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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
[Spaltenumbruch]
"die sie sich von der Gefahr befreyen woll-
"ten. Ich bin nämlich vorhabens, den
"Kriegsbefehlhaber der Stadt, Morosini,
"auf eine geheime Unterredung einzuladen,
"und ihn als ein Freund zu erinnern, daß
"er der französischen Flote nicht trauen soll-
"te, denn ihre Absicht wäre schlimmer, als
"der Türken ihre. Ich werde leicht bey
"ihm Glauben finden, sowol weil ich mich
"bekannter maßen zu der christlichen Reli-
"gion bekenne; als durch meinen verstellten
"Eifer für die Wohlfahrt der Christenheit:
"und hoffe ihm auf diese Art beyzubringen,
"daß er sich entschließet, die Stadt zu über-
"geben." Der Weßir giebt seine Einwil-
ligung dazu, und empfiehlet die Sache gänz-
lich des Dolmetschers Treue und kluger Aus-
führung. Hierauf sendet Panajot seinen ge-
treuen Slawen Mäksud (ist ein arabischer
Name, der Wunsch oder Verlangen* bedeu-
tet, dergleichen die Christen, die etwas an
dem osmanischen Hofe zu thun haben, ihren
Slawen gemeiniglich beylegen; weil die Tür-
ken die Namen der Christen selten auszuspre-
chen pflegen, ohne die Wörter Gjawr oder
Kjafir (Unglaubiger, Gotteslästerer) hinzu-
zusetzen) mit einem Briefe an den Comman-
danten Morosini, und stellet sich darinnen,
als wenn er aus einem christlichen Eifer ein
heftiges Verlangen trüge nach einer beque-
men Gelegenheit, ihm mündlich von einigen
Sachen Nachricht zu geben, die von äußerster
Wichtigkeit wären und die Wohlfahrt der
Christen beträfen. Morosini, als ein Mann
von großer Statsklugheit, bildet sich ein, es
läge eine Schlange im Grase verborgen, und
stehet eine Weile bey sich an, ob er mit ihm
Zusammenkunft halten wolle. Endlich, nach-
dem er die Sache mit den in der Stadt befind-
lichen Griechen und Venetianern reiflich über-
leget hatte: so entschließet er sich, seinen
Vortrag anzuhören, und schicket daher den
Boten mit der Bestimmung der Zeit und des
[Spaltenumbruch]
Ortes der Zusammenkunft wieder zurück. Am
selbigen Abend thut Panajot, als wenn er
auszugehen hätte, die Wachten und Posten
zu besichtigen, wie er auf Befehl des Weßirs
öfters zu thun pflegte, und nähert sich einem
von den Thoren der Stadt. Morosini kommt
ebenfalls unverzüglich in verstellter Kleidung
dahin; denn es war so verabredet worden,
damit die Besatzung nichts von dem, was
man vorhatte, gewahr werden möchte. Als
Panajot vor ihn kommt: so saget er zu dem-
selben; "Es gehet mir zu Gemüthe und
"bekümmert mich sehr, daß ich sehe, wie die
"Sachen der Christen, sonderlich derjenigen,
"die mir sowol dem Volke als der Religion
"nach verwandt sind, täglich abnehmen,
"und auf der andern Seite die Macht der
"Türken beständig anwächset, deren Unglau-
"be und Tiranney, damit sie der ganzen
"Welt drohen, unsern gerechten Unwillen
"erregen müssen. Es ist nicht zu zweifeln,
"daß dieses aus einem göttlichen Gerichte,
"wegen unserer und unserer Vorältern Sün-
"den, über die Christenheit verhänget ist.
"Da wir aber wissen, daß Gott seine Kinder
"zu züchtigen, und hernach die Werkzeuge
"seiner Rache zu zernichten pfleget: so wol-
"len wir hoffen, es werde dieses durch die
"Güte Gottes in kurzem eben also erfolgen.
"Inzwischen müssen wir das Unglück, das
"uns der Himmel zugeschicket hat, mit Ge-
"lassenheit ertragen, uns in die Zeit schicken,
"und dem göttlichen Willen nicht wider-
"streben." Als er nun glaubete, durch
diese Vorrede sich ein Vertrauen erworben zu
haben: so verbindet er den Commandanten,
um ihn desto kräftiger zu betriegen, mit einem
Eide, dasjenige, was er ihm mittheilen wür-
de, keinem Menschen zu offenbaren. Denn,
wie er vorgab, so besorgte er, es möchte einer
oder der andere von den Türken gefangen und
durch die Folter gezwungen werden, dasje-
nige auszusagen, was er ihm aus Antriebe

* oder auch einen Erwünschten, Verlangten.

Osmaniſche Geſchichte
[Spaltenumbruch]
“die ſie ſich von der Gefahr befreyen woll-
“ten. Ich bin naͤmlich vorhabens, den
“Kriegsbefehlhaber der Stadt, Moroſini,
“auf eine geheime Unterredung einzuladen,
“und ihn als ein Freund zu erinnern, daß
“er der franzoͤſiſchen Flote nicht trauen ſoll-
“te, denn ihre Abſicht waͤre ſchlimmer, als
“der Tuͤrken ihre. Ich werde leicht bey
“ihm Glauben finden, ſowol weil ich mich
“bekannter maßen zu der chriſtlichen Reli-
“gion bekenne; als durch meinen verſtellten
“Eifer fuͤr die Wohlfahrt der Chriſtenheit:
“und hoffe ihm auf dieſe Art beyzubringen,
“daß er ſich entſchließet, die Stadt zu uͤber-
“geben.„ Der Weßir giebt ſeine Einwil-
ligung dazu, und empfiehlet die Sache gaͤnz-
lich des Dolmetſchers Treue und kluger Aus-
fuͤhrung. Hierauf ſendet Panajot ſeinen ge-
treuen Slawen Maͤkſud (iſt ein arabiſcher
Name, der Wunſch oder Verlangen* bedeu-
tet, dergleichen die Chriſten, die etwas an
dem osmaniſchen Hofe zu thun haben, ihren
Slawen gemeiniglich beylegen; weil die Tuͤr-
ken die Namen der Chriſten ſelten auszuſpre-
chen pflegen, ohne die Woͤrter Gjawr oder
Kjafir (Unglaubiger, Gotteslaͤſterer) hinzu-
zuſetzen) mit einem Briefe an den Comman-
danten Moroſini, und ſtellet ſich darinnen,
als wenn er aus einem chriſtlichen Eifer ein
heftiges Verlangen truͤge nach einer beque-
men Gelegenheit, ihm muͤndlich von einigen
Sachen Nachricht zu geben, die von aͤußerſter
Wichtigkeit waͤren und die Wohlfahrt der
Chriſten betraͤfen. Moroſini, als ein Mann
von großer Statsklugheit, bildet ſich ein, es
laͤge eine Schlange im Graſe verborgen, und
ſtehet eine Weile bey ſich an, ob er mit ihm
Zuſammenkunft halten wolle. Endlich, nach-
dem er die Sache mit den in der Stadt befind-
lichen Griechen und Venetianern reiflich uͤber-
leget hatte: ſo entſchließet er ſich, ſeinen
Vortrag anzuhoͤren, und ſchicket daher den
Boten mit der Beſtimmung der Zeit und des
[Spaltenumbruch]
Ortes der Zuſammenkunft wieder zuruͤck. Am
ſelbigen Abend thut Panajot, als wenn er
auszugehen haͤtte, die Wachten und Poſten
zu beſichtigen, wie er auf Befehl des Weßirs
oͤfters zu thun pflegte, und naͤhert ſich einem
von den Thoren der Stadt. Moroſini kommt
ebenfalls unverzuͤglich in verſtellter Kleidung
dahin; denn es war ſo verabredet worden,
damit die Beſatzung nichts von dem, was
man vorhatte, gewahr werden moͤchte. Als
Panajot vor ihn kommt: ſo ſaget er zu dem-
ſelben; “Es gehet mir zu Gemuͤthe und
“bekuͤmmert mich ſehr, daß ich ſehe, wie die
“Sachen der Chriſten, ſonderlich derjenigen,
“die mir ſowol dem Volke als der Religion
“nach verwandt ſind, taͤglich abnehmen,
“und auf der andern Seite die Macht der
“Tuͤrken beſtaͤndig anwaͤchſet, deren Unglau-
“be und Tiranney, damit ſie der ganzen
“Welt drohen, unſern gerechten Unwillen
“erregen muͤſſen. Es iſt nicht zu zweifeln,
“daß dieſes aus einem goͤttlichen Gerichte,
“wegen unſerer und unſerer Voraͤltern Suͤn-
“den, uͤber die Chriſtenheit verhaͤnget iſt.
“Da wir aber wiſſen, daß Gott ſeine Kinder
“zu zuͤchtigen, und hernach die Werkzeuge
“ſeiner Rache zu zernichten pfleget: ſo wol-
“len wir hoffen, es werde dieſes durch die
“Guͤte Gottes in kurzem eben alſo erfolgen.
“Inzwiſchen muͤſſen wir das Ungluͤck, das
“uns der Himmel zugeſchicket hat, mit Ge-
“laſſenheit ertragen, uns in die Zeit ſchicken,
“und dem goͤttlichen Willen nicht wider-
“ſtreben.„ Als er nun glaubete, durch
dieſe Vorrede ſich ein Vertrauen erworben zu
haben: ſo verbindet er den Commandanten,
um ihn deſto kraͤftiger zu betriegen, mit einem
Eide, dasjenige, was er ihm mittheilen wuͤr-
de, keinem Menſchen zu offenbaren. Denn,
wie er vorgab, ſo beſorgte er, es moͤchte einer
oder der andere von den Tuͤrken gefangen und
durch die Folter gezwungen werden, dasje-
nige auszuſagen, was er ihm aus Antriebe

* oder auch einen Erwuͤnſchten, Verlangten.
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[396/0504] Osmaniſche Geſchichte “die ſie ſich von der Gefahr befreyen woll- “ten. Ich bin naͤmlich vorhabens, den “Kriegsbefehlhaber der Stadt, Moroſini, “auf eine geheime Unterredung einzuladen, “und ihn als ein Freund zu erinnern, daß “er der franzoͤſiſchen Flote nicht trauen ſoll- “te, denn ihre Abſicht waͤre ſchlimmer, als “der Tuͤrken ihre. Ich werde leicht bey “ihm Glauben finden, ſowol weil ich mich “bekannter maßen zu der chriſtlichen Reli- “gion bekenne; als durch meinen verſtellten “Eifer fuͤr die Wohlfahrt der Chriſtenheit: “und hoffe ihm auf dieſe Art beyzubringen, “daß er ſich entſchließet, die Stadt zu uͤber- “geben.„ Der Weßir giebt ſeine Einwil- ligung dazu, und empfiehlet die Sache gaͤnz- lich des Dolmetſchers Treue und kluger Aus- fuͤhrung. Hierauf ſendet Panajot ſeinen ge- treuen Slawen Maͤkſud (iſt ein arabiſcher Name, der Wunſch oder Verlangen * bedeu- tet, dergleichen die Chriſten, die etwas an dem osmaniſchen Hofe zu thun haben, ihren Slawen gemeiniglich beylegen; weil die Tuͤr- ken die Namen der Chriſten ſelten auszuſpre- chen pflegen, ohne die Woͤrter Gjawr oder Kjafir (Unglaubiger, Gotteslaͤſterer) hinzu- zuſetzen) mit einem Briefe an den Comman- danten Moroſini, und ſtellet ſich darinnen, als wenn er aus einem chriſtlichen Eifer ein heftiges Verlangen truͤge nach einer beque- men Gelegenheit, ihm muͤndlich von einigen Sachen Nachricht zu geben, die von aͤußerſter Wichtigkeit waͤren und die Wohlfahrt der Chriſten betraͤfen. Moroſini, als ein Mann von großer Statsklugheit, bildet ſich ein, es laͤge eine Schlange im Graſe verborgen, und ſtehet eine Weile bey ſich an, ob er mit ihm Zuſammenkunft halten wolle. Endlich, nach- dem er die Sache mit den in der Stadt befind- lichen Griechen und Venetianern reiflich uͤber- leget hatte: ſo entſchließet er ſich, ſeinen Vortrag anzuhoͤren, und ſchicket daher den Boten mit der Beſtimmung der Zeit und des Ortes der Zuſammenkunft wieder zuruͤck. Am ſelbigen Abend thut Panajot, als wenn er auszugehen haͤtte, die Wachten und Poſten zu beſichtigen, wie er auf Befehl des Weßirs oͤfters zu thun pflegte, und naͤhert ſich einem von den Thoren der Stadt. Moroſini kommt ebenfalls unverzuͤglich in verſtellter Kleidung dahin; denn es war ſo verabredet worden, damit die Beſatzung nichts von dem, was man vorhatte, gewahr werden moͤchte. Als Panajot vor ihn kommt: ſo ſaget er zu dem- ſelben; “Es gehet mir zu Gemuͤthe und “bekuͤmmert mich ſehr, daß ich ſehe, wie die “Sachen der Chriſten, ſonderlich derjenigen, “die mir ſowol dem Volke als der Religion “nach verwandt ſind, taͤglich abnehmen, “und auf der andern Seite die Macht der “Tuͤrken beſtaͤndig anwaͤchſet, deren Unglau- “be und Tiranney, damit ſie der ganzen “Welt drohen, unſern gerechten Unwillen “erregen muͤſſen. Es iſt nicht zu zweifeln, “daß dieſes aus einem goͤttlichen Gerichte, “wegen unſerer und unſerer Voraͤltern Suͤn- “den, uͤber die Chriſtenheit verhaͤnget iſt. “Da wir aber wiſſen, daß Gott ſeine Kinder “zu zuͤchtigen, und hernach die Werkzeuge “ſeiner Rache zu zernichten pfleget: ſo wol- “len wir hoffen, es werde dieſes durch die “Guͤte Gottes in kurzem eben alſo erfolgen. “Inzwiſchen muͤſſen wir das Ungluͤck, das “uns der Himmel zugeſchicket hat, mit Ge- “laſſenheit ertragen, uns in die Zeit ſchicken, “und dem goͤttlichen Willen nicht wider- “ſtreben.„ Als er nun glaubete, durch dieſe Vorrede ſich ein Vertrauen erworben zu haben: ſo verbindet er den Commandanten, um ihn deſto kraͤftiger zu betriegen, mit einem Eide, dasjenige, was er ihm mittheilen wuͤr- de, keinem Menſchen zu offenbaren. Denn, wie er vorgab, ſo beſorgte er, es moͤchte einer oder der andere von den Tuͤrken gefangen und durch die Folter gezwungen werden, dasje- nige auszuſagen, was er ihm aus Antriebe eines * oder auch einen Erwuͤnſchten, Verlangten.

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/504>, abgerufen am 22.11.2024.