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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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9. Selim der I
Ende schickte er alle seine hohen Bedienten voraus (ausgenommen Ferhad Pa-
scha, seiner Schwester Gemal, der Kaimmäkam Pascha 54 war), und reisete
von Constantinopel ab. Er hatte aber auf dieser Reise kaum das Dorf Suoschti 55 [Spaltenumbruch]
weltliche Regierung in der Stadt verwaltet.
Die geistliche Regierung aber stehet unter der
Aufsicht von Istambol Efendisi, dem Richter
der Geistlichkeit, der die nächste Würde nach
den zweenen Kaßijüläskjer besitzet, deren einer
(wie ich bereits oben* erwähnet habe) allge-
meiner Richter der geistlichen Sachen in Eu-
ropa, und der andere in Asien, ist.
55 Suoschti] das ist, er ist über den
Fluß geschwommen. Diesen Namen führet
ein Dorf, an der Straße (aber nicht an der
großen) von Constantinopel nach Adrianopel.
Man saget, daß das Dorf diesen Namen
bey folgender Gelegenheit bekommen habe.
Es fließet ein kleiner Fluß an dem Dorfe vor-
bey, der von dem geschmolzenen Schnee und
Regen im Herbste dergestalt aufschwillet, daß
alle die umliegenden Felder überschwemmet
werden, und es den Reisenden sehr schwer wird
hinüber zu kommen. Dieser Unbequemlichkeit
abzuhelfen, bauete ein gewisser geringer, aber
sehr reicher Pascha, über den Fluß eine recht
schöne steinerne Brücke. Als Bajeßid der II,
Selims Vater, mit seinem ganzen Heere an
diesen Ort kommt: so wundert er sich, da er
eine so herrliche Brücke hier erblicket, und be-
gehret zu wissen, wer sie gebauet habe. Als
der Pascha vor ihm erscheinet: so verlanget
er von ihm, die Kosten, die er darauf ver-
wendet, von ihm anzunehmen, und die Be-
[Spaltenumbruch]
lohnung, die in jener Welt für eine so große
Wohlthat gegen das menschliche Geschlecht
zu gewarten sey, ihn genießen zu lassen.
(Es ist nämlich zu wissen, daß, nach dem Ge-
setze des Kurons, ein Türk einem andern
alle seine guten Werke, Liebesdienste, zur Ehre
Gottes oder zum Besten der Menschen auf-
geführten Gebäude, schenken oder verkaufen
kann, so daß die Belohnung, die er dießfals
bey Gott in dem zukünftigen Leben verdienet,
dem Käufer zufället.) Der Bauherr hinge-
gen bezeuget, daß er dieses nicht eingehen
könne; weil er sonst kein Werk mehr habe,
das ihn geschickt mache, vor der göttlichen
Majestät zu erscheinen. Denn, sagt er, ich
habe diese Brücke nicht gebauet, um bey den
Menschen Lob zu verdienen; sondern zum
gemeinen Besten und zum Heile meiner Seele.
Der Sultan wiederholet sein Ansuchen zu
dreyen malen bey ihm: es wird ihm aber
eben so oft von dem Pascha geweigert. Ueber
dieser abschlägigen Antwort geräth Bajeßid
in eine solche Wut, daß er den Pascha ums
Leben bringet: hierauf aber nebst seiner Leib-
wache zu Pferde durch den schnellen Strom
setzet, und mit großer Lebensgefahr hinüber
schwimmet; und dem übrigen Heere befiehlet
er, so lange stille zu liegen, bis das Wasser
gefallen sey. Zu gleicher Zeit soll derselbe
folgenden Bejt oder Doppelvers gesaget
haben:
Minnet ile Kokma Gjüli al Eline Suseni.
Gjetschme namerd Kjüprisini, ko aparsun Su seni.
Das ist:
[Spaltenumbruch]
Es ist besser, Pfefferwurzel bey sich zu tra-
[Spaltenumbruch]
gen: als an eine Rose zu riechen, die man

errei-
* 44 S. 10 Anm.

9. Selim der I
Ende ſchickte er alle ſeine hohen Bedienten voraus (ausgenommen Ferhad Pa-
ſcha, ſeiner Schweſter Gemal, der Kaimmaͤkam Paſcha 54 war), und reiſete
von Conſtantinopel ab. Er hatte aber auf dieſer Reiſe kaum das Dorf Suoſchti 55 [Spaltenumbruch]
weltliche Regierung in der Stadt verwaltet.
Die geiſtliche Regierung aber ſtehet unter der
Aufſicht von Iſtambol Efendiſi, dem Richter
der Geiſtlichkeit, der die naͤchſte Wuͤrde nach
den zweenen Kaßijuͤlaͤskjer beſitzet, deren einer
(wie ich bereits oben* erwaͤhnet habe) allge-
meiner Richter der geiſtlichen Sachen in Eu-
ropa, und der andere in Aſien, iſt.
55 Suoſchti] das iſt, er iſt uͤber den
Fluß geſchwommen. Dieſen Namen fuͤhret
ein Dorf, an der Straße (aber nicht an der
großen) von Conſtantinopel nach Adrianopel.
Man ſaget, daß das Dorf dieſen Namen
bey folgender Gelegenheit bekommen habe.
Es fließet ein kleiner Fluß an dem Dorfe vor-
bey, der von dem geſchmolzenen Schnee und
Regen im Herbſte dergeſtalt aufſchwillet, daß
alle die umliegenden Felder uͤberſchwemmet
werden, und es den Reiſenden ſehr ſchwer wird
hinuͤber zu kommen. Dieſer Unbequemlichkeit
abzuhelfen, bauete ein gewiſſer geringer, aber
ſehr reicher Paſcha, uͤber den Fluß eine recht
ſchoͤne ſteinerne Bruͤcke. Als Bajeßid der II
Selims Vater, mit ſeinem ganzen Heere an
dieſen Ort kommt: ſo wundert er ſich, da er
eine ſo herrliche Bruͤcke hier erblicket, und be-
gehret zu wiſſen, wer ſie gebauet habe. Als
der Paſcha vor ihm erſcheinet: ſo verlanget
er von ihm, die Koſten, die er darauf ver-
wendet, von ihm anzunehmen, und die Be-
[Spaltenumbruch]
lohnung, die in jener Welt fuͤr eine ſo große
Wohlthat gegen das menſchliche Geſchlecht
zu gewarten ſey, ihn genießen zu laſſen.
(Es iſt naͤmlich zu wiſſen, daß, nach dem Ge-
ſetze des Kurons, ein Tuͤrk einem andern
alle ſeine guten Werke, Liebesdienſte, zur Ehre
Gottes oder zum Beſten der Menſchen auf-
gefuͤhrten Gebaͤude, ſchenken oder verkaufen
kann, ſo daß die Belohnung, die er dießfals
bey Gott in dem zukuͤnftigen Leben verdienet,
dem Kaͤufer zufaͤllet.) Der Bauherr hinge-
gen bezeuget, daß er dieſes nicht eingehen
koͤnne; weil er ſonſt kein Werk mehr habe,
das ihn geſchickt mache, vor der goͤttlichen
Majeſtaͤt zu erſcheinen. Denn, ſagt er, ich
habe dieſe Bruͤcke nicht gebauet, um bey den
Menſchen Lob zu verdienen; ſondern zum
gemeinen Beſten und zum Heile meiner Seele.
Der Sultan wiederholet ſein Anſuchen zu
dreyen malen bey ihm: es wird ihm aber
eben ſo oft von dem Paſcha geweigert. Ueber
dieſer abſchlaͤgigen Antwort geraͤth Bajeßid
in eine ſolche Wut, daß er den Paſcha ums
Leben bringet: hierauf aber nebſt ſeiner Leib-
wache zu Pferde durch den ſchnellen Strom
ſetzet, und mit großer Lebensgefahr hinuͤber
ſchwimmet; und dem uͤbrigen Heere befiehlet
er, ſo lange ſtille zu liegen, bis das Waſſer
gefallen ſey. Zu gleicher Zeit ſoll derſelbe
folgenden Bejt oder Doppelvers geſaget
haben:
Minnet ile Kokma Gjuͤli al Eline Suſeni.
Gjetſchme namerd Kjuͤpriſini, ko aparſun Su ſeni.
Das iſt:
[Spaltenumbruch]
Es iſt beſſer, Pfefferwurzel bey ſich zu tra-
[Spaltenumbruch]
gen: als an eine Roſe zu riechen, die man

errei-
* 44 S. 10 Anm.
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[255/0343] 9. Selim der I Ende ſchickte er alle ſeine hohen Bedienten voraus (ausgenommen Ferhad Pa- ſcha, ſeiner Schweſter Gemal, der Kaimmaͤkam Paſcha ⁵⁴ war), und reiſete von Conſtantinopel ab. Er hatte aber auf dieſer Reiſe kaum das Dorf Suoſchti ⁵⁵ errei- weltliche Regierung in der Stadt verwaltet. Die geiſtliche Regierung aber ſtehet unter der Aufſicht von Iſtambol Efendiſi, dem Richter der Geiſtlichkeit, der die naͤchſte Wuͤrde nach den zweenen Kaßijuͤlaͤskjer beſitzet, deren einer (wie ich bereits oben * erwaͤhnet habe) allge- meiner Richter der geiſtlichen Sachen in Eu- ropa, und der andere in Aſien, iſt. ⁵⁵ Suoſchti] das iſt, er iſt uͤber den Fluß geſchwommen. Dieſen Namen fuͤhret ein Dorf, an der Straße (aber nicht an der großen) von Conſtantinopel nach Adrianopel. Man ſaget, daß das Dorf dieſen Namen bey folgender Gelegenheit bekommen habe. Es fließet ein kleiner Fluß an dem Dorfe vor- bey, der von dem geſchmolzenen Schnee und Regen im Herbſte dergeſtalt aufſchwillet, daß alle die umliegenden Felder uͤberſchwemmet werden, und es den Reiſenden ſehr ſchwer wird hinuͤber zu kommen. Dieſer Unbequemlichkeit abzuhelfen, bauete ein gewiſſer geringer, aber ſehr reicher Paſcha, uͤber den Fluß eine recht ſchoͤne ſteinerne Bruͤcke. Als Bajeßid der II‚ Selims Vater, mit ſeinem ganzen Heere an dieſen Ort kommt: ſo wundert er ſich, da er eine ſo herrliche Bruͤcke hier erblicket, und be- gehret zu wiſſen, wer ſie gebauet habe. Als der Paſcha vor ihm erſcheinet: ſo verlanget er von ihm, die Koſten, die er darauf ver- wendet, von ihm anzunehmen, und die Be- lohnung, die in jener Welt fuͤr eine ſo große Wohlthat gegen das menſchliche Geſchlecht zu gewarten ſey, ihn genießen zu laſſen. (Es iſt naͤmlich zu wiſſen, daß, nach dem Ge- ſetze des Kurons, ein Tuͤrk einem andern alle ſeine guten Werke, Liebesdienſte, zur Ehre Gottes oder zum Beſten der Menſchen auf- gefuͤhrten Gebaͤude, ſchenken oder verkaufen kann, ſo daß die Belohnung, die er dießfals bey Gott in dem zukuͤnftigen Leben verdienet, dem Kaͤufer zufaͤllet.) Der Bauherr hinge- gen bezeuget, daß er dieſes nicht eingehen koͤnne; weil er ſonſt kein Werk mehr habe, das ihn geſchickt mache, vor der goͤttlichen Majeſtaͤt zu erſcheinen. Denn, ſagt er, ich habe dieſe Bruͤcke nicht gebauet, um bey den Menſchen Lob zu verdienen; ſondern zum gemeinen Beſten und zum Heile meiner Seele. Der Sultan wiederholet ſein Anſuchen zu dreyen malen bey ihm: es wird ihm aber eben ſo oft von dem Paſcha geweigert. Ueber dieſer abſchlaͤgigen Antwort geraͤth Bajeßid in eine ſolche Wut, daß er den Paſcha ums Leben bringet: hierauf aber nebſt ſeiner Leib- wache zu Pferde durch den ſchnellen Strom ſetzet, und mit großer Lebensgefahr hinuͤber ſchwimmet; und dem uͤbrigen Heere befiehlet er, ſo lange ſtille zu liegen, bis das Waſſer gefallen ſey. Zu gleicher Zeit ſoll derſelbe folgenden Bejt oder Doppelvers geſaget haben: Minnet ile Kokma Gjuͤli al Eline Suſeni. Gjetſchme namerd Kjuͤpriſini, ko aparſun Su ſeni. Das iſt: Es iſt beſſer, Pfefferwurzel bey ſich zu tra- gen: als an eine Roſe zu riechen, die man durch * 44 S. 10 Anm.

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/343>, abgerufen am 22.11.2024.