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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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20. Sülejman der II
56.

Nach Erhaltung dieses Vorraths ziehet der König mit seinem HeereWird durch die
Türken und Ta-
tarn verhindert,
weiter zu gehen;
und genöthiget,
wieder zurück
zu kehren.

nach Jakobeni, einem Dorfe fünf Meilen von Jassij gelegen. Als er aber hier
vernimmt, daß der Seräskjer Bijiklü Mustäfa Pascha nebst dem Nurreddin
Sultan gegen ihn heranziehen: so entschließet er sich, wieder nach Polen zurück
zu kehren. Weil aber die von Soroka gebrachten Lebensmittel bereits aufge-
zehret sind: so ist er abermals genöthiget, seinen Weg über den gebirgigen Theil
des Landes zu nehmen. Bey ihrem Abzuge werden die Polen von den Tatarn
auf dem Fuße verfolget; die von ihnen, da sie in den Wäldern herumgehen
und Obst zusammen suchen, eine große Anzahl ums Leben bringen und viele
gefangen bekommen. Endlich kehret der König von Polen, nachdem er eine
Menge seiner Leute durch Hunger und Krankheiten verloren hatte, mit dem
Ueberreste seines Heeres nach Polen. Es würde aber mit seinem Rückzuge
sehr mislich ausgesehen haben, wenn nicht der Fürst von Moldau, der zwar
dahin trachtete, die Polen aus seinem Lande zu schaffen, nicht aber, dieselben
gänzlich zu Grunde zu richten, dem Seräskjer von dem Nachsetzen abgerathen
hätte; indem er ihm vorstellete: die Polen seyen schon auf dem Rückwege be-
griffen und nicht weit mehr von ihren Grenzen. Da es nun eine Regel der
Kriegsklugheit sey, daß man einem fliehenden Feinde eine göldene Brücke bauen
solle: so wolle er ihm anrathen, die osmanischen Truppen nicht vergebens zu er-
müden; sonderlich da die Polen den Einwohnern keinen Schaden zufügen könn-
ten, weil diese allesammt in die Gebirge geflohen seyen. So viel ist gewiß, wenn
der Seräskjer mit seinem Heere herbeygerücket wäre: so würde kaum ein Polak
davon gekommen seyn. Denn ihr Lager war vom Hunger in solche Noth gera-
then, daß die von der Reiterey sich den Tatarn freywillig ergaben 26, und sagten:
sie wollten sich lieber gefangen nehmen lassen, als vor Hunger sterben. Nach dem
Abzuge der Tatarn traf der Fürst verschiedene polnische Edelleute in den Wäl-
[Spaltenumbruch]

entweder von dem Hunger oder von dem
Schwerte aufreiben ließen. Weil die Tatarn
keine Lebensmittel hatten, damit sie die Ge-
fangenen alle speisen konnten: so verkauf-
ten sie dieselben fast alle zusammen, das Stück
um drey Reichsthaler. Es befand sich auch
ein Moldaner darunter, ein Mann von sie-
benzig Jahren, mit Namen Tamaschawski,
der mit meinem Vater zu dem Könige Kasimir
nach Polen gezogen war, und fast seine ganze
Lebenszeit im Kriege zugebracht hatte. Als
mein Vater diesem seine ehemalige Tapferkeit
[Spaltenumbruch]
zu Gemüthe führete, die er bewiesen habe,
da er mit ihm in Polen gewesen sey; und ihn
hierauf fragte: warum er doch seine Waffen
so schändlicher Weise niedergeleget und sich
von den Tatarn habe binden lassen? so gab
derselbe zur Antwort: "Sie wissen, gnä-
"digster Fürst, wie ich mich unter Thorunius
"gehalten habe; und daß ich mich damals
"nicht gefürchtet, mit fünf Schweden auf
"einmal anzubinden. Von derselben Zeit an
"habe ich beständig zu Felde gedienet, und
"öfters mit Feinden gefochten; niemals aber

dern
4 H 2
20. Suͤlejman der II
56.

Nach Erhaltung dieſes Vorraths ziehet der Koͤnig mit ſeinem HeereWird durch die
Tuͤrken und Ta-
tarn verhindert,
weiter zu gehen;
und genoͤthiget,
wieder zuruͤck
zu kehren.

nach Jakobeni, einem Dorfe fuͤnf Meilen von Jaſſij gelegen. Als er aber hier
vernimmt, daß der Seraͤskjer Bijikluͤ Muſtaͤfa Paſcha nebſt dem Nurreddin
Sultan gegen ihn heranziehen: ſo entſchließet er ſich, wieder nach Polen zuruͤck
zu kehren. Weil aber die von Soroka gebrachten Lebensmittel bereits aufge-
zehret ſind: ſo iſt er abermals genoͤthiget, ſeinen Weg uͤber den gebirgigen Theil
des Landes zu nehmen. Bey ihrem Abzuge werden die Polen von den Tatarn
auf dem Fuße verfolget; die von ihnen, da ſie in den Waͤldern herumgehen
und Obſt zuſammen ſuchen, eine große Anzahl ums Leben bringen und viele
gefangen bekommen. Endlich kehret der Koͤnig von Polen, nachdem er eine
Menge ſeiner Leute durch Hunger und Krankheiten verloren hatte, mit dem
Ueberreſte ſeines Heeres nach Polen. Es wuͤrde aber mit ſeinem Ruͤckzuge
ſehr mislich ausgeſehen haben, wenn nicht der Fuͤrſt von Moldau, der zwar
dahin trachtete, die Polen aus ſeinem Lande zu ſchaffen, nicht aber, dieſelben
gaͤnzlich zu Grunde zu richten, dem Seraͤskjer von dem Nachſetzen abgerathen
haͤtte; indem er ihm vorſtellete: die Polen ſeyen ſchon auf dem Ruͤckwege be-
griffen und nicht weit mehr von ihren Grenzen. Da es nun eine Regel der
Kriegsklugheit ſey, daß man einem fliehenden Feinde eine goͤldene Bruͤcke bauen
ſolle: ſo wolle er ihm anrathen, die osmaniſchen Truppen nicht vergebens zu er-
muͤden; ſonderlich da die Polen den Einwohnern keinen Schaden zufuͤgen koͤnn-
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der Seraͤskjer mit ſeinem Heere herbeygeruͤcket waͤre: ſo wuͤrde kaum ein Polak
davon gekommen ſeyn. Denn ihr Lager war vom Hunger in ſolche Noth gera-
then, daß die von der Reiterey ſich den Tatarn freywillig ergaben 26, und ſagten:
ſie wollten ſich lieber gefangen nehmen laſſen, als vor Hunger ſterben. Nach dem
Abzuge der Tatarn traf der Fuͤrſt verſchiedene polniſche Edelleute in den Waͤl-
[Spaltenumbruch]

entweder von dem Hunger oder von dem
Schwerte aufreiben ließen. Weil die Tatarn
keine Lebensmittel hatten, damit ſie die Ge-
fangenen alle ſpeiſen konnten: ſo verkauf-
ten ſie dieſelben faſt alle zuſammen, das Stuͤck
um drey Reichsthaler. Es befand ſich auch
ein Moldaner darunter, ein Mann von ſie-
benzig Jahren, mit Namen Tamaſchawſki,
der mit meinem Vater zu dem Koͤnige Kaſimir
nach Polen gezogen war, und faſt ſeine ganze
Lebenszeit im Kriege zugebracht hatte. Als
mein Vater dieſem ſeine ehemalige Tapferkeit
[Spaltenumbruch]
zu Gemuͤthe fuͤhrete, die er bewieſen habe,
da er mit ihm in Polen geweſen ſey; und ihn
hierauf fragte: warum er doch ſeine Waffen
ſo ſchaͤndlicher Weiſe niedergeleget und ſich
von den Tatarn habe binden laſſen? ſo gab
derſelbe zur Antwort: “Sie wiſſen, gnaͤ-
“digſter Fuͤrſt, wie ich mich unter Thorunius
“gehalten habe; und daß ich mich damals
“nicht gefuͤrchtet, mit fuͤnf Schweden auf
“einmal anzubinden. Von derſelben Zeit an
“habe ich beſtaͤndig zu Felde gedienet, und
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[611/0721] 20. Suͤlejman der II 56. Nach Erhaltung dieſes Vorraths ziehet der Koͤnig mit ſeinem Heere nach Jakobeni, einem Dorfe fuͤnf Meilen von Jaſſij gelegen. Als er aber hier vernimmt, daß der Seraͤskjer Bijikluͤ Muſtaͤfa Paſcha nebſt dem Nurreddin Sultan gegen ihn heranziehen: ſo entſchließet er ſich, wieder nach Polen zuruͤck zu kehren. Weil aber die von Soroka gebrachten Lebensmittel bereits aufge- zehret ſind: ſo iſt er abermals genoͤthiget, ſeinen Weg uͤber den gebirgigen Theil des Landes zu nehmen. Bey ihrem Abzuge werden die Polen von den Tatarn auf dem Fuße verfolget; die von ihnen, da ſie in den Waͤldern herumgehen und Obſt zuſammen ſuchen, eine große Anzahl ums Leben bringen und viele gefangen bekommen. Endlich kehret der Koͤnig von Polen, nachdem er eine Menge ſeiner Leute durch Hunger und Krankheiten verloren hatte, mit dem Ueberreſte ſeines Heeres nach Polen. Es wuͤrde aber mit ſeinem Ruͤckzuge ſehr mislich ausgeſehen haben, wenn nicht der Fuͤrſt von Moldau, der zwar dahin trachtete, die Polen aus ſeinem Lande zu ſchaffen, nicht aber, dieſelben gaͤnzlich zu Grunde zu richten, dem Seraͤskjer von dem Nachſetzen abgerathen haͤtte; indem er ihm vorſtellete: die Polen ſeyen ſchon auf dem Ruͤckwege be- griffen und nicht weit mehr von ihren Grenzen. Da es nun eine Regel der Kriegsklugheit ſey, daß man einem fliehenden Feinde eine goͤldene Bruͤcke bauen ſolle: ſo wolle er ihm anrathen, die osmaniſchen Truppen nicht vergebens zu er- muͤden; ſonderlich da die Polen den Einwohnern keinen Schaden zufuͤgen koͤnn- ten, weil dieſe alleſammt in die Gebirge geflohen ſeyen. So viel iſt gewiß, wenn der Seraͤskjer mit ſeinem Heere herbeygeruͤcket waͤre: ſo wuͤrde kaum ein Polak davon gekommen ſeyn. Denn ihr Lager war vom Hunger in ſolche Noth gera- then, daß die von der Reiterey ſich den Tatarn freywillig ergaben ²⁶ , und ſagten: ſie wollten ſich lieber gefangen nehmen laſſen, als vor Hunger ſterben. Nach dem Abzuge der Tatarn traf der Fuͤrſt verſchiedene polniſche Edelleute in den Waͤl- dern entweder von dem Hunger oder von dem Schwerte aufreiben ließen. Weil die Tatarn keine Lebensmittel hatten, damit ſie die Ge- fangenen alle ſpeiſen konnten: ſo verkauf- ten ſie dieſelben faſt alle zuſammen, das Stuͤck um drey Reichsthaler. Es befand ſich auch ein Moldaner darunter, ein Mann von ſie- benzig Jahren, mit Namen Tamaſchawſki, der mit meinem Vater zu dem Koͤnige Kaſimir nach Polen gezogen war, und faſt ſeine ganze Lebenszeit im Kriege zugebracht hatte. Als mein Vater dieſem ſeine ehemalige Tapferkeit zu Gemuͤthe fuͤhrete, die er bewieſen habe, da er mit ihm in Polen geweſen ſey; und ihn hierauf fragte: warum er doch ſeine Waffen ſo ſchaͤndlicher Weiſe niedergeleget und ſich von den Tatarn habe binden laſſen? ſo gab derſelbe zur Antwort: “Sie wiſſen, gnaͤ- “digſter Fuͤrſt, wie ich mich unter Thorunius “gehalten habe; und daß ich mich damals “nicht gefuͤrchtet, mit fuͤnf Schweden auf “einmal anzubinden. Von derſelben Zeit an “habe ich beſtaͤndig zu Felde gedienet, und “oͤfters mit Feinden gefochten; niemals aber “mit Wird durch die Tuͤrken und Ta- tarn verhindert, weiter zu gehen; und genoͤthiget, wieder zuruͤck zu kehren. 4 H 2

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 611. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/721>, abgerufen am 22.11.2024.