Am dritten Tage nach Bestätigung der Friedensartikel ließ also Mu-Seine Rede an seine Weßire und andere. hämmed Schejchül Islam (oder den obersten Müfti) nebst den Weßiren und Feldherren zusammen kommen, um sich mit ihnen über die gegenwärtigen Stats- geschäffte zu berathschlagen, und an diese soll derselbe, nach gebotenem Stille- schweigen, folgende Rede gehalten haben. "In der Absicht, die Thaten mei- "ner Vorfahrer mir bey meinen Handlungen zum Muster vorzustellen, habe "ich nachgeforschet, durch welche Mittel dieselben dieses glückselige und ewig- "daurende Reich erworben, erhalten und erweitert haben, und befinde, daß "vornehmlich zwo Ursachen ihrer so vielen Siege sind: nämlich, ihre Fürsorge "für die Bürger, und ihre eigene unüberwindliche Tapferkeit gegen ihre Feinde. "Dadurch, daß sie den Bürgern Gerechtigkeit und Gnade im Ueberflusse aus- "theileten, und dieselben gegen iedermanns Anfälle rechtschaffen vertheidigten, "gewannen sie nicht allein die Liebe aller ihrer Unterthanen; sondern fanden "dieselben auch bereitwillig, ihnen bey allen Abwechslungen des Glücks bey- "zustehen. Und indem sie den Feinden das Schwert ihrer unüberwindlichen "Truppen entgegen setzten: so benahmen sie ihnen den Muth, und machten sich "selbst so fürchterlich, daß sie dieselben öfters zwangen, um Frieden zu bitten. "Durch diese Mittel brachten sie nicht nur das verfallende Reich wieder em- "por; sondern verrichteten auch solche Thaten gegen die mächtigsten Feinde, "daß dieselben den Nachkommen, wenn nicht offenbare Beweise davon vorhan- "den wären, fast unglaublich vorkommen müßten. Sie richteten die Macht "der Römer, die sich so lange in Griechenland erhalten hatte, zu Grunde; "rissen Aegypten den Tscherkassiern, dem kriegerischten Volke unter den Ta- "tarn, aus den Händen; brachten den besten Theil von Ungarn und Persien "unter ihre Gewalt; erfülleten Deutschland mit Furcht und Schrecken; und "gaben noch dazu einem bisher noch unbezwungenen scythischen Volke Gesetze "und einen Regenten. Auf diese Weise verstärkten sie nicht allein die Gren- "zen ihres Reichs; sondern schwächten auch die Christen, diese abgesagten "Feinde unserer allerheiligsten Religion, dergestalt, daß wenige oder gar keine "Hindernisse mehr im Wege zu stehen schienen, dieselben gänzlich zu bezwingen. "Bey diesen glückseligen Umständen hat die einzige Republik Venedig, die, "wenn man sie mit den osmanischen Ländern vergleichet, kaum erwähnet zu [Spaltenumbruch]
4 Angesichte] Diese und dergleichen hochtrabenden Ausdrücke pflegen die türki- schen Geschichtschreiber von den christlichen Abgesandten, bloß ihrem Reiche zu Ehren und zur Verachtung der Christen, zu gebrau- [Spaltenumbruch] chen. Denn ungeachtet ein Abgesandter, wann er vor dem Sultan erscheinet, seinen Degen ablegen, sich von zweenen Kapudschi Baschi halten lassen, und dreymal das Haupt neigen muß: so beobachtet doch derselbe nie-
"werden
19. Muhaͤmmed der IIII
5.
Am dritten Tage nach Beſtaͤtigung der Friedensartikel ließ alſo Mu-Seine Rede an ſeine Weßire und andere. haͤmmed Schejchuͤl Islam (oder den oberſten Muͤfti) nebſt den Weßiren und Feldherren zuſammen kommen, um ſich mit ihnen uͤber die gegenwaͤrtigen Stats- geſchaͤffte zu berathſchlagen, und an dieſe ſoll derſelbe, nach gebotenem Stille- ſchweigen, folgende Rede gehalten haben. “In der Abſicht, die Thaten mei- “ner Vorfahrer mir bey meinen Handlungen zum Muſter vorzuſtellen, habe “ich nachgeforſchet, durch welche Mittel dieſelben dieſes gluͤckſelige und ewig- “daurende Reich erworben, erhalten und erweitert haben, und befinde, daß “vornehmlich zwo Urſachen ihrer ſo vielen Siege ſind: naͤmlich, ihre Fuͤrſorge “fuͤr die Buͤrger, und ihre eigene unuͤberwindliche Tapferkeit gegen ihre Feinde. “Dadurch, daß ſie den Buͤrgern Gerechtigkeit und Gnade im Ueberfluſſe aus- “theileten, und dieſelben gegen iedermanns Anfaͤlle rechtſchaffen vertheidigten, “gewannen ſie nicht allein die Liebe aller ihrer Unterthanen; ſondern fanden “dieſelben auch bereitwillig, ihnen bey allen Abwechslungen des Gluͤcks bey- “zuſtehen. Und indem ſie den Feinden das Schwert ihrer unuͤberwindlichen “Truppen entgegen ſetzten: ſo benahmen ſie ihnen den Muth, und machten ſich “ſelbſt ſo fuͤrchterlich, daß ſie dieſelben oͤfters zwangen, um Frieden zu bitten. “Durch dieſe Mittel brachten ſie nicht nur das verfallende Reich wieder em- “por; ſondern verrichteten auch ſolche Thaten gegen die maͤchtigſten Feinde, “daß dieſelben den Nachkommen, wenn nicht offenbare Beweiſe davon vorhan- “den waͤren, faſt unglaublich vorkommen muͤßten. Sie richteten die Macht “der Roͤmer, die ſich ſo lange in Griechenland erhalten hatte, zu Grunde; “riſſen Aegypten den Tſcherkaſſiern, dem kriegeriſchten Volke unter den Ta- “tarn, aus den Haͤnden; brachten den beſten Theil von Ungarn und Perſien “unter ihre Gewalt; erfuͤlleten Deutſchland mit Furcht und Schrecken; und “gaben noch dazu einem bisher noch unbezwungenen ſcythiſchen Volke Geſetze “und einen Regenten. Auf dieſe Weiſe verſtaͤrkten ſie nicht allein die Gren- “zen ihres Reichs; ſondern ſchwaͤchten auch die Chriſten, dieſe abgeſagten “Feinde unſerer allerheiligſten Religion, dergeſtalt, daß wenige oder gar keine “Hinderniſſe mehr im Wege zu ſtehen ſchienen, dieſelben gaͤnzlich zu bezwingen. “Bey dieſen gluͤckſeligen Umſtaͤnden hat die einzige Republik Venedig, die, “wenn man ſie mit den osmaniſchen Laͤndern vergleichet, kaum erwaͤhnet zu [Spaltenumbruch]
4 Angeſichte] Dieſe und dergleichen hochtrabenden Ausdruͤcke pflegen die tuͤrki- ſchen Geſchichtſchreiber von den chriſtlichen Abgeſandten, bloß ihrem Reiche zu Ehren und zur Verachtung der Chriſten, zu gebrau- [Spaltenumbruch] chen. Denn ungeachtet ein Abgeſandter, wann er vor dem Sultan erſcheinet, ſeinen Degen ablegen, ſich von zweenen Kapudſchi Baſchi halten laſſen, und dreymal das Haupt neigen muß: ſo beobachtet doch derſelbe nie-
“werden
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19. Muhaͤmmed der IIII
5. Am dritten Tage nach Beſtaͤtigung der Friedensartikel ließ alſo Mu-
haͤmmed Schejchuͤl Islam (oder den oberſten Muͤfti) nebſt den Weßiren und
Feldherren zuſammen kommen, um ſich mit ihnen uͤber die gegenwaͤrtigen Stats-
geſchaͤffte zu berathſchlagen, und an dieſe ſoll derſelbe, nach gebotenem Stille-
ſchweigen, folgende Rede gehalten haben. “In der Abſicht, die Thaten mei-
“ner Vorfahrer mir bey meinen Handlungen zum Muſter vorzuſtellen, habe
“ich nachgeforſchet, durch welche Mittel dieſelben dieſes gluͤckſelige und ewig-
“daurende Reich erworben, erhalten und erweitert haben, und befinde, daß
“vornehmlich zwo Urſachen ihrer ſo vielen Siege ſind: naͤmlich, ihre Fuͤrſorge
“fuͤr die Buͤrger, und ihre eigene unuͤberwindliche Tapferkeit gegen ihre Feinde.
“Dadurch, daß ſie den Buͤrgern Gerechtigkeit und Gnade im Ueberfluſſe aus-
“theileten, und dieſelben gegen iedermanns Anfaͤlle rechtſchaffen vertheidigten,
“gewannen ſie nicht allein die Liebe aller ihrer Unterthanen; ſondern fanden
“dieſelben auch bereitwillig, ihnen bey allen Abwechslungen des Gluͤcks bey-
“zuſtehen. Und indem ſie den Feinden das Schwert ihrer unuͤberwindlichen
“Truppen entgegen ſetzten: ſo benahmen ſie ihnen den Muth, und machten ſich
“ſelbſt ſo fuͤrchterlich, daß ſie dieſelben oͤfters zwangen, um Frieden zu bitten.
“Durch dieſe Mittel brachten ſie nicht nur das verfallende Reich wieder em-
“por; ſondern verrichteten auch ſolche Thaten gegen die maͤchtigſten Feinde,
“daß dieſelben den Nachkommen, wenn nicht offenbare Beweiſe davon vorhan-
“den waͤren, faſt unglaublich vorkommen muͤßten. Sie richteten die Macht
“der Roͤmer, die ſich ſo lange in Griechenland erhalten hatte, zu Grunde;
“riſſen Aegypten den Tſcherkaſſiern, dem kriegeriſchten Volke unter den Ta-
“tarn, aus den Haͤnden; brachten den beſten Theil von Ungarn und Perſien
“unter ihre Gewalt; erfuͤlleten Deutſchland mit Furcht und Schrecken; und
“gaben noch dazu einem bisher noch unbezwungenen ſcythiſchen Volke Geſetze
“und einen Regenten. Auf dieſe Weiſe verſtaͤrkten ſie nicht allein die Gren-
“zen ihres Reichs; ſondern ſchwaͤchten auch die Chriſten, dieſe abgeſagten
“Feinde unſerer allerheiligſten Religion, dergeſtalt, daß wenige oder gar keine
“Hinderniſſe mehr im Wege zu ſtehen ſchienen, dieſelben gaͤnzlich zu bezwingen.
“Bey dieſen gluͤckſeligen Umſtaͤnden hat die einzige Republik Venedig, die,
“wenn man ſie mit den osmaniſchen Laͤndern vergleichet, kaum erwaͤhnet zu
“werden
⁴ Angeſichte] Dieſe und dergleichen
hochtrabenden Ausdruͤcke pflegen die tuͤrki-
ſchen Geſchichtſchreiber von den chriſtlichen
Abgeſandten, bloß ihrem Reiche zu Ehren
und zur Verachtung der Chriſten, zu gebrau-
chen. Denn ungeachtet ein Abgeſandter,
wann er vor dem Sultan erſcheinet, ſeinen
Degen ablegen, ſich von zweenen Kapudſchi
Baſchi halten laſſen, und dreymal das Haupt
neigen muß: ſo beobachtet doch derſelbe nie-
mals
Seine Rede an
ſeine Weßire und
andere.
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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/499>, abgerufen am 22.11.2024.
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