤck. Hierauf verfolget er ſeinen Zug gerades Weges gegen Elkahire ³⁹ , und nimmt im Vorbeyziehen Sifiduͤlbaͤhr ⁴⁰ und Chanuͤldſchuni ein. Er hielte es aber nicht fuͤr rathſam, Beſatzungen darein zu legen, weil dieſe Staͤdte, wenn er ſiegete, ſich ſeiner Herrſchaft nicht entziehen: und wenn er uͤberwunden wuͤrde, keine ſichere Zuflucht abgeben konnten. Er ließ alſo nur diejenigen daſelbſt zu- ruͤck, die wegen empfangener Wunden oder langer Reiſe untuͤchtig geworden waren, “und Reſten der Heiligen erweiſen, vor- “nehmlich auf Gott ſelbſt fuͤhren, und nur “nachgeſetzter Weiſe auf das Urbild oder “die vorgeſtellte Perſon. Denn ſie beten “die Heiligen nicht an, als Heiligen oder “heilige Menſchen: ſondern als Gottes “Knechte, oder, wie man ſie nennen kann, “Gottes Heiligen.„ Dieſe deutliche und verſtaͤndliche Erklaͤrung unſerer Lehre gefiel dem Tuͤrken wohl: er ließ ſich aber dadurch dennoch nicht von ſeinem Irrthume abbrin- gen. ³⁷ Chani Junus] Johanns Herberge. Ich kann nicht ſagen, ob vielleicht die Leute glauben, daß dieſes das Haus des Propheten Johannes geweſen ſey. ³⁸ Kuͤtbujur Kajs] Ein Dorf oder Vor- ſtadt von Kahire. Es ſcheinet ein kleiner und ſchlechter Ort geweſen zu ſeyn: in wel- cher Gegend aber derſelbe geſtanden, kann ich nicht finden. ³⁹ Elkahire] In unſern Landen ſchreibet man es insgemein faͤlſchlicher Weiſe Alkair: gleichwie Alkoran anſtatt Elkuron. Es iſt die Hauptſtadt in Aegypten und aller Welt bekannt genug, wird auch noch mit einem andern Namen Miſr genennet. Die tuͤrki- ſchen Fabeln von dieſer Stadt und Joſeph ’ *, laſſe ich mit Fleiß vorbey, weil dieſelben in vielen Buͤchern, die von den aͤgypti- ſchen Sachen zum Vorſchein gekommen, weit- laͤuftig erzaͤhlet ſind. ⁴⁰ Sifiduͤlbaͤhr u. ſ. w.] Heißet eigent- lich, das weiße Meer 2*. Es ſind dieſes zwo Staͤdte, deren alte Namen mir unbekannt ſind. Denn ich habe noch nicht Geſchicklichkeit ge- nug, daß ich alle die alten Benennungen, die ſo lange Zeiten hindurch unter den heuti- gen beſuchet Kudſi- ſcherif, und nimmt einige Staͤdte ein: * Jeruſalem. * Das iſt, der Allerſchoͤnſte. Es iſt eine allgemeine Sage unter den Morgenlaͤndern, daß der Patriarch Joſeph an Schoͤnheit ſeines gleichen nicht gehabt habe. Sie geben ihn auch fuͤr einen großen Bau- meiſter und Meßkuͤnſtler aus und ſchreiben ihm die Erbauung der Saͤule zu Elkahire, damit man die Hoͤhe des Nils miſſet, des Kanals zur Ableitung deſſelben, der Brunnen, Vorrathshaͤuſer und Spitzſaͤulen, die Abmeſſung und Austheilung des Landes nach der Ueberſchwemmung, und andere Thaten mehr zu. 2* So nennen die Perſer das mittellaͤndiſche Meer. 2 H 2

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/331>, abgerufen am 22.11.2024.