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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
Wege zu räumen; damit in dem Falle, wenn der Sultan sich entschließen sollte,
ihm das kaiserliche Insiegel zu nehmen, keiner vorhanden seyn möchte, dem man
es mit größerm Rechte anvertrauen könnte.

Der Weßir ist
bemühet, durch
Wegräumung
der andern Pa-
schen sich in sei-
nem Posten zuerhalten.
130.

Weil nun die Noth zu demjenigen den Trieb darreichte, was die
Grausamkeit an die Hand gab: so machte derselbe den Anfang mit Schejtan
Ibrahim Pascha, der Seräskjer gegen die Deutschen gewesen war; beschuldigte
ihn einer Nachlässigkeit in dem Treffen bey Gran; imgleichen, daß er den Sold,
den die Soldaten hätten bekommen sollen, zurück behalten, und denselben zu sei-
nem eigenen Gebrauche angewendet hätte; und ließ ihn ums Leben bringen.
Eben dieses Schicksal traf auch andere, die entweder mit Rechte oder mit Un-
rechte einiges Lasters konnten beschuldiget werden. Die einzige Person, die
über die Gefahr einer Anklage erhaben zu seyn schiene, war Ajnadschi Sülejman
Pascha, Seräskjer gegen Polen. Dieser hatte durch den Sieg in Moldau
sich ein so großes Ansehen in dem osmanischen Reiche erworben, daß es nicht
allein gefährlich war, sich an ihn zu wagen; sondern er wurde so gar durchge-
hends für würdig geachtet, das Amt des Weßirs zu bekleiden. Da nun der
[Spaltenumbruch]

chet diesem Befehle, heiratet das alte Weib,
und lebet mit demselben, so gut er kann, eini-
ge Tage ohne Beyschläferinn. Nach Ver-
laufe von acht bis vierzehen Tagen verstellet
er sich durch Verwechselung der Kleider, und
gehet mit dem Sultan in die Vorstadt Ejjub
Ensari, da das Eis und der Schnee für den
Sommer aufbehalten wird. Sie gehen bey-
derseits in den Keller, und fangen an tapfer
Wein zu trinken. Als sie hier mit einander
im Trinken begriffen sind: so fraget ihn der
Sultan; ob es wol im Julius einen kühlern
Ort in der Welt geben könne, als dieser Eis-
keller sey? Husejn Pascha antwortet: o ja,
dergleichen könne es wol geben. Wo dann?
saget der Sultan. Der andere versetzet:
In der Fotze des alten Weibes, das ich letzt-
hin auf euren Befehl habe heiraten müssen.
Hierüber fänget der Sultan herzlich an zu la-
chen, und spricht denselben von dieser Ehe frey.
[Spaltenumbruch]
Ein andermal fasset der Sultan bey einer ge-
wissen Gelegenheit gegen denselben einen Un-
willen; giebt Befehl, ihn in die sieben Thür-
me* ins Gefängniß zu bringen, und vergisset
seiner drey Monate lang. Während dieser
Zeit lässet derselbe sich niemals den Kopf ab-
scheren; das wider die Gewohnheit der Hof-
bedienten ist: denn diese dürfen niemals vor
dem Sultane erscheinen, ohne daß sie am
Kopfe und Barte geschoren sind. Im vier-
ten Monate erinnert sich Murad seiner, und
befiehlet, daß man ihn nach Hofe bringen
solle. Als dieser mit seinem langen Hare und
Barte ankommt: so fänget der Sultan zu
ihm an; Welcher Teufel hat dich in einen
Pfaffen verwandelt, daß du mit einem so scheus-
lichen Kopfe vor mir erscheinest? Jener ver-
setzet: Ich wäre werth, daß man mich den
närrischten Menschen von der Welt hieße,
wenn ich einen Kopf hätte scheren oder pflegen

gegen-
* auf Türkisch, jedi Kulle.

Osmaniſche Geſchichte
Wege zu raͤumen; damit in dem Falle, wenn der Sultan ſich entſchließen ſollte,
ihm das kaiſerliche Inſiegel zu nehmen, keiner vorhanden ſeyn moͤchte, dem man
es mit groͤßerm Rechte anvertrauen koͤnnte.

Der Weßir iſt
bemuͤhet, durch
Wegraͤumung
der andern Pa-
ſchen ſich in ſei-
nem Poſten zuerhalten.
130.

Weil nun die Noth zu demjenigen den Trieb darreichte, was die
Grauſamkeit an die Hand gab: ſo machte derſelbe den Anfang mit Schejtan
Ibrahim Paſcha, der Seraͤskjer gegen die Deutſchen geweſen war; beſchuldigte
ihn einer Nachlaͤſſigkeit in dem Treffen bey Gran; imgleichen, daß er den Sold,
den die Soldaten haͤtten bekommen ſollen, zuruͤck behalten, und denſelben zu ſei-
nem eigenen Gebrauche angewendet haͤtte; und ließ ihn ums Leben bringen.
Eben dieſes Schickſal traf auch andere, die entweder mit Rechte oder mit Un-
rechte einiges Laſters konnten beſchuldiget werden. Die einzige Perſon, die
uͤber die Gefahr einer Anklage erhaben zu ſeyn ſchiene, war Ajnadſchi Suͤlejman
Paſcha, Seraͤskjer gegen Polen. Dieſer hatte durch den Sieg in Moldau
ſich ein ſo großes Anſehen in dem osmaniſchen Reiche erworben, daß es nicht
allein gefaͤhrlich war, ſich an ihn zu wagen; ſondern er wurde ſo gar durchge-
hends fuͤr wuͤrdig geachtet, das Amt des Weßirs zu bekleiden. Da nun der
[Spaltenumbruch]

chet dieſem Befehle, heiratet das alte Weib,
und lebet mit demſelben, ſo gut er kann, eini-
ge Tage ohne Beyſchlaͤferinn. Nach Ver-
laufe von acht bis vierzehen Tagen verſtellet
er ſich durch Verwechſelung der Kleider, und
gehet mit dem Sultan in die Vorſtadt Ejjub
Enſari, da das Eis und der Schnee fuͤr den
Sommer aufbehalten wird. Sie gehen bey-
derſeits in den Keller, und fangen an tapfer
Wein zu trinken. Als ſie hier mit einander
im Trinken begriffen ſind: ſo fraget ihn der
Sultan; ob es wol im Julius einen kuͤhlern
Ort in der Welt geben koͤnne, als dieſer Eis-
keller ſey? Huſejn Paſcha antwortet: o ja,
dergleichen koͤnne es wol geben. Wo dann?
ſaget der Sultan. Der andere verſetzet:
In der Fotze des alten Weibes, das ich letzt-
hin auf euren Befehl habe heiraten muͤſſen.
Hieruͤber faͤnget der Sultan herzlich an zu la-
chen, und ſpricht denſelben von dieſer Ehe frey.
[Spaltenumbruch]
Ein andermal faſſet der Sultan bey einer ge-
wiſſen Gelegenheit gegen denſelben einen Un-
willen; giebt Befehl, ihn in die ſieben Thuͤr-
me* ins Gefaͤngniß zu bringen, und vergiſſet
ſeiner drey Monate lang. Waͤhrend dieſer
Zeit laͤſſet derſelbe ſich niemals den Kopf ab-
ſcheren; das wider die Gewohnheit der Hof-
bedienten iſt: denn dieſe duͤrfen niemals vor
dem Sultane erſcheinen, ohne daß ſie am
Kopfe und Barte geſchoren ſind. Im vier-
ten Monate erinnert ſich Murad ſeiner, und
befiehlet, daß man ihn nach Hofe bringen
ſolle. Als dieſer mit ſeinem langen Hare und
Barte ankommt: ſo faͤnget der Sultan zu
ihm an; Welcher Teufel hat dich in einen
Pfaffen verwandelt, daß du mit einem ſo ſcheus-
lichen Kopfe vor mir erſcheineſt? Jener ver-
ſetzet: Ich waͤre werth, daß man mich den
naͤrriſchten Menſchen von der Welt hieße,
wenn ich einen Kopf haͤtte ſcheren oder pflegen

gegen-
* auf Tuͤrkiſch, jedi Kulle.
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[516/0624] Osmaniſche Geſchichte Wege zu raͤumen; damit in dem Falle, wenn der Sultan ſich entſchließen ſollte, ihm das kaiſerliche Inſiegel zu nehmen, keiner vorhanden ſeyn moͤchte, dem man es mit groͤßerm Rechte anvertrauen koͤnnte. 130. Weil nun die Noth zu demjenigen den Trieb darreichte, was die Grauſamkeit an die Hand gab: ſo machte derſelbe den Anfang mit Schejtan Ibrahim Paſcha, der Seraͤskjer gegen die Deutſchen geweſen war; beſchuldigte ihn einer Nachlaͤſſigkeit in dem Treffen bey Gran; imgleichen, daß er den Sold, den die Soldaten haͤtten bekommen ſollen, zuruͤck behalten, und denſelben zu ſei- nem eigenen Gebrauche angewendet haͤtte; und ließ ihn ums Leben bringen. Eben dieſes Schickſal traf auch andere, die entweder mit Rechte oder mit Un- rechte einiges Laſters konnten beſchuldiget werden. Die einzige Perſon, die uͤber die Gefahr einer Anklage erhaben zu ſeyn ſchiene, war Ajnadſchi Suͤlejman Paſcha, Seraͤskjer gegen Polen. Dieſer hatte durch den Sieg in Moldau ſich ein ſo großes Anſehen in dem osmaniſchen Reiche erworben, daß es nicht allein gefaͤhrlich war, ſich an ihn zu wagen; ſondern er wurde ſo gar durchge- hends fuͤr wuͤrdig geachtet, das Amt des Weßirs zu bekleiden. Da nun der gegen- chet dieſem Befehle, heiratet das alte Weib, und lebet mit demſelben, ſo gut er kann, eini- ge Tage ohne Beyſchlaͤferinn. Nach Ver- laufe von acht bis vierzehen Tagen verſtellet er ſich durch Verwechſelung der Kleider, und gehet mit dem Sultan in die Vorſtadt Ejjub Enſari, da das Eis und der Schnee fuͤr den Sommer aufbehalten wird. Sie gehen bey- derſeits in den Keller, und fangen an tapfer Wein zu trinken. Als ſie hier mit einander im Trinken begriffen ſind: ſo fraget ihn der Sultan; ob es wol im Julius einen kuͤhlern Ort in der Welt geben koͤnne, als dieſer Eis- keller ſey? Huſejn Paſcha antwortet: o ja, dergleichen koͤnne es wol geben. Wo dann? ſaget der Sultan. Der andere verſetzet: In der Fotze des alten Weibes, das ich letzt- hin auf euren Befehl habe heiraten muͤſſen. Hieruͤber faͤnget der Sultan herzlich an zu la- chen, und ſpricht denſelben von dieſer Ehe frey. Ein andermal faſſet der Sultan bey einer ge- wiſſen Gelegenheit gegen denſelben einen Un- willen; giebt Befehl, ihn in die ſieben Thuͤr- me * ins Gefaͤngniß zu bringen, und vergiſſet ſeiner drey Monate lang. Waͤhrend dieſer Zeit laͤſſet derſelbe ſich niemals den Kopf ab- ſcheren; das wider die Gewohnheit der Hof- bedienten iſt: denn dieſe duͤrfen niemals vor dem Sultane erſcheinen, ohne daß ſie am Kopfe und Barte geſchoren ſind. Im vier- ten Monate erinnert ſich Murad ſeiner, und befiehlet, daß man ihn nach Hofe bringen ſolle. Als dieſer mit ſeinem langen Hare und Barte ankommt: ſo faͤnget der Sultan zu ihm an; Welcher Teufel hat dich in einen Pfaffen verwandelt, daß du mit einem ſo ſcheus- lichen Kopfe vor mir erſcheineſt? Jener ver- ſetzet: Ich waͤre werth, daß man mich den naͤrriſchten Menſchen von der Welt hieße, wenn ich einen Kopf haͤtte ſcheren oder pflegen wollen, * auf Tuͤrkiſch, jedi Kulle.

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 516. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/624>, abgerufen am 22.11.2024.