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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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9. Selim der I
ten Fürsten, machten Selim von Hochmuthe dergestalt aufgeblasen, daß er der
Oberherr der ganzen Welt zu seyn glaubte, und die irdischen Königreiche mit
Verachtung ansahe; auch so gar sich einbildete, daß die himmlischen Königreiche,
wenn er sie nur erreichen könnte, sich seinem Schwerte ergeben müßten. Nach-
dem er also seinen sieghaften Einzug zu Constantinopel mitten unter dem Zurufen
des Volks gehalten hatte: so verband er sich im nächstfolgenden Jahre (ebenH. 926.


J. C. 1520.

als wenn das unbeständige Kriegesglück zu seinem Gebote stehen müßte) öffent-
lich mit einem Eide 52, nicht wieder zurück zu kehren, bis er seinen Nebenbuhler,
das Königreich Persien, gänzlich verwüstet, und ein Volk, das Gott treulos
und den Menschen verhaßt sey, völlig vertilget hätte; in der festen Einbildung,
daß er alsdann auch die christlichen Fürsten ohne Schwierigkeit unter seine Ge-
walt bringen könnte. Allein, wie betrüglich der Menschen Anschläge ohne Gott,
und wie schwach ein Erdenkloß sey, wenn er sich in seinem Hochmuthe aufblähet:
das hat der oberste Regierer der Welt, andern zur Warnung, durch folgendes
Beyspiel klärlich bewiesen. Der Mangel am Gelde, weil sowol die äußere als
innere Schatzkammer 53 durch den ägyptischen Feldzug erschöpfet waren, nöthigte
Selim, seinen vorhabenden Krieg das erste Jahr aufzuschieben, und seine Ge-
danken darauf zu richten, wie er von den eroberten Landschaften frischen Vor-
rath erheben möchte. Weil aber dieses auch im nächstfolgenden Jahre lang-
[Spaltenumbruch]
trabend sind: so achten sie dennoch die Be-
nennung Ssillüllah, Gottes Schatten, höher,
als die übrigen; weil ihnen dieselbe von dem
Könige in Persien gegeben wird, wie ich hier
erwähnet habe. Jedoch werden diese Titel
bey Hofe, wann des Sultans Erwähnung
geschiehet, niemals gebrauchet: sondern die
gewöhnlichen Benennungen sind, Padischahi*
Alem Penah, der Kaiser, die Zuflucht oder
der Schutz der Welt; und, Oliosman Padi-
schahi, Kaiser der Nachkommen Osmans.
Denn durch diese Benennung wollen sie zu ver-
stehen geben, daß das gesamte Volk der Tür-
ken keine andere Quelle des Adels erkenne,
als seinen ersten Kaiser Osman.
[Spaltenumbruch]
52 Eide] Die Türken glauben, ihr Kai-
ser könne nichts sagen noch thun, als aus
göttlichem Antriebe. Was also derselbe mit
einem Eide bekräftiget: das muß und kann
auch geschehen. Wie falsch aber diese Ein-
bildung sey, das hat die Erfahrung oft aus-
gewiesen.
53 äußere u. s. w.] Die Türken haben
zwo Schatzkammern, und zweene Kästen, dar-
innen die öffentlichen Gelder aufbehalten wer-
den. Der Defterdar oder Großschatzmeister
(dessen in einer der vorhergehenden Anmer-
kungen2* gedacht worden) ist über die äußere
gesetzt, Dischi-Chäßine genennet. Dieses Geld

samer
* Padschah oder Padischah wird hergeleitet von dem persischen Worte Pad, wegnehmend, vertreibend;
und Schah, König. Es soll nämlich einen König bedeuten, der Schaden und Uebel abwendet: gleich-
wie Padßehr oder Padißehr (insgemein Bezoar) eine giftvertreibende Arzney oder ein Gegengift heißet;
von Pad, und Ssehr, Gift.
2* 217 S. 7 Anm.
2 J 3

9. Selim der I
ten Fuͤrſten, machten Selim von Hochmuthe dergeſtalt aufgeblaſen, daß er der
Oberherr der ganzen Welt zu ſeyn glaubte, und die irdiſchen Koͤnigreiche mit
Verachtung anſahe; auch ſo gar ſich einbildete, daß die himmliſchen Koͤnigreiche,
wenn er ſie nur erreichen koͤnnte, ſich ſeinem Schwerte ergeben muͤßten. Nach-
dem er alſo ſeinen ſieghaften Einzug zu Conſtantinopel mitten unter dem Zurufen
des Volks gehalten hatte: ſo verband er ſich im naͤchſtfolgenden Jahre (ebenH. 926.


J. C. 1520.

als wenn das unbeſtaͤndige Kriegesgluͤck zu ſeinem Gebote ſtehen muͤßte) oͤffent-
lich mit einem Eide 52, nicht wieder zuruͤck zu kehren, bis er ſeinen Nebenbuhler,
das Koͤnigreich Perſien, gaͤnzlich verwuͤſtet, und ein Volk, das Gott treulos
und den Menſchen verhaßt ſey, voͤllig vertilget haͤtte; in der feſten Einbildung,
daß er alsdann auch die chriſtlichen Fuͤrſten ohne Schwierigkeit unter ſeine Ge-
walt bringen koͤnnte. Allein, wie betruͤglich der Menſchen Anſchlaͤge ohne Gott,
und wie ſchwach ein Erdenkloß ſey, wenn er ſich in ſeinem Hochmuthe aufblaͤhet:
das hat der oberſte Regierer der Welt, andern zur Warnung, durch folgendes
Beyſpiel klaͤrlich bewieſen. Der Mangel am Gelde, weil ſowol die aͤußere als
innere Schatzkammer 53 durch den aͤgyptiſchen Feldzug erſchoͤpfet waren, noͤthigte
Selim, ſeinen vorhabenden Krieg das erſte Jahr aufzuſchieben, und ſeine Ge-
danken darauf zu richten, wie er von den eroberten Landſchaften friſchen Vor-
rath erheben moͤchte. Weil aber dieſes auch im naͤchſtfolgenden Jahre lang-
[Spaltenumbruch]
trabend ſind: ſo achten ſie dennoch die Be-
nennung Sſilluͤllah, Gottes Schatten, hoͤher,
als die uͤbrigen; weil ihnen dieſelbe von dem
Koͤnige in Perſien gegeben wird, wie ich hier
erwaͤhnet habe. Jedoch werden dieſe Titel
bey Hofe, wann des Sultans Erwaͤhnung
geſchiehet, niemals gebrauchet: ſondern die
gewoͤhnlichen Benennungen ſind, Padiſchahi*
Alem Penah, der Kaiſer, die Zuflucht oder
der Schutz der Welt; und, Oliosman Padi-
ſchahi, Kaiſer der Nachkommen Osmans.
Denn durch dieſe Benennung wollen ſie zu ver-
ſtehen geben, daß das geſamte Volk der Tuͤr-
ken keine andere Quelle des Adels erkenne,
als ſeinen erſten Kaiſer Osman.
[Spaltenumbruch]
52 Eide] Die Tuͤrken glauben, ihr Kai-
ſer koͤnne nichts ſagen noch thun, als aus
goͤttlichem Antriebe. Was alſo derſelbe mit
einem Eide bekraͤftiget: das muß und kann
auch geſchehen. Wie falſch aber dieſe Ein-
bildung ſey, das hat die Erfahrung oft aus-
gewieſen.
53 aͤußere u. ſ. w.] Die Tuͤrken haben
zwo Schatzkammern, und zweene Kaͤſten, dar-
innen die oͤffentlichen Gelder aufbehalten wer-
den. Der Defterdar oder Großſchatzmeiſter
(deſſen in einer der vorhergehenden Anmer-
kungen2* gedacht worden) iſt uͤber die aͤußere
geſetzt, Diſchi-Chaͤßine genennet. Dieſes Geld

ſamer
* Padſchah oder Padiſchah wird hergeleitet von dem perſiſchen Worte Pad, wegnehmend, vertreibend;
und Schah, Koͤnig. Es ſoll naͤmlich einen Koͤnig bedeuten, der Schaden und Uebel abwendet: gleich-
wie Padßehr oder Padißehr (insgemein Bezoar) eine giftvertreibende Arzney oder ein Gegengift heißet;
von Pad, und Sſehr, Gift.
2* 217 S. 7 Anm.
2 J 3
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[253/0341] 9. Selim der I ten Fuͤrſten, machten Selim von Hochmuthe dergeſtalt aufgeblaſen, daß er der Oberherr der ganzen Welt zu ſeyn glaubte, und die irdiſchen Koͤnigreiche mit Verachtung anſahe; auch ſo gar ſich einbildete, daß die himmliſchen Koͤnigreiche, wenn er ſie nur erreichen koͤnnte, ſich ſeinem Schwerte ergeben muͤßten. Nach- dem er alſo ſeinen ſieghaften Einzug zu Conſtantinopel mitten unter dem Zurufen des Volks gehalten hatte: ſo verband er ſich im naͤchſtfolgenden Jahre (eben als wenn das unbeſtaͤndige Kriegesgluͤck zu ſeinem Gebote ſtehen muͤßte) oͤffent- lich mit einem Eide ⁵² , nicht wieder zuruͤck zu kehren, bis er ſeinen Nebenbuhler, das Koͤnigreich Perſien, gaͤnzlich verwuͤſtet, und ein Volk, das Gott treulos und den Menſchen verhaßt ſey, voͤllig vertilget haͤtte; in der feſten Einbildung, daß er alsdann auch die chriſtlichen Fuͤrſten ohne Schwierigkeit unter ſeine Ge- walt bringen koͤnnte. Allein, wie betruͤglich der Menſchen Anſchlaͤge ohne Gott, und wie ſchwach ein Erdenkloß ſey, wenn er ſich in ſeinem Hochmuthe aufblaͤhet: das hat der oberſte Regierer der Welt, andern zur Warnung, durch folgendes Beyſpiel klaͤrlich bewieſen. Der Mangel am Gelde, weil ſowol die aͤußere als innere Schatzkammer ⁵³ durch den aͤgyptiſchen Feldzug erſchoͤpfet waren, noͤthigte Selim, ſeinen vorhabenden Krieg das erſte Jahr aufzuſchieben, und ſeine Ge- danken darauf zu richten, wie er von den eroberten Landſchaften friſchen Vor- rath erheben moͤchte. Weil aber dieſes auch im naͤchſtfolgenden Jahre lang- ſamer trabend ſind: ſo achten ſie dennoch die Be- nennung Sſilluͤllah, Gottes Schatten, hoͤher, als die uͤbrigen; weil ihnen dieſelbe von dem Koͤnige in Perſien gegeben wird, wie ich hier erwaͤhnet habe. Jedoch werden dieſe Titel bey Hofe, wann des Sultans Erwaͤhnung geſchiehet, niemals gebrauchet: ſondern die gewoͤhnlichen Benennungen ſind, Padiſchahi * Alem Penah, der Kaiſer, die Zuflucht oder der Schutz der Welt; und, Oliosman Padi- ſchahi, Kaiſer der Nachkommen Osmans. Denn durch dieſe Benennung wollen ſie zu ver- ſtehen geben, daß das geſamte Volk der Tuͤr- ken keine andere Quelle des Adels erkenne, als ſeinen erſten Kaiſer Osman. ⁵² Eide] Die Tuͤrken glauben, ihr Kai- ſer koͤnne nichts ſagen noch thun, als aus goͤttlichem Antriebe. Was alſo derſelbe mit einem Eide bekraͤftiget: das muß und kann auch geſchehen. Wie falſch aber dieſe Ein- bildung ſey, das hat die Erfahrung oft aus- gewieſen. ⁵³ aͤußere u. ſ. w.] Die Tuͤrken haben zwo Schatzkammern, und zweene Kaͤſten, dar- innen die oͤffentlichen Gelder aufbehalten wer- den. Der Defterdar oder Großſchatzmeiſter (deſſen in einer der vorhergehenden Anmer- kungen 2* gedacht worden) iſt uͤber die aͤußere geſetzt, Diſchi-Chaͤßine genennet. Dieſes Geld fuͤhret H. 926. J. C. 1520. * Padſchah oder Padiſchah wird hergeleitet von dem perſiſchen Worte Pad, wegnehmend, vertreibend; und Schah, Koͤnig. Es ſoll naͤmlich einen Koͤnig bedeuten, der Schaden und Uebel abwendet: gleich- wie Padßehr oder Padißehr (insgemein Bezoar) eine giftvertreibende Arzney oder ein Gegengift heißet; von Pad, und Sſehr, Gift. 2* 217 S. 7 Anm. 2 J 3

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/341>, abgerufen am 22.11.2024.