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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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10. Sülejman der I
gemeine Volk, befremden. Da sie also wahrnehmen, daß derselbe durch beson-
dere Ermahnungen nicht zum Widerrufe kann gebracht werden: so bemäch-
tigen sie sich seiner, und bringen ihn vor den Müfti. Hier wiederholet er nun
nicht allein alles öffentlich und freymüthig, was er dem Volke eingeschärfet
hatte; sondern bemühet sich auch, durch Vergleichung der christlichen Religion
mit dem Kuron, und andere starke Gründe, die Vortrefflichkeit des christlichen
Gesetzes und der Gebote des Evangeliums zu erhärten. Man ermahnet ihn
nochmals, seine Meinungen fahren zu lassen, und seinen bisherigen in rühmlicher
Heiligkeit geführten Wandel durch einen schändlichen Abfall von dem Gesetze
nicht zu beflecken. Weil er aber weder Ermahnungen noch Drohungen achtete:
so wurde er endlich auf des Kaisers Befehl zur Strafe gezogen und ihm der Kopf
abgehauen; auch ein Befehl öffentlich bekannt gemacht: daß, wer künftighin,
auch nur zur Erörterung, die Lehre Christus der Lehre Muhämmeds vorziehen
würde, eben dieselbe Strafe zu gewarten haben sollte.

13.

Um dieselbe Zeit brachen einige Diebe zu Constantinopel, nicht weitEs werden alle
Albanier zu Con-
stantinopel um-
gebracht.

von Selims Tempel 21, in eines christlichen Kaufmanns Haus ein, ermordeten
den Kaufmann, und nahmen nicht nur sein Geld, sondern auch seine Güter,
[Spaltenumbruch]

daran sich neunhundert neun und neunzig
Fenster befinden. Der Sultan hatte zwar
befohlen, tausend Fenster daran zu machen:
allein der Baumeister ließ mit allem Fleiße
eines weg. Als man nun die Fenster nach
geendigtem Baue zählete, und befand, daß
eines weniger daran war, als der kaiserliche
Befehl erforderte: so befahl der Sultan im
Zorne, daß der Baumeister sollte aufgehenket
werden. Dieser bat um Erlaubniß, seine Sa-
che zu vertheidigen, und sagte, er sey bereit,
diese Strafe auszustehen, wenn der Sultan,
nachdem er seine Gründe vernommen, es noch
für gut befinden würde, ihn zu verdammen.
Als ihm seine Bitte gestattet wurde: so sagte
er; "O Kaiser! wenn in der ganzen Welt
"ein Baumeister ausgefunden werden kann,
"der im Stande ist, ohne die Regeln der
"Baukunst zu verletzen, noch ein Fenster
"in dieses Gebäude zu bringen; so soll man
[Spaltenumbruch]
"mir das Leben nehmen: wo aber nicht;
"so werde ich eurer kaiserlichen Gnade wür-
"dig seyn. Außer dieser habe ich auch noch
"eine andere Ursache gehabt, warum ich
"das tausendste Fenster weggelassen habe:
"weil nämlich die Zahl tausend dem unge-
"lehrten Pöbel wol geringer vorkommen
"kann, als die Zahl neunhundert neun und
"neunzig." Der Baumeister fand sich
auch in seiner Hoffnung nicht betrogen: denn
sein Verbrechen wegen Weglassung des Fen-
sters wurde ihm nicht nur erlassen, sondern
er wurde noch dazu kaiserlich beschenket. An
diesem prächtigen Gebäude befinden sich, un-
ter andern merkwürdigen Dingen, vier Thür-
me, von denen das Eßan ausgerufen wird,
und die, dem Ansehen nach, allzuschmal für
ihre Höhe sind. Man kann ihrer nur zweene
von ferne in den vier großen Straßen sehen:
wann aber sehr starke Winde wehen; so mer-

mit
2 M

10. Suͤlejman der I
gemeine Volk, befremden. Da ſie alſo wahrnehmen, daß derſelbe durch beſon-
dere Ermahnungen nicht zum Widerrufe kann gebracht werden: ſo bemaͤch-
tigen ſie ſich ſeiner, und bringen ihn vor den Muͤfti. Hier wiederholet er nun
nicht allein alles oͤffentlich und freymuͤthig, was er dem Volke eingeſchaͤrfet
hatte; ſondern bemuͤhet ſich auch, durch Vergleichung der chriſtlichen Religion
mit dem Kuron, und andere ſtarke Gruͤnde, die Vortrefflichkeit des chriſtlichen
Geſetzes und der Gebote des Evangeliums zu erhaͤrten. Man ermahnet ihn
nochmals, ſeine Meinungen fahren zu laſſen, und ſeinen bisherigen in ruͤhmlicher
Heiligkeit gefuͤhrten Wandel durch einen ſchaͤndlichen Abfall von dem Geſetze
nicht zu beflecken. Weil er aber weder Ermahnungen noch Drohungen achtete:
ſo wurde er endlich auf des Kaiſers Befehl zur Strafe gezogen und ihm der Kopf
abgehauen; auch ein Befehl oͤffentlich bekannt gemacht: daß, wer kuͤnftighin,
auch nur zur Eroͤrterung, die Lehre Chriſtus der Lehre Muhaͤmmeds vorziehen
wuͤrde, eben dieſelbe Strafe zu gewarten haben ſollte.

13.

Um dieſelbe Zeit brachen einige Diebe zu Conſtantinopel, nicht weitEs werden alle
Albanier zu Con-
ſtantinopel um-
gebracht.

von Selims Tempel 21, in eines chriſtlichen Kaufmanns Haus ein, ermordeten
den Kaufmann, und nahmen nicht nur ſein Geld, ſondern auch ſeine Guͤter,
[Spaltenumbruch]

daran ſich neunhundert neun und neunzig
Fenſter befinden. Der Sultan hatte zwar
befohlen, tauſend Fenſter daran zu machen:
allein der Baumeiſter ließ mit allem Fleiße
eines weg. Als man nun die Fenſter nach
geendigtem Baue zaͤhlete, und befand, daß
eines weniger daran war, als der kaiſerliche
Befehl erforderte: ſo befahl der Sultan im
Zorne, daß der Baumeiſter ſollte aufgehenket
werden. Dieſer bat um Erlaubniß, ſeine Sa-
che zu vertheidigen, und ſagte, er ſey bereit,
dieſe Strafe auszuſtehen, wenn der Sultan,
nachdem er ſeine Gruͤnde vernommen, es noch
fuͤr gut befinden wuͤrde, ihn zu verdammen.
Als ihm ſeine Bitte geſtattet wurde: ſo ſagte
er; “O Kaiſer! wenn in der ganzen Welt
“ein Baumeiſter ausgefunden werden kann,
“der im Stande iſt, ohne die Regeln der
“Baukunſt zu verletzen, noch ein Fenſter
“in dieſes Gebaͤude zu bringen; ſo ſoll man
[Spaltenumbruch]
“mir das Leben nehmen: wo aber nicht;
“ſo werde ich eurer kaiſerlichen Gnade wuͤr-
“dig ſeyn. Außer dieſer habe ich auch noch
“eine andere Urſache gehabt, warum ich
“das tauſendſte Fenſter weggelaſſen habe:
“weil naͤmlich die Zahl tauſend dem unge-
“lehrten Poͤbel wol geringer vorkommen
“kann, als die Zahl neunhundert neun und
“neunzig.„ Der Baumeiſter fand ſich
auch in ſeiner Hoffnung nicht betrogen: denn
ſein Verbrechen wegen Weglaſſung des Fen-
ſters wurde ihm nicht nur erlaſſen, ſondern
er wurde noch dazu kaiſerlich beſchenket. An
dieſem praͤchtigen Gebaͤude befinden ſich, un-
ter andern merkwuͤrdigen Dingen, vier Thuͤr-
me, von denen das Eßan ausgerufen wird,
und die, dem Anſehen nach, allzuſchmal fuͤr
ihre Hoͤhe ſind. Man kann ihrer nur zweene
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wann aber ſehr ſtarke Winde wehen; ſo mer-

mit
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[273/0363] 10. Suͤlejman der I gemeine Volk, befremden. Da ſie alſo wahrnehmen, daß derſelbe durch beſon- dere Ermahnungen nicht zum Widerrufe kann gebracht werden: ſo bemaͤch- tigen ſie ſich ſeiner, und bringen ihn vor den Muͤfti. Hier wiederholet er nun nicht allein alles oͤffentlich und freymuͤthig, was er dem Volke eingeſchaͤrfet hatte; ſondern bemuͤhet ſich auch, durch Vergleichung der chriſtlichen Religion mit dem Kuron, und andere ſtarke Gruͤnde, die Vortrefflichkeit des chriſtlichen Geſetzes und der Gebote des Evangeliums zu erhaͤrten. Man ermahnet ihn nochmals, ſeine Meinungen fahren zu laſſen, und ſeinen bisherigen in ruͤhmlicher Heiligkeit gefuͤhrten Wandel durch einen ſchaͤndlichen Abfall von dem Geſetze nicht zu beflecken. Weil er aber weder Ermahnungen noch Drohungen achtete: ſo wurde er endlich auf des Kaiſers Befehl zur Strafe gezogen und ihm der Kopf abgehauen; auch ein Befehl oͤffentlich bekannt gemacht: daß, wer kuͤnftighin, auch nur zur Eroͤrterung, die Lehre Chriſtus der Lehre Muhaͤmmeds vorziehen wuͤrde, eben dieſelbe Strafe zu gewarten haben ſollte. 13. Um dieſelbe Zeit brachen einige Diebe zu Conſtantinopel, nicht weit von Selims Tempel ²¹ , in eines chriſtlichen Kaufmanns Haus ein, ermordeten den Kaufmann, und nahmen nicht nur ſein Geld, ſondern auch ſeine Guͤter, mit daran ſich neunhundert neun und neunzig Fenſter befinden. Der Sultan hatte zwar befohlen, tauſend Fenſter daran zu machen: allein der Baumeiſter ließ mit allem Fleiße eines weg. Als man nun die Fenſter nach geendigtem Baue zaͤhlete, und befand, daß eines weniger daran war, als der kaiſerliche Befehl erforderte: ſo befahl der Sultan im Zorne, daß der Baumeiſter ſollte aufgehenket werden. Dieſer bat um Erlaubniß, ſeine Sa- che zu vertheidigen, und ſagte, er ſey bereit, dieſe Strafe auszuſtehen, wenn der Sultan, nachdem er ſeine Gruͤnde vernommen, es noch fuͤr gut befinden wuͤrde, ihn zu verdammen. Als ihm ſeine Bitte geſtattet wurde: ſo ſagte er; “O Kaiſer! wenn in der ganzen Welt “ein Baumeiſter ausgefunden werden kann, “der im Stande iſt, ohne die Regeln der “Baukunſt zu verletzen, noch ein Fenſter “in dieſes Gebaͤude zu bringen; ſo ſoll man “mir das Leben nehmen: wo aber nicht; “ſo werde ich eurer kaiſerlichen Gnade wuͤr- “dig ſeyn. Außer dieſer habe ich auch noch “eine andere Urſache gehabt, warum ich “das tauſendſte Fenſter weggelaſſen habe: “weil naͤmlich die Zahl tauſend dem unge- “lehrten Poͤbel wol geringer vorkommen “kann, als die Zahl neunhundert neun und “neunzig.„ Der Baumeiſter fand ſich auch in ſeiner Hoffnung nicht betrogen: denn ſein Verbrechen wegen Weglaſſung des Fen- ſters wurde ihm nicht nur erlaſſen, ſondern er wurde noch dazu kaiſerlich beſchenket. An dieſem praͤchtigen Gebaͤude befinden ſich, un- ter andern merkwuͤrdigen Dingen, vier Thuͤr- me, von denen das Eßan ausgerufen wird, und die, dem Anſehen nach, allzuſchmal fuͤr ihre Hoͤhe ſind. Man kann ihrer nur zweene von ferne in den vier großen Straßen ſehen: wann aber ſehr ſtarke Winde wehen; ſo mer- ket Es werden alle Albanier zu Con- ſtantinopel um- gebracht. 2 M

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/363>, abgerufen am 22.11.2024.