daß die feindlichen Truppen gegen sie im Anzuge begriffen seyen; lief die Nacht vor der Schlacht beynahe der vierte Theil des Heeres aus einander, und die übrigen, die sich aus Religion verbunden erachteten da zu bleiben, bezeigten so wenig Herzhaftigkeit und Eifer, daß sie nicht einmal willens zu seyn schienen, es auf das Glück eines Treffens ankommen zu lassen.
Der Weßir blei- bet getrost und unbeweglich, und berathschlaget sich mit den Pa-schen.
72.
Die Paschen selbst wurden bey dem Weglaufen ihrer Soldaten be- stürzt: nur der einzige Weßir, den diese Umstände von dem Wechsel der mensch- lichen Sachen hätten überführen sollen, blieb ohne Sorgen, und bildete sich ein, keine Hinderniß sey für seine Macht unübersteiglich. Inzwischen ließ er doch die andern Kriegsbefehlhaber zu sich kommen, und fragte dieselben: wie sie glaubten, daß man itzo die Sache angreifen müßte. Der Begjlerbegj von Ofen, Ibrahim Pascha, gab seine Meinung zuerst, und rieth: man sollte die Belagerung aufheben; die Truppen gegen den Feind ausrücken lassen; die nahe gelegenen Wälder umhauen, von den gefälleten Bäumen eine Brustwehre ma- chen und dieselben mit Geschütze versehen, um damit den ersten und hitzigsten Angriff aufzufangen; hierauf sollte man die Reiterey dem Feinde, wenn er sich zurück ziehen würde, in die Seiten fallen lassen. Dieser Anschlag, wenn er ge- hörig wäre ausgeführet worden, würde, aller Hoffnung nach, einen leichten und schleunigen Sieg zuwege gebracht haben. Er fügte noch hinzu: das osmani- sche Kriegesheer sey durch die mühselige Arbeit einer langen Belagerung bereits sehr abgemattet, und könne daher nicht getrennet, noch ein Theil desselben ohne große Gefahr in den Schanzen zurückgelassen werden; viel weniger dürfe man dem Feinde einen Paß offen lassen, so weit als sich das Lager erstrecke, dessen großer Umfang die Vertheidigung desselben den osmanischen Truppen schwerer, den Angriff hingegen den stürmenden Feinden leichter machen müsse.
Rede desselbenan die Paschen.
73.
Alle die Paschen, einige wenige ausgenommen, billigten diesen Rath, und baten den Weßir inständig: er möchte seine Gewalt nicht misbrau- chen und nicht Gelegenheit geben, daß das osmanische Reich einen unersetzlichen Schaden nähme. Der Weßir allein setzte sich diesen Ermahnungen hartnäcki- ger Weise entgegen, und sagte: "Ich weis nicht, was für ein verderbliches "Unglück dem osmanischen State drohen solle, daß so viele Personen von "ausnehmender Klugheit beynahe alle auf verkehrte und unvernünftige Ge- "danken verfallen. Ihr seyd der Meinung, wir sollten Wien verlassen, da "wir dasselbe schon drey Monate lang belagert und nunmehr zu solcher äußer- "sten Noth gebracht haben, daß es sich kaum noch drey Tage halten kann. "Wenn ihr aber freywillig gestattet, daß es uns aus den Händen entwischet: "was thut ihr anderes, als daß ihr, ohne einmal eine Schlacht zu halten, den "verlangten Sieg vorsetzlicher Weise einem geringen Haufen Feinde überlasset,
"der
Osmaniſche Geſchichte
daß die feindlichen Truppen gegen ſie im Anzuge begriffen ſeyen; lief die Nacht vor der Schlacht beynahe der vierte Theil des Heeres aus einander, und die uͤbrigen, die ſich aus Religion verbunden erachteten da zu bleiben, bezeigten ſo wenig Herzhaftigkeit und Eifer, daß ſie nicht einmal willens zu ſeyn ſchienen, es auf das Gluͤck eines Treffens ankommen zu laſſen.
Der Weßir blei- bet getroſt und unbeweglich, und berathſchlaget ſich mit den Pa-ſchen.
72.
Die Paſchen ſelbſt wurden bey dem Weglaufen ihrer Soldaten be- ſtuͤrzt: nur der einzige Weßir, den dieſe Umſtaͤnde von dem Wechſel der menſch- lichen Sachen haͤtten uͤberfuͤhren ſollen, blieb ohne Sorgen, und bildete ſich ein, keine Hinderniß ſey fuͤr ſeine Macht unuͤberſteiglich. Inzwiſchen ließ er doch die andern Kriegsbefehlhaber zu ſich kommen, und fragte dieſelben: wie ſie glaubten, daß man itzo die Sache angreifen muͤßte. Der Begjlerbegj von Ofen, Ibrahim Paſcha, gab ſeine Meinung zuerſt, und rieth: man ſollte die Belagerung aufheben; die Truppen gegen den Feind ausruͤcken laſſen; die nahe gelegenen Waͤlder umhauen, von den gefaͤlleten Baͤumen eine Bruſtwehre ma- chen und dieſelben mit Geſchuͤtze verſehen, um damit den erſten und hitzigſten Angriff aufzufangen; hierauf ſollte man die Reiterey dem Feinde, wenn er ſich zuruͤck ziehen wuͤrde, in die Seiten fallen laſſen. Dieſer Anſchlag, wenn er ge- hoͤrig waͤre ausgefuͤhret worden, wuͤrde, aller Hoffnung nach, einen leichten und ſchleunigen Sieg zuwege gebracht haben. Er fuͤgte noch hinzu: das osmani- ſche Kriegesheer ſey durch die muͤhſelige Arbeit einer langen Belagerung bereits ſehr abgemattet, und koͤnne daher nicht getrennet, noch ein Theil deſſelben ohne große Gefahr in den Schanzen zuruͤckgelaſſen werden; viel weniger duͤrfe man dem Feinde einen Paß offen laſſen, ſo weit als ſich das Lager erſtrecke, deſſen großer Umfang die Vertheidigung deſſelben den osmaniſchen Truppen ſchwerer, den Angriff hingegen den ſtuͤrmenden Feinden leichter machen muͤſſe.
Rede deſſelbenan die Paſchen.
73.
Alle die Paſchen, einige wenige ausgenommen, billigten dieſen Rath, und baten den Weßir inſtaͤndig: er moͤchte ſeine Gewalt nicht misbrau- chen und nicht Gelegenheit geben, daß das osmaniſche Reich einen unerſetzlichen Schaden naͤhme. Der Weßir allein ſetzte ſich dieſen Ermahnungen hartnaͤcki- ger Weiſe entgegen, und ſagte: “Ich weis nicht, was fuͤr ein verderbliches “Ungluͤck dem osmaniſchen State drohen ſolle, daß ſo viele Perſonen von “ausnehmender Klugheit beynahe alle auf verkehrte und unvernuͤnftige Ge- “danken verfallen. Ihr ſeyd der Meinung, wir ſollten Wien verlaſſen, da “wir daſſelbe ſchon drey Monate lang belagert und nunmehr zu ſolcher aͤußer- “ſten Noth gebracht haben, daß es ſich kaum noch drey Tage halten kann. “Wenn ihr aber freywillig geſtattet, daß es uns aus den Haͤnden entwiſchet: “was thut ihr anderes, als daß ihr, ohne einmal eine Schlacht zu halten, den “verlangten Sieg vorſetzlicher Weiſe einem geringen Haufen Feinde uͤberlaſſet,
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Osmaniſche Geſchichte
daß die feindlichen Truppen gegen ſie im Anzuge begriffen ſeyen; lief die Nacht
vor der Schlacht beynahe der vierte Theil des Heeres aus einander, und die
uͤbrigen, die ſich aus Religion verbunden erachteten da zu bleiben, bezeigten ſo
wenig Herzhaftigkeit und Eifer, daß ſie nicht einmal willens zu ſeyn ſchienen, es
auf das Gluͤck eines Treffens ankommen zu laſſen.
72. Die Paſchen ſelbſt wurden bey dem Weglaufen ihrer Soldaten be-
ſtuͤrzt: nur der einzige Weßir, den dieſe Umſtaͤnde von dem Wechſel der menſch-
lichen Sachen haͤtten uͤberfuͤhren ſollen, blieb ohne Sorgen, und bildete ſich
ein, keine Hinderniß ſey fuͤr ſeine Macht unuͤberſteiglich. Inzwiſchen ließ er
doch die andern Kriegsbefehlhaber zu ſich kommen, und fragte dieſelben: wie
ſie glaubten, daß man itzo die Sache angreifen muͤßte. Der Begjlerbegj von
Ofen, Ibrahim Paſcha, gab ſeine Meinung zuerſt, und rieth: man ſollte die
Belagerung aufheben; die Truppen gegen den Feind ausruͤcken laſſen; die nahe
gelegenen Waͤlder umhauen, von den gefaͤlleten Baͤumen eine Bruſtwehre ma-
chen und dieſelben mit Geſchuͤtze verſehen, um damit den erſten und hitzigſten
Angriff aufzufangen; hierauf ſollte man die Reiterey dem Feinde, wenn er ſich
zuruͤck ziehen wuͤrde, in die Seiten fallen laſſen. Dieſer Anſchlag, wenn er ge-
hoͤrig waͤre ausgefuͤhret worden, wuͤrde, aller Hoffnung nach, einen leichten und
ſchleunigen Sieg zuwege gebracht haben. Er fuͤgte noch hinzu: das osmani-
ſche Kriegesheer ſey durch die muͤhſelige Arbeit einer langen Belagerung bereits
ſehr abgemattet, und koͤnne daher nicht getrennet, noch ein Theil deſſelben ohne
große Gefahr in den Schanzen zuruͤckgelaſſen werden; viel weniger duͤrfe man
dem Feinde einen Paß offen laſſen, ſo weit als ſich das Lager erſtrecke, deſſen
großer Umfang die Vertheidigung deſſelben den osmaniſchen Truppen ſchwerer,
den Angriff hingegen den ſtuͤrmenden Feinden leichter machen muͤſſe.
73. Alle die Paſchen, einige wenige ausgenommen, billigten dieſen
Rath, und baten den Weßir inſtaͤndig: er moͤchte ſeine Gewalt nicht misbrau-
chen und nicht Gelegenheit geben, daß das osmaniſche Reich einen unerſetzlichen
Schaden naͤhme. Der Weßir allein ſetzte ſich dieſen Ermahnungen hartnaͤcki-
ger Weiſe entgegen, und ſagte: “Ich weis nicht, was fuͤr ein verderbliches
“Ungluͤck dem osmaniſchen State drohen ſolle, daß ſo viele Perſonen von
“ausnehmender Klugheit beynahe alle auf verkehrte und unvernuͤnftige Ge-
“danken verfallen. Ihr ſeyd der Meinung, wir ſollten Wien verlaſſen, da
“wir daſſelbe ſchon drey Monate lang belagert und nunmehr zu ſolcher aͤußer-
“ſten Noth gebracht haben, daß es ſich kaum noch drey Tage halten kann.
“Wenn ihr aber freywillig geſtattet, daß es uns aus den Haͤnden entwiſchet:
“was thut ihr anderes, als daß ihr, ohne einmal eine Schlacht zu halten, den
“verlangten Sieg vorſetzlicher Weiſe einem geringen Haufen Feinde uͤberlaſſet,
“der
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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/586>, abgerufen am 22.11.2024.
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