Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.Osmanische Geschichte bestellet den We-ßir zum obersten Feldherrn, und kehret wieder nach Constanti-nopel zurück. 54. Nachdem er hier seine Truppen nochmals gemustert hatte: so über- fet einen allge- meinen Krieges-rath zusammen. 55. Nach des Sultans Abreise ging der Weßir bey Belgrad über die 42 Muhämmeds Standarte] Dieses ist eine Standarte von grüner Seide, lang und breit, nach deren Gestalt alle Standar- ten, Sandschak genennet, verfertiget werden. Die Christen glaubten, sie hätten dieselbe bey Wien erbeutet; sie betrogen sich aber in ihrer Meinung. Denn es ist niemals erhöret worden, daß diese Standarte in der Feinde Hände gefallen wäre; ungeachtet manchmal um sie herum fast alles gefallen ist. Wann der Sultan oder der Weßir die Befehlhabung in eigener Person führen: so wird diese Stan- darte mit in das Feld genommen; sie kommt aber niemals in das Treffen. Denn sie wird von Näkibül Eschref in dem Lager sorgfältig bewahret; und wenn dieser siehet, daß der Sieg sich auf die feindliche Seite neigen will: so muß er zuerst damit wegrennen. Jedoch, bey Wien hat Kara Mustäfa Pascha diese Standarte selbst mit sich genommen, und sie nicht eher von sich geben wollen, als bis die- selbe gänzlich außer Gefahr war. Ob es Muhämmeds eigene Standarte, oder eine andere ist, die man in Gestalt derselben nach- gemacht hat: das kann ich nicht sagen. Dem [Spaltenumbruch] sey aber wie ihm wolle: so ist diejenige, die die Türken haben, sehr alt und an vielen Or- ten zerrissen. Aus dieser Ursache lässet man sie niemals völlig fliegen; aus Beysorge, der Wind möchte sie in Stücke zerreißen: sondern sie bleibet um eine Lanze aufgewickelt, bis das Heer aus der Stadt ziehen will; da sie dann mit den gewöhnlichen Feierlichkeiten zu dem Sultane gebracht wird. Wann das Heer in dem ersten Lager anlanget: so wird die Standarte in einen güldenen Kasten gele- get, darinnen auch der Kuron und Muhäm- meds Rock verwahret werden; hernach auf ein Kamel geladen, und vor dem Sultane oder Weßire her geführet. Was ihre Auf- schriften und Zeichen anbelanget: so sind keine darauf zu finden, ausgenommen das Wort Aelem, das an der Spitze der Lanze zu sehen ist. Man saget, daß vor diesem das Sälewat oder die Bekenntniß des muhämme- dischen Glaubens mit schwarzen Buchstaben auf derselben geschrieben gewesen sey; diese Buchstaben sind aber durch die Zeit längst ver- löschet. Tage
Osmaniſche Geſchichte beſtellet den We-ßir zum oberſten Feldherrn, und kehret wieder nach Conſtanti-nopel zuruͤck. 54. Nachdem er hier ſeine Truppen nochmals gemuſtert hatte: ſo uͤber- fet einen allge- meinen Krieges-rath zuſammen. 55. Nach des Sultans Abreiſe ging der Weßir bey Belgrad uͤber die 42 Muhaͤmmeds Standarte] Dieſes iſt eine Standarte von gruͤner Seide, lang und breit, nach deren Geſtalt alle Standar- ten, Sandſchak genennet, verfertiget werden. Die Chriſten glaubten, ſie haͤtten dieſelbe bey Wien erbeutet; ſie betrogen ſich aber in ihrer Meinung. Denn es iſt niemals erhoͤret worden, daß dieſe Standarte in der Feinde Haͤnde gefallen waͤre; ungeachtet manchmal um ſie herum faſt alles gefallen iſt. Wann der Sultan oder der Weßir die Befehlhabung in eigener Perſon fuͤhren: ſo wird dieſe Stan- darte mit in das Feld genommen; ſie kommt aber niemals in das Treffen. Denn ſie wird von Naͤkibuͤl Eſchref in dem Lager ſorgfaͤltig bewahret; und wenn dieſer ſiehet, daß der Sieg ſich auf die feindliche Seite neigen will: ſo muß er zuerſt damit wegrennen. Jedoch, bey Wien hat Kara Muſtaͤfa Paſcha dieſe Standarte ſelbſt mit ſich genommen, und ſie nicht eher von ſich geben wollen, als bis die- ſelbe gaͤnzlich außer Gefahr war. Ob es Muhaͤmmeds eigene Standarte, oder eine andere iſt, die man in Geſtalt derſelben nach- gemacht hat: das kann ich nicht ſagen. Dem [Spaltenumbruch] ſey aber wie ihm wolle: ſo iſt diejenige, die die Tuͤrken haben, ſehr alt und an vielen Or- ten zerriſſen. Aus dieſer Urſache laͤſſet man ſie niemals voͤllig fliegen; aus Beyſorge, der Wind moͤchte ſie in Stuͤcke zerreißen: ſondern ſie bleibet um eine Lanze aufgewickelt, bis das Heer aus der Stadt ziehen will; da ſie dann mit den gewoͤhnlichen Feierlichkeiten zu dem Sultane gebracht wird. Wann das Heer in dem erſten Lager anlanget: ſo wird die Standarte in einen guͤldenen Kaſten gele- get, darinnen auch der Kuron und Muhaͤm- meds Rock verwahret werden; hernach auf ein Kamel geladen, und vor dem Sultane oder Weßire her gefuͤhret. Was ihre Auf- ſchriften und Zeichen anbelanget: ſo ſind keine darauf zu finden, ausgenommen das Wort Aelem, das an der Spitze der Lanze zu ſehen iſt. Man ſaget, daß vor dieſem das Saͤlewat oder die Bekenntniß des muhaͤmme- diſchen Glaubens mit ſchwarzen Buchſtaben auf derſelben geſchrieben geweſen ſey; dieſe Buchſtaben ſind aber durch die Zeit laͤngſt ver- loͤſchet. Tage
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Osmaniſche Geſchichte
54. Nachdem er hier ſeine Truppen nochmals gemuſtert hatte: ſo uͤber-
gab er die Befehlhabung uͤber das geſammte Kriegesheer dem oberſten Weßire,
Kara Muſtaͤfa Paſcha, nebſt Muhaͤmmeds Standarte
⁴²
; und gab demſelben
zugleich die Ermahnung: er ſollte gegen die Feinde des Kurons tapfer fechten,
damit er durch ſeine Thaten in dieſer Welt unſterblichen Ruhm und Ehre, und
in jener das Paradies erlangen moͤchte. Als er ſolchergeſtalt mit allen Veran-
ſtaltungen fertig war: ſo kehrete er wieder nach Conſtantinopel zuruͤck, und
brachte die ganze Reiſe dahin mit Jagen zu.
55. Nach des Sultans Abreiſe ging der Weßir bey Belgrad uͤber die
Sawe, und fuͤhrete das ſeiner Befehlhabung anvertraute Kriegesheer nach Eſ-
ſek. Hier kommt Emerich Teoͤkeoͤli, den die Tuͤrken letzthin zum Koͤnige von
Ungarn gemacht hatten, mit ungefaͤhr drey hundert ungariſchen Edelleuten in
das tuͤrkiſche Lager, und wird von dem Weßire nicht nur mit vieler Hochach-
tung empfangen, ſondern auch mit anſehnlichen Geſchenken beehret. Einige
Tage
⁴² Muhaͤmmeds Standarte] Dieſes
iſt eine Standarte von gruͤner Seide, lang
und breit, nach deren Geſtalt alle Standar-
ten, Sandſchak genennet, verfertiget werden.
Die Chriſten glaubten, ſie haͤtten dieſelbe bey
Wien erbeutet; ſie betrogen ſich aber in ihrer
Meinung. Denn es iſt niemals erhoͤret
worden, daß dieſe Standarte in der Feinde
Haͤnde gefallen waͤre; ungeachtet manchmal
um ſie herum faſt alles gefallen iſt. Wann
der Sultan oder der Weßir die Befehlhabung
in eigener Perſon fuͤhren: ſo wird dieſe Stan-
darte mit in das Feld genommen; ſie kommt
aber niemals in das Treffen. Denn ſie wird
von Naͤkibuͤl Eſchref in dem Lager ſorgfaͤltig
bewahret; und wenn dieſer ſiehet, daß der
Sieg ſich auf die feindliche Seite neigen will:
ſo muß er zuerſt damit wegrennen. Jedoch,
bey Wien hat Kara Muſtaͤfa Paſcha dieſe
Standarte ſelbſt mit ſich genommen, und ſie
nicht eher von ſich geben wollen, als bis die-
ſelbe gaͤnzlich außer Gefahr war. Ob es
Muhaͤmmeds eigene Standarte, oder eine
andere iſt, die man in Geſtalt derſelben nach-
gemacht hat: das kann ich nicht ſagen. Dem
ſey aber wie ihm wolle: ſo iſt diejenige, die
die Tuͤrken haben, ſehr alt und an vielen Or-
ten zerriſſen. Aus dieſer Urſache laͤſſet man
ſie niemals voͤllig fliegen; aus Beyſorge, der
Wind moͤchte ſie in Stuͤcke zerreißen: ſondern
ſie bleibet um eine Lanze aufgewickelt, bis
das Heer aus der Stadt ziehen will; da ſie
dann mit den gewoͤhnlichen Feierlichkeiten zu
dem Sultane gebracht wird. Wann das
Heer in dem erſten Lager anlanget: ſo wird
die Standarte in einen guͤldenen Kaſten gele-
get, darinnen auch der Kuron und Muhaͤm-
meds Rock verwahret werden; hernach auf
ein Kamel geladen, und vor dem Sultane
oder Weßire her gefuͤhret. Was ihre Auf-
ſchriften und Zeichen anbelanget: ſo ſind
keine darauf zu finden, ausgenommen das
Wort Aelem, das an der Spitze der Lanze zu
ſehen iſt. Man ſaget, daß vor dieſem das
Saͤlewat oder die Bekenntniß des muhaͤmme-
diſchen Glaubens mit ſchwarzen Buchſtaben
auf derſelben geſchrieben geweſen ſey; dieſe
Buchſtaben ſind aber durch die Zeit laͤngſt ver-
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