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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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20. Sülejman der II
7.

Hierauf gehen sie in ihrer Wut so weit, daß sie (eine Sache, die sonstFallen mit un-
erhörter Grau-
samkeit dessen
Frauenzimmer
an, und würden
die ganze Stadt
geplündert ha-
ben: wenn sie
nicht von den
Ulema daran
verhindert wor-
den wären.

bey den Türken unerhört ist) in das Frauenzimmer einbrechen, daselbst der
Gemalinn 6 und Schwester des Weßirs Nasen, Hände und Füße abhauen, die-
selben nacket durch die Straßen schleppen, und noch andere abscheuliche Thaten
mit den Slawen und Slawinnen begehen. Nachdem nun solchergestalt das
Haus des Weßirs zu Grunde gerichtet ist: so rennen sie, wie die raubbegierigen
Wölfe, durch die Stadt, tödten und plündern alles, was sie antreffen, als
wenn dieselben an dem Verbrechen des Weßirs Theil hätten. Da siehet man
nun einen traurigen Anblick der Sachen; und es würde die ganze Stadt darüber
verheret worden seyn: wenn nicht die Ulema, die die Empörung zuerst erreget
hatten, dieselbe wieder gestillet hätten. Denn als sie die Gefahr vor Augen
sehen: so versammeln sie sich unverzüglich bey dem kaiserlichen Palaste, stecken
daselbst Muhämmeds Sandschaki scherif* aus, und lassen durch Ausrufer öffent-
[Spaltenumbruch]

des Wortes Sähh (gewiß). Wenn aber der
Weßir an der Gerechtigkeit des Urtheils Zwei-
fel träget: so höret er die Sache noch einmal
an; und wenn er befindet, daß der beysitzen-
de Richter mit Vorsatze einen ungerechten
Spruch gethan hat: so lässet er den Parteyen
ein Hudschdschet oder eine Abschrift eines
Bescheides nach seinem eigenen Gutachten
zustellen. In solchem Falle aber behaupten
die Beysitzer die Gerechtigkeit ihrer Meinung
mit allem Ernste, welches sie nicht allein thun
dürfen, sondern auch zu thun schuldig sind.
Denn wenn ein Richter bey den Türken ein-
mal erfunden worden ist, daß er eine Unge-
rechtigkeit begangen hat: so kann er nicht
bey seinem Amte bleiben, und hat auch keine
Hoffnung, iemals wieder ein anderes zu be-
kommen. Während daß dieses an der lin-
ken Seite vorgehet, übergiebt der vorderste
Mann an der rechten Hand sein Aerßuhal
mittelst der vorhingedachten Personen dem
Kjutschükj Teßkjeredschi, der es erstlich durch-
läufet, damit er nicht anstoßen möge, wann
er es ablesen soll. So bald nun die vorha-
bende Sache abgeurtheilet ist: so lieset er das-
[Spaltenumbruch]
selbe laut her. Und so gehet es immer fort,
bis alle Sachen angehöret sind; denn der
Diwan kann nicht eher aufbrechen, als bis
entweder die Nacht heran kommt, oder keine
Sachen mehr anzuhören vorhanden sind. In
eben diesem Sale empfangen auch die Sipahi
in Gegenwart des Weßirs ihren Sold. Die
Jeng-itscheri aber bekommen ihren Sold in
dem Gälebe Diwan oder der kaiserlichen Hof-
haltung, in Beuteln; und diese tragen sie zu
dem Kulkjihaja, der das Geld unter die Trup-
pen austheilet, und einem ieden seinen Ge-
halt einhändiget.
6 Gemalinn] Sie war eine Tochter
des großen und berühmten Weßirs, Kjüprili
Aehmed Pascha, und eine Schwester von Kjü-
prili Mustäfa Pascha, der kurz hierauf den
Deutschen Belgrad wieder abnahme. Die
Grausamkeit, die an diesen Frauenzimmern
von den wütenden Soldaten verübet wurde,
gereichte diesen zu größerer Unehre, als die
Empörung selbst und die Ermordung des
unschuldigen Weßirs.

lich
* heilige Standarte.
4 C
20. Suͤlejman der II
7.

Hierauf gehen ſie in ihrer Wut ſo weit, daß ſie (eine Sache, die ſonſtFallen mit un-
erhoͤrter Grau-
ſamkeit deſſen
Frauenzimmer
an, und wuͤrden
die ganze Stadt
gepluͤndert ha-
ben: wenn ſie
nicht von den
Ulema daran
verhindert wor-
den waͤren.

bey den Tuͤrken unerhoͤrt iſt) in das Frauenzimmer einbrechen, daſelbſt der
Gemalinn 6 und Schweſter des Weßirs Naſen, Haͤnde und Fuͤße abhauen, die-
ſelben nacket durch die Straßen ſchleppen, und noch andere abſcheuliche Thaten
mit den Slawen und Slawinnen begehen. Nachdem nun ſolchergeſtalt das
Haus des Weßirs zu Grunde gerichtet iſt: ſo rennen ſie, wie die raubbegierigen
Woͤlfe, durch die Stadt, toͤdten und pluͤndern alles, was ſie antreffen, als
wenn dieſelben an dem Verbrechen des Weßirs Theil haͤtten. Da ſiehet man
nun einen traurigen Anblick der Sachen; und es wuͤrde die ganze Stadt daruͤber
verheret worden ſeyn: wenn nicht die Ulema, die die Empoͤrung zuerſt erreget
hatten, dieſelbe wieder geſtillet haͤtten. Denn als ſie die Gefahr vor Augen
ſehen: ſo verſammeln ſie ſich unverzuͤglich bey dem kaiſerlichen Palaſte, ſtecken
daſelbſt Muhaͤmmeds Sandſchaki ſcherif* aus, und laſſen durch Ausrufer oͤffent-
[Spaltenumbruch]

des Wortes Saͤhh (gewiß). Wenn aber der
Weßir an der Gerechtigkeit des Urtheils Zwei-
fel traͤget: ſo hoͤret er die Sache noch einmal
an; und wenn er befindet, daß der beyſitzen-
de Richter mit Vorſatze einen ungerechten
Spruch gethan hat: ſo laͤſſet er den Parteyen
ein Hudſchdſchet oder eine Abſchrift eines
Beſcheides nach ſeinem eigenen Gutachten
zuſtellen. In ſolchem Falle aber behaupten
die Beyſitzer die Gerechtigkeit ihrer Meinung
mit allem Ernſte, welches ſie nicht allein thun
duͤrfen, ſondern auch zu thun ſchuldig ſind.
Denn wenn ein Richter bey den Tuͤrken ein-
mal erfunden worden iſt, daß er eine Unge-
rechtigkeit begangen hat: ſo kann er nicht
bey ſeinem Amte bleiben, und hat auch keine
Hoffnung, iemals wieder ein anderes zu be-
kommen. Waͤhrend daß dieſes an der lin-
ken Seite vorgehet, uͤbergiebt der vorderſte
Mann an der rechten Hand ſein Aerßuhal
mittelſt der vorhingedachten Perſonen dem
Kjutſchuͤkj Teßkjeredſchi, der es erſtlich durch-
laͤufet, damit er nicht anſtoßen moͤge, wann
er es ableſen ſoll. So bald nun die vorha-
bende Sache abgeurtheilet iſt: ſo lieſet er daſ-
[Spaltenumbruch]
ſelbe laut her. Und ſo gehet es immer fort,
bis alle Sachen angehoͤret ſind; denn der
Diwan kann nicht eher aufbrechen, als bis
entweder die Nacht heran kommt, oder keine
Sachen mehr anzuhoͤren vorhanden ſind. In
eben dieſem Sale empfangen auch die Sipahi
in Gegenwart des Weßirs ihren Sold. Die
Jeng-itſcheri aber bekommen ihren Sold in
dem Gaͤlebe Diwan oder der kaiſerlichen Hof-
haltung, in Beuteln; und dieſe tragen ſie zu
dem Kulkjihaja, der das Geld unter die Trup-
pen austheilet, und einem ieden ſeinen Ge-
halt einhaͤndiget.
6 Gemalinn] Sie war eine Tochter
des großen und beruͤhmten Weßirs, Kjuͤprili
Aehmed Paſcha, und eine Schweſter von Kjuͤ-
prili Muſtaͤfa Paſcha, der kurz hierauf den
Deutſchen Belgrad wieder abnahme. Die
Grauſamkeit, die an dieſen Frauenzimmern
von den wuͤtenden Soldaten veruͤbet wurde,
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Empoͤrung ſelbſt und die Ermordung des
unſchuldigen Weßirs.

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* heilige Standarte.
4 C
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[569/0679] 20. Suͤlejman der II 7. Hierauf gehen ſie in ihrer Wut ſo weit, daß ſie (eine Sache, die ſonſt bey den Tuͤrken unerhoͤrt iſt) in das Frauenzimmer einbrechen, daſelbſt der Gemalinn ⁶ und Schweſter des Weßirs Naſen, Haͤnde und Fuͤße abhauen, die- ſelben nacket durch die Straßen ſchleppen, und noch andere abſcheuliche Thaten mit den Slawen und Slawinnen begehen. Nachdem nun ſolchergeſtalt das Haus des Weßirs zu Grunde gerichtet iſt: ſo rennen ſie, wie die raubbegierigen Woͤlfe, durch die Stadt, toͤdten und pluͤndern alles, was ſie antreffen, als wenn dieſelben an dem Verbrechen des Weßirs Theil haͤtten. Da ſiehet man nun einen traurigen Anblick der Sachen; und es wuͤrde die ganze Stadt daruͤber verheret worden ſeyn: wenn nicht die Ulema, die die Empoͤrung zuerſt erreget hatten, dieſelbe wieder geſtillet haͤtten. Denn als ſie die Gefahr vor Augen ſehen: ſo verſammeln ſie ſich unverzuͤglich bey dem kaiſerlichen Palaſte, ſtecken daſelbſt Muhaͤmmeds Sandſchaki ſcherif * aus, und laſſen durch Ausrufer oͤffent- lich des Wortes Saͤhh (gewiß). Wenn aber der Weßir an der Gerechtigkeit des Urtheils Zwei- fel traͤget: ſo hoͤret er die Sache noch einmal an; und wenn er befindet, daß der beyſitzen- de Richter mit Vorſatze einen ungerechten Spruch gethan hat: ſo laͤſſet er den Parteyen ein Hudſchdſchet oder eine Abſchrift eines Beſcheides nach ſeinem eigenen Gutachten zuſtellen. In ſolchem Falle aber behaupten die Beyſitzer die Gerechtigkeit ihrer Meinung mit allem Ernſte, welches ſie nicht allein thun duͤrfen, ſondern auch zu thun ſchuldig ſind. Denn wenn ein Richter bey den Tuͤrken ein- mal erfunden worden iſt, daß er eine Unge- rechtigkeit begangen hat: ſo kann er nicht bey ſeinem Amte bleiben, und hat auch keine Hoffnung, iemals wieder ein anderes zu be- kommen. Waͤhrend daß dieſes an der lin- ken Seite vorgehet, uͤbergiebt der vorderſte Mann an der rechten Hand ſein Aerßuhal mittelſt der vorhingedachten Perſonen dem Kjutſchuͤkj Teßkjeredſchi, der es erſtlich durch- laͤufet, damit er nicht anſtoßen moͤge, wann er es ableſen ſoll. So bald nun die vorha- bende Sache abgeurtheilet iſt: ſo lieſet er daſ- ſelbe laut her. Und ſo gehet es immer fort, bis alle Sachen angehoͤret ſind; denn der Diwan kann nicht eher aufbrechen, als bis entweder die Nacht heran kommt, oder keine Sachen mehr anzuhoͤren vorhanden ſind. In eben dieſem Sale empfangen auch die Sipahi in Gegenwart des Weßirs ihren Sold. Die Jeng-itſcheri aber bekommen ihren Sold in dem Gaͤlebe Diwan oder der kaiſerlichen Hof- haltung, in Beuteln; und dieſe tragen ſie zu dem Kulkjihaja, der das Geld unter die Trup- pen austheilet, und einem ieden ſeinen Ge- halt einhaͤndiget. ⁶ Gemalinn] Sie war eine Tochter des großen und beruͤhmten Weßirs, Kjuͤprili Aehmed Paſcha, und eine Schweſter von Kjuͤ- prili Muſtaͤfa Paſcha, der kurz hierauf den Deutſchen Belgrad wieder abnahme. Die Grauſamkeit, die an dieſen Frauenzimmern von den wuͤtenden Soldaten veruͤbet wurde, gereichte dieſen zu groͤßerer Unehre, als die Empoͤrung ſelbſt und die Ermordung des unſchuldigen Weßirs. Fallen mit un- erhoͤrter Grau- ſamkeit deſſen Frauenzimmer an, und wuͤrden die ganze Stadt gepluͤndert ha- ben: wenn ſie nicht von den Ulema daran verhindert wor- den waͤren. * heilige Standarte. 4 C

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 569. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/679>, abgerufen am 22.11.2024.