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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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19. Muhämmed der IIII
hungen und Schläge gezwungen, den Angriff aufs neue zu wagen. Auf Sei-
ten der Belagerten stritte die vortheilhafte Lage des Platzes, und alle tapferen
Männer von denen Völkern, die an den Messiah glauben, und sich allda ver-
sammelt hatten, mit dem Entschlusse, entweder zu siegen oder zu sterben. Sol-
chergestalt fochten dieselben unaufhörlich neun und zwanzig Monate lang, während
welcher Zeit sie öfters durch Ergänzungen von Franzosen und Venetianern verstär-
ket wurden. Jeder Zollbreit Grundes mußte mit dem Blute vieler Helden auf bey-
den Seiten gewonnen werden. Wann die Wälle eingeschossen und überstiegen
waren: so wurden im Augenblicke neue Wälle von den Belagerten aufgeworfen,
und auf diese Weise die Osmanen, die bey dem Sturmlaufen durch die gemach-
ten Oeffnungen die Belohnung ihrer Arbeit zu finden hofften, aber auf einmal
neue Hindernisse erblickten, fast zur Verzweifelung gebracht. Endlich wurden
die Feinde, ihrer Tapferkeit ungeachtet, gezwungen, der Macht und dem Glücke
der Osmanen nachzugeben; und was durch Waffen schwerlich hätte können er-
halten werden, indem die Osmanen bereits abgemattet und zaghaft waren, das
wurde durch den Hofterdschiman*, Panajot 6, zuwege gebracht: denn dieser
[Spaltenumbruch]
Weßir verzagte hiebey an allem; denn er
hatte seine einzige Hoffnung eines guten Er-
folgs darauf gesetzet, daß Hunger und Man-
gel an Kriegesvorrathe, die Stadt länger
vertheidigen zu können, in derselben entste-
hen würde; itzo aber sahe er sich nicht nur in
derselben betrogen, sondern hatte auch einen
neuen Aufruhr der Jeng-itscheri zu besorgen,
nebst tausend andern fast unüberwindlichen
Schwierigkeiten mehr. Indem er nun die-
sen Dingen in seinem Zelte nachdachte, und
sich auf kein Mittel besinnen konnte, so große
Hindernisse aus dem Wege zu räumen: so
kommt der Hofdolmetscher Panajot hinein;
und nachdem er demselben die gewöhnliche
Ehrerbietigkeit bezeiget hat: so fraget er ihn
(wie er dann in sehr großen Gnaden bey ihm
stunde), was die Ursache von der Traurigkeit
sey, die er in seinem Angesichte erblicke.
Als er dieselbe von ihm vernimmt: so saget er;
"Lasset die Bekümmerniß, die euch unruhig
"machet, fahren, und bezeiget euch gegen
"die Soldaten munter. Dieses schwermü-
[Spaltenumbruch]
"thige Wesen stehet eurem edlen und unüber-
"windlichen Gemüthe gar nicht an: wir
"haben auch keine Ursache, an der Erobe-
"rung der Stadt zu verzagen. Ja, die
"Gestirne zeigen, daß sie allernächst zu ge-
"warten sey, wenn man nur dem Einflusse
"derselben durch menschliche Klugheit zu
"Hülfe kommt. Wenn ihr daher mir Er-
"laubniß geben wollt, zu handeln, ohne
"sonst einem Menschen unser Vorhaben zu
"entdecken: so erkühne ich mich, euch die
"Uebergabe der Stadt innerhalb weniger
"Tage zu versprechen. Vernehmet nur die
"Mittel, die ich dazu vorschlage. Die An-
"kunft der französischen Flote, wenn man
"nicht eine Offenbarung vom Himmel an-
"nehmen will, kann den Belagerten noch
"nicht bekannt seyn; denn die Stadt ist
"von allen Seiten her eingeschlossen, und
"wird so genau bewachet, daß ohne unser
"Mitwissen keine Maus hinein kommen
"kann. Nun ist meine Absicht, sie durch
"eben diejenige Sache zu betriegen, durch

beredete
* Dolmetscher.
3 D 2

19. Muhaͤmmed der IIII
hungen und Schlaͤge gezwungen, den Angriff aufs neue zu wagen. Auf Sei-
ten der Belagerten ſtritte die vortheilhafte Lage des Platzes, und alle tapferen
Maͤnner von denen Voͤlkern, die an den Meſſiah glauben, und ſich allda ver-
ſammelt hatten, mit dem Entſchluſſe, entweder zu ſiegen oder zu ſterben. Sol-
chergeſtalt fochten dieſelben unaufhoͤrlich neun und zwanzig Monate lang, waͤhrend
welcher Zeit ſie oͤfters durch Ergaͤnzungen von Franzoſen und Venetianern verſtaͤr-
ket wurden. Jeder Zollbreit Grundes mußte mit dem Blute vieler Helden auf bey-
den Seiten gewonnen werden. Wann die Waͤlle eingeſchoſſen und uͤberſtiegen
waren: ſo wurden im Augenblicke neue Waͤlle von den Belagerten aufgeworfen,
und auf dieſe Weiſe die Osmanen, die bey dem Sturmlaufen durch die gemach-
ten Oeffnungen die Belohnung ihrer Arbeit zu finden hofften, aber auf einmal
neue Hinderniſſe erblickten, faſt zur Verzweifelung gebracht. Endlich wurden
die Feinde, ihrer Tapferkeit ungeachtet, gezwungen, der Macht und dem Gluͤcke
der Osmanen nachzugeben; und was durch Waffen ſchwerlich haͤtte koͤnnen er-
halten werden, indem die Osmanen bereits abgemattet und zaghaft waren, das
wurde durch den Hofterdſchiman*, Panajot 6, zuwege gebracht: denn dieſer
[Spaltenumbruch]
Weßir verzagte hiebey an allem; denn er
hatte ſeine einzige Hoffnung eines guten Er-
folgs darauf geſetzet, daß Hunger und Man-
gel an Kriegesvorrathe, die Stadt laͤnger
vertheidigen zu koͤnnen, in derſelben entſte-
hen wuͤrde; itzo aber ſahe er ſich nicht nur in
derſelben betrogen, ſondern hatte auch einen
neuen Aufruhr der Jeng-itſcheri zu beſorgen,
nebſt tauſend andern faſt unuͤberwindlichen
Schwierigkeiten mehr. Indem er nun die-
ſen Dingen in ſeinem Zelte nachdachte, und
ſich auf kein Mittel beſinnen konnte, ſo große
Hinderniſſe aus dem Wege zu raͤumen: ſo
kommt der Hofdolmetſcher Panajot hinein;
und nachdem er demſelben die gewoͤhnliche
Ehrerbietigkeit bezeiget hat: ſo fraget er ihn
(wie er dann in ſehr großen Gnaden bey ihm
ſtunde), was die Urſache von der Traurigkeit
ſey, die er in ſeinem Angeſichte erblicke.
Als er dieſelbe von ihm vernimmt: ſo ſaget er;
“Laſſet die Bekuͤmmerniß, die euch unruhig
“machet, fahren, und bezeiget euch gegen
“die Soldaten munter. Dieſes ſchwermuͤ-
[Spaltenumbruch]
“thige Weſen ſtehet eurem edlen und unuͤber-
“windlichen Gemuͤthe gar nicht an: wir
“haben auch keine Urſache, an der Erobe-
“rung der Stadt zu verzagen. Ja, die
“Geſtirne zeigen, daß ſie allernaͤchſt zu ge-
“warten ſey, wenn man nur dem Einfluſſe
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“laubniß geben wollt, zu handeln, ohne
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“entdecken: ſo erkuͤhne ich mich, euch die
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“Mittel, die ich dazu vorſchlage. Die An-
“kunft der franzoͤſiſchen Flote, wenn man
“nicht eine Offenbarung vom Himmel an-
“nehmen will, kann den Belagerten noch
“nicht bekannt ſeyn; denn die Stadt iſt
“von allen Seiten her eingeſchloſſen, und
“wird ſo genau bewachet, daß ohne unſer
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* Dolmetſcher.
3 D 2
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[395/0503] 19. Muhaͤmmed der IIII hungen und Schlaͤge gezwungen, den Angriff aufs neue zu wagen. Auf Sei- ten der Belagerten ſtritte die vortheilhafte Lage des Platzes, und alle tapferen Maͤnner von denen Voͤlkern, die an den Meſſiah glauben, und ſich allda ver- ſammelt hatten, mit dem Entſchluſſe, entweder zu ſiegen oder zu ſterben. Sol- chergeſtalt fochten dieſelben unaufhoͤrlich neun und zwanzig Monate lang, waͤhrend welcher Zeit ſie oͤfters durch Ergaͤnzungen von Franzoſen und Venetianern verſtaͤr- ket wurden. Jeder Zollbreit Grundes mußte mit dem Blute vieler Helden auf bey- den Seiten gewonnen werden. Wann die Waͤlle eingeſchoſſen und uͤberſtiegen waren: ſo wurden im Augenblicke neue Waͤlle von den Belagerten aufgeworfen, und auf dieſe Weiſe die Osmanen, die bey dem Sturmlaufen durch die gemach- ten Oeffnungen die Belohnung ihrer Arbeit zu finden hofften, aber auf einmal neue Hinderniſſe erblickten, faſt zur Verzweifelung gebracht. Endlich wurden die Feinde, ihrer Tapferkeit ungeachtet, gezwungen, der Macht und dem Gluͤcke der Osmanen nachzugeben; und was durch Waffen ſchwerlich haͤtte koͤnnen er- halten werden, indem die Osmanen bereits abgemattet und zaghaft waren, das wurde durch den Hofterdſchiman *, Panajot ⁶ , zuwege gebracht: denn dieſer beredete Weßir verzagte hiebey an allem; denn er hatte ſeine einzige Hoffnung eines guten Er- folgs darauf geſetzet, daß Hunger und Man- gel an Kriegesvorrathe, die Stadt laͤnger vertheidigen zu koͤnnen, in derſelben entſte- hen wuͤrde; itzo aber ſahe er ſich nicht nur in derſelben betrogen, ſondern hatte auch einen neuen Aufruhr der Jeng-itſcheri zu beſorgen, nebſt tauſend andern faſt unuͤberwindlichen Schwierigkeiten mehr. Indem er nun die- ſen Dingen in ſeinem Zelte nachdachte, und ſich auf kein Mittel beſinnen konnte, ſo große Hinderniſſe aus dem Wege zu raͤumen: ſo kommt der Hofdolmetſcher Panajot hinein; und nachdem er demſelben die gewoͤhnliche Ehrerbietigkeit bezeiget hat: ſo fraget er ihn (wie er dann in ſehr großen Gnaden bey ihm ſtunde), was die Urſache von der Traurigkeit ſey, die er in ſeinem Angeſichte erblicke. Als er dieſelbe von ihm vernimmt: ſo ſaget er; “Laſſet die Bekuͤmmerniß, die euch unruhig “machet, fahren, und bezeiget euch gegen “die Soldaten munter. Dieſes ſchwermuͤ- “thige Weſen ſtehet eurem edlen und unuͤber- “windlichen Gemuͤthe gar nicht an: wir “haben auch keine Urſache, an der Erobe- “rung der Stadt zu verzagen. Ja, die “Geſtirne zeigen, daß ſie allernaͤchſt zu ge- “warten ſey, wenn man nur dem Einfluſſe “derſelben durch menſchliche Klugheit zu “Huͤlfe kommt. Wenn ihr daher mir Er- “laubniß geben wollt, zu handeln, ohne “ſonſt einem Menſchen unſer Vorhaben zu “entdecken: ſo erkuͤhne ich mich, euch die “Uebergabe der Stadt innerhalb weniger “Tage zu verſprechen. Vernehmet nur die “Mittel, die ich dazu vorſchlage. Die An- “kunft der franzoͤſiſchen Flote, wenn man “nicht eine Offenbarung vom Himmel an- “nehmen will, kann den Belagerten noch “nicht bekannt ſeyn; denn die Stadt iſt “von allen Seiten her eingeſchloſſen, und “wird ſo genau bewachet, daß ohne unſer “Mitwiſſen keine Maus hinein kommen “kann. Nun iſt meine Abſicht, ſie durch “eben diejenige Sache zu betriegen, durch “die * Dolmetſcher. 3 D 2

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/503>, abgerufen am 22.11.2024.