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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
samer herging, als er es wünschte; und er bey Herannahung des Winters sahe,
daß die Zeit zu Kriegesunternehmungen vorbey war: so entschloß er sich, inzwi-
schen die Grabmäler seiner Vorfahrer zu Adrianopel zu besuchen. Zu diesem
[Spaltenumbruch]
führet den Namen Bejtül-Mali Müslimin,
oder die öffentlichen Gelder der Müsülmanen,
von denen der Kaiser selbst, außer der höch-
sten Noth, nicht das mindeste nach seinem
Gefallen ausgeben oder in seinen eigenen
Nutzen verwenden darf, ohne sich in Gefahr
zu setzen. Denn wenn er dieses thut: so
fänget das Volk allezeit an zu murren, und
manchmal erreget es einen offenbaren Aufruhr.
Itsch-Chäßine, oder die innere Schatzkammer,
führet auch den Namen des kaiserlichen
Schatzes, dessen sich der Sultan nach Belie-
ben bedienen kann, ohne das mindeste Mur-
ren oder Hinderniß zu befürchten. Diesem
stehet Chäßinedar* Baschi vor, der in dem
Frauenzimmer die nächste Würde nach Kißlar
Agasi besitzet. Denn er ist ebenfals ein Ver-
schnittener, und rücket gemeiniglich bey einer
Verledigung in den Platz des Kißlar Agas
hinauf. Zu meiner Zeit kamen jährlich in
beyde Schatzkammern sieben und zwanzig tau-
send Beutel ein, deren ieder fünfhundert
Reichsthaler (Löwenthaler) in sich hält.
54 Kaimmäkam Pascha] Dieses ist
des obersten Weßirs Verweser, und wird
von dem Sultan aus denjenigen Weßiren
genommen, die die Freyheit haben, drey Roß-
schweife zu führen. Wann der Kaiser sich
zu Constantinopel oder Adrianopel aufhält:
so hat der Kaimmäkam keine Gewalt; ja er
hat nicht einmal, wie die übrigen Weßire,
etwas mit den öffentlichen Geschäfften zu thun,
außer Rath zu geben. Wann aber der Sul-
tan acht Stunden weit von der Stadt abwe-
send ist: so ist alsdann sein Ansehen fast eben
so groß, als des obersten Weßirs. Ferner,
[Spaltenumbruch]
wenn der Kaiser zu Felde gehet; und sollte
auch der Weßir sich bey ihm gegenwärtig be-
finden: so wird ein Kaimmäkam bestellet,
der in dem Falle, da der Weßir sich acht Stun-
den weit von dem Kaiser entfernet, völlige
Gewalt hat, alle Sachen abzuhandeln, zu ord-
nen und zu ändern; ausgenommen, daß er
des Weßirs Befehlen nicht zuwider thun,
noch die alten Paschen absetzen oder enthaupten
lassen darf. Ich habe bemerket, daß zwischen
dem obersten Weßire und dem Kaimmäkam
niemals ein gutes Verständniß gewesen ist:
denn die Eintracht unter denen, die um die
Gewalt mit einander buhlen, ist eine seltene
Sache. Außer diesem Kaimmäkam giebt es
noch einen andern, dem der Kaiser, wann
derselbe nach Adrianopel oder ins Feld gehet,
die Aufsicht über die kaiserliche Residenz an-
vertrauet. Er ist zwar der Würde nach
der nächste nach dem Weßire: allein der Ge-
walt nach, ist er eben so viel, als ein Pascha
in seiner Statthalterschaft; iedoch dieses aus-
genommen, daß er in Sachen, die die Ver-
waltung der Gerechtigkeit und bürgerliche An-
gelegenheiten betreffen, nichts ohne Befehl
des obersten Weßirs thun darf. Zu Bey-
ständen sind ihm zugeordnet, ob sie gleich
der Würde nach geringer sind, Bostandschi
Baschi, oder der Oberaufseher über das kai-
serliche Seraj2* und die Gärten, auch die
Vorstädte außerhalb der Mauren, und Segj-
ban Baschi, der nächste nach Jeng-itscheriler
Agasi oder dem Aga der Jeng-itscheri, und
oberster Feldherr der Fußvölker, dem die Be-
schützung der Stadt und die Befehlhabung
über die Besatzung derselben anbefohlen ist.
Durch diese drey Personen wird die ganze

Ende
* Haßnadar.
2* Palast.

Osmaniſche Geſchichte
ſamer herging, als er es wuͤnſchte; und er bey Herannahung des Winters ſahe,
daß die Zeit zu Kriegesunternehmungen vorbey war: ſo entſchloß er ſich, inzwi-
ſchen die Grabmaͤler ſeiner Vorfahrer zu Adrianopel zu beſuchen. Zu dieſem
[Spaltenumbruch]
fuͤhret den Namen Bejtuͤl-Mali Muͤslimin,
oder die oͤffentlichen Gelder der Muͤſuͤlmanen,
von denen der Kaiſer ſelbſt, außer der hoͤch-
ſten Noth, nicht das mindeſte nach ſeinem
Gefallen ausgeben oder in ſeinen eigenen
Nutzen verwenden darf, ohne ſich in Gefahr
zu ſetzen. Denn wenn er dieſes thut: ſo
faͤnget das Volk allezeit an zu murren, und
manchmal erreget es einen offenbaren Aufruhr.
Itſch-Chaͤßine, oder die innere Schatzkammer,
fuͤhret auch den Namen des kaiſerlichen
Schatzes, deſſen ſich der Sultan nach Belie-
ben bedienen kann, ohne das mindeſte Mur-
ren oder Hinderniß zu befuͤrchten. Dieſem
ſtehet Chaͤßinedar* Baſchi vor, der in dem
Frauenzimmer die naͤchſte Wuͤrde nach Kißlar
Agaſi beſitzet. Denn er iſt ebenfals ein Ver-
ſchnittener, und ruͤcket gemeiniglich bey einer
Verledigung in den Platz des Kißlar Agas
hinauf. Zu meiner Zeit kamen jaͤhrlich in
beyde Schatzkammern ſieben und zwanzig tau-
ſend Beutel ein, deren ieder fuͤnfhundert
Reichsthaler (Loͤwenthaler) in ſich haͤlt.
54 Kaimmaͤkam Paſcha] Dieſes iſt
des oberſten Weßirs Verweſer, und wird
von dem Sultan aus denjenigen Weßiren
genommen, die die Freyheit haben, drey Roß-
ſchweife zu fuͤhren. Wann der Kaiſer ſich
zu Conſtantinopel oder Adrianopel aufhaͤlt:
ſo hat der Kaimmaͤkam keine Gewalt; ja er
hat nicht einmal, wie die uͤbrigen Weßire,
etwas mit den oͤffentlichen Geſchaͤfften zu thun,
außer Rath zu geben. Wann aber der Sul-
tan acht Stunden weit von der Stadt abwe-
ſend iſt: ſo iſt alsdann ſein Anſehen faſt eben
ſo groß, als des oberſten Weßirs. Ferner,
[Spaltenumbruch]
wenn der Kaiſer zu Felde gehet; und ſollte
auch der Weßir ſich bey ihm gegenwaͤrtig be-
finden: ſo wird ein Kaimmaͤkam beſtellet,
der in dem Falle, da der Weßir ſich acht Stun-
den weit von dem Kaiſer entfernet, voͤllige
Gewalt hat, alle Sachen abzuhandeln, zu ord-
nen und zu aͤndern; ausgenommen, daß er
des Weßirs Befehlen nicht zuwider thun,
noch die alten Paſchen abſetzen oder enthaupten
laſſen darf. Ich habe bemerket, daß zwiſchen
dem oberſten Weßire und dem Kaimmaͤkam
niemals ein gutes Verſtaͤndniß geweſen iſt:
denn die Eintracht unter denen, die um die
Gewalt mit einander buhlen, iſt eine ſeltene
Sache. Außer dieſem Kaimmaͤkam giebt es
noch einen andern, dem der Kaiſer, wann
derſelbe nach Adrianopel oder ins Feld gehet,
die Aufſicht uͤber die kaiſerliche Reſidenz an-
vertrauet. Er iſt zwar der Wuͤrde nach
der naͤchſte nach dem Weßire: allein der Ge-
walt nach, iſt er eben ſo viel, als ein Paſcha
in ſeiner Statthalterſchaft; iedoch dieſes aus-
genommen, daß er in Sachen, die die Ver-
waltung der Gerechtigkeit und buͤrgerliche An-
gelegenheiten betreffen, nichts ohne Befehl
des oberſten Weßirs thun darf. Zu Bey-
ſtaͤnden ſind ihm zugeordnet, ob ſie gleich
der Wuͤrde nach geringer ſind, Boſtandſchi
Baſchi, oder der Oberaufſeher uͤber das kai-
ſerliche Seraj2* und die Gaͤrten, auch die
Vorſtaͤdte außerhalb der Mauren, und Segj-
ban Baſchi, der naͤchſte nach Jeng-itſcheriler
Agaſi oder dem Aga der Jeng-itſcheri, und
oberſter Feldherr der Fußvoͤlker, dem die Be-
ſchuͤtzung der Stadt und die Befehlhabung
uͤber die Beſatzung derſelben anbefohlen iſt.
Durch dieſe drey Perſonen wird die ganze

Ende
* Haßnadar.
2* Palaſt.
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[254/0342] Osmaniſche Geſchichte ſamer herging, als er es wuͤnſchte; und er bey Herannahung des Winters ſahe, daß die Zeit zu Kriegesunternehmungen vorbey war: ſo entſchloß er ſich, inzwi- ſchen die Grabmaͤler ſeiner Vorfahrer zu Adrianopel zu beſuchen. Zu dieſem Ende fuͤhret den Namen Bejtuͤl-Mali Muͤslimin, oder die oͤffentlichen Gelder der Muͤſuͤlmanen, von denen der Kaiſer ſelbſt, außer der hoͤch- ſten Noth, nicht das mindeſte nach ſeinem Gefallen ausgeben oder in ſeinen eigenen Nutzen verwenden darf, ohne ſich in Gefahr zu ſetzen. Denn wenn er dieſes thut: ſo faͤnget das Volk allezeit an zu murren, und manchmal erreget es einen offenbaren Aufruhr. Itſch-Chaͤßine, oder die innere Schatzkammer, fuͤhret auch den Namen des kaiſerlichen Schatzes, deſſen ſich der Sultan nach Belie- ben bedienen kann, ohne das mindeſte Mur- ren oder Hinderniß zu befuͤrchten. Dieſem ſtehet Chaͤßinedar * Baſchi vor, der in dem Frauenzimmer die naͤchſte Wuͤrde nach Kißlar Agaſi beſitzet. Denn er iſt ebenfals ein Ver- ſchnittener, und ruͤcket gemeiniglich bey einer Verledigung in den Platz des Kißlar Agas hinauf. Zu meiner Zeit kamen jaͤhrlich in beyde Schatzkammern ſieben und zwanzig tau- ſend Beutel ein, deren ieder fuͤnfhundert Reichsthaler (Loͤwenthaler) in ſich haͤlt. ⁵⁴ Kaimmaͤkam Paſcha] Dieſes iſt des oberſten Weßirs Verweſer, und wird von dem Sultan aus denjenigen Weßiren genommen, die die Freyheit haben, drey Roß- ſchweife zu fuͤhren. Wann der Kaiſer ſich zu Conſtantinopel oder Adrianopel aufhaͤlt: ſo hat der Kaimmaͤkam keine Gewalt; ja er hat nicht einmal, wie die uͤbrigen Weßire, etwas mit den oͤffentlichen Geſchaͤfften zu thun, außer Rath zu geben. Wann aber der Sul- tan acht Stunden weit von der Stadt abwe- ſend iſt: ſo iſt alsdann ſein Anſehen faſt eben ſo groß, als des oberſten Weßirs. Ferner, wenn der Kaiſer zu Felde gehet; und ſollte auch der Weßir ſich bey ihm gegenwaͤrtig be- finden: ſo wird ein Kaimmaͤkam beſtellet, der in dem Falle, da der Weßir ſich acht Stun- den weit von dem Kaiſer entfernet, voͤllige Gewalt hat, alle Sachen abzuhandeln, zu ord- nen und zu aͤndern; ausgenommen, daß er des Weßirs Befehlen nicht zuwider thun, noch die alten Paſchen abſetzen oder enthaupten laſſen darf. Ich habe bemerket, daß zwiſchen dem oberſten Weßire und dem Kaimmaͤkam niemals ein gutes Verſtaͤndniß geweſen iſt: denn die Eintracht unter denen, die um die Gewalt mit einander buhlen, iſt eine ſeltene Sache. Außer dieſem Kaimmaͤkam giebt es noch einen andern, dem der Kaiſer, wann derſelbe nach Adrianopel oder ins Feld gehet, die Aufſicht uͤber die kaiſerliche Reſidenz an- vertrauet. Er iſt zwar der Wuͤrde nach der naͤchſte nach dem Weßire: allein der Ge- walt nach, iſt er eben ſo viel, als ein Paſcha in ſeiner Statthalterſchaft; iedoch dieſes aus- genommen, daß er in Sachen, die die Ver- waltung der Gerechtigkeit und buͤrgerliche An- gelegenheiten betreffen, nichts ohne Befehl des oberſten Weßirs thun darf. Zu Bey- ſtaͤnden ſind ihm zugeordnet, ob ſie gleich der Wuͤrde nach geringer ſind, Boſtandſchi Baſchi, oder der Oberaufſeher uͤber das kai- ſerliche Seraj 2* und die Gaͤrten, auch die Vorſtaͤdte außerhalb der Mauren, und Segj- ban Baſchi, der naͤchſte nach Jeng-itſcheriler Agaſi oder dem Aga der Jeng-itſcheri, und oberſter Feldherr der Fußvoͤlker, dem die Be- ſchuͤtzung der Stadt und die Befehlhabung uͤber die Beſatzung derſelben anbefohlen iſt. Durch dieſe drey Perſonen wird die ganze welt- * Haßnadar. 2* Palaſt.

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/342>, abgerufen am 22.11.2024.