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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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Osmanische Geschichte
Chios ergiebt
sich den Venetia-nern.
46.

Die einzigen Venetianer setzten in diesem Jahre den Türken tapfer
zu, und fasseten einen Anschlag, der ihnen die Herrschaft zur See hätte zuwege
bringen können, wenn sie denselben mit Klugheit und Mäßigung auszuführen
[Spaltenumbruch]

21 der katholischen Religion] Vor
diesem war ein großer Theil von Chios von
Leuten bewohnet, die der römischen Kirche
zugethan waren. Dieser ihre Vorfahrer hat-
ten viele Mannesalter zuvor, ehe das Ey-
land unter türkische Botmäßigkeit kam, von
Venedig und andern Ländern Italiens sich
hier niedergelassen, und die Religion, die sie
aus ihrem Vaterlande mitgebracht hatten,
auf ihre letztern Nachkommen fortgepflanzet.
Sie genossen nicht allein die freye Uebung
ihrer Religion und eben die Freyheiten, als
die übrigen Einwohner; sondern hatten auch
noch mehr Kirchen, als diese, erbauet, und
durch den Beystand und das Ansehen der
französischen Abgesandten, und der dem römi-
schen Stuhle zugethanen Fürsten, von dem os-
manischen Hofe mehr Befreyungen und Vor-
züge erhalten, als den andern Unterthanen
desselben Reiches vergönnet waren. Als
nach der Zeit zwischen den Türken und Vene-
tianern, nach der Niederlage bey Wien, ein
Krieg entstunde: so dienete dieses Volk, von
dem ich hier rede, dem State von Venedig
für Kundschafter, und was mit der türkischen
Flote zu Constantinopel oder in den Eylän-
dern vorginge, davon gab dasselbe dem Ad-
miral der feindlichen Flote fleißig Nachricht.
Endlich, als ganz Morea von den Venetia-
nern erobert war, wuchs ihnen der Muth
dergestalt, daß sie darauf bedacht waren,
ihr Eyland gleichfalls unter das Panier von
St. Markus zu bringen. Um nun ihr Vor-
haben desto besser ins Werk zu richten: so
achteten sie es für rathsam, ungeachtet sie
bereits den besten Theil des Eylandes im Be-
sitze hatten, die Neigung der Griechen vorher
[Spaltenumbruch]
auszuforschen; damit diese nicht ihrem Vor-
haben unverhofft Hindernisse in den Weg
legen möchten. Weil sie aber sich nicht ge-
traueten, ihre Absichten öffentlich zu entdecken:
so fingen sie in den gemeinen Unterredungen
an, die Macht der Türken zu verkleinern, und
der Venetianer ihre dagegen zu erheben; und
sagten: es sey zu befürchten, wann die tür-
kische Flote vollends aus der See vertrieben
sey, daß die Republik sich von allen Eylän-
dern in dem ägeischen Meere Meister machen
werde. Es sey daher rathsam, noch vor an-
gehendem Sommer sich der Venetianer Gunst
zu erwerben, und zu dem Ende ihrem Admi-
ral ein Schreiben zuzusenden, darinnen man
ihn ersuchen müßte, ein Volk, das mit ihm
einerley Religion habe, gegen die Fremden
zu beschützen; und daß (wenn es seyn könne)
alsdann ein Christ dem andern beystehen
möchte. Allein, dieser Vorschlag wurde
von den Griechen nicht gebilliget: sowol,
weil ihnen die Treue der Venetianer verdäch-
tig war; als auch, weil sie glaubten, die
Venetianer, die so weit von ihnen abgelegen
sind, würden ihnen gegen die gegenwärtige
Macht der Türken wenig Schutz leisten kön-
nen. Weil sie aber voraus sahen, daß die
Lateiner auch ohne ihren Beytritt etwas zum
Vortheile der Venetianer unternehmen wür-
den: so berichteten sie Husejn Pascha, der
zur selbigen Zeit Admiral bey den Türken
war; sie seyen entschlossen, dem osmanischen
Hofe bis in den Tod getreu zu verbleiben:
es befinden sich aber bey ihnen viele Lateiner,
die mit den Venetianern dem Geblüte und
der Religion nach verwandt seyen, für deren
Treue sie nicht stehen könnten. Sie hatten

gewußt
Osmaniſche Geſchichte
Chios ergiebt
ſich den Venetia-nern.
46.

Die einzigen Venetianer ſetzten in dieſem Jahre den Tuͤrken tapfer
zu, und faſſeten einen Anſchlag, der ihnen die Herrſchaft zur See haͤtte zuwege
bringen koͤnnen, wenn ſie denſelben mit Klugheit und Maͤßigung auszufuͤhren
[Spaltenumbruch]

21 der katholiſchen Religion] Vor
dieſem war ein großer Theil von Chios von
Leuten bewohnet, die der roͤmiſchen Kirche
zugethan waren. Dieſer ihre Vorfahrer hat-
ten viele Mannesalter zuvor, ehe das Ey-
land unter tuͤrkiſche Botmaͤßigkeit kam, von
Venedig und andern Laͤndern Italiens ſich
hier niedergelaſſen, und die Religion, die ſie
aus ihrem Vaterlande mitgebracht hatten,
auf ihre letztern Nachkommen fortgepflanzet.
Sie genoſſen nicht allein die freye Uebung
ihrer Religion und eben die Freyheiten, als
die uͤbrigen Einwohner; ſondern hatten auch
noch mehr Kirchen, als dieſe, erbauet, und
durch den Beyſtand und das Anſehen der
franzoͤſiſchen Abgeſandten, und der dem roͤmi-
ſchen Stuhle zugethanen Fuͤrſten, von dem os-
maniſchen Hofe mehr Befreyungen und Vor-
zuͤge erhalten, als den andern Unterthanen
deſſelben Reiches vergoͤnnet waren. Als
nach der Zeit zwiſchen den Tuͤrken und Vene-
tianern, nach der Niederlage bey Wien, ein
Krieg entſtunde: ſo dienete dieſes Volk, von
dem ich hier rede, dem State von Venedig
fuͤr Kundſchafter, und was mit der tuͤrkiſchen
Flote zu Conſtantinopel oder in den Eylaͤn-
dern vorginge, davon gab daſſelbe dem Ad-
miral der feindlichen Flote fleißig Nachricht.
Endlich, als ganz Morea von den Venetia-
nern erobert war, wuchs ihnen der Muth
dergeſtalt, daß ſie darauf bedacht waren,
ihr Eyland gleichfalls unter das Panier von
St. Markus zu bringen. Um nun ihr Vor-
haben deſto beſſer ins Werk zu richten: ſo
achteten ſie es fuͤr rathſam, ungeachtet ſie
bereits den beſten Theil des Eylandes im Be-
ſitze hatten, die Neigung der Griechen vorher
[Spaltenumbruch]
auszuforſchen; damit dieſe nicht ihrem Vor-
haben unverhofft Hinderniſſe in den Weg
legen moͤchten. Weil ſie aber ſich nicht ge-
traueten, ihre Abſichten oͤffentlich zu entdecken:
ſo fingen ſie in den gemeinen Unterredungen
an, die Macht der Tuͤrken zu verkleinern, und
der Venetianer ihre dagegen zu erheben; und
ſagten: es ſey zu befuͤrchten, wann die tuͤr-
kiſche Flote vollends aus der See vertrieben
ſey, daß die Republik ſich von allen Eylaͤn-
dern in dem aͤgeiſchen Meere Meiſter machen
werde. Es ſey daher rathſam, noch vor an-
gehendem Sommer ſich der Venetianer Gunſt
zu erwerben, und zu dem Ende ihrem Admi-
ral ein Schreiben zuzuſenden, darinnen man
ihn erſuchen muͤßte, ein Volk, das mit ihm
einerley Religion habe, gegen die Fremden
zu beſchuͤtzen; und daß (wenn es ſeyn koͤnne)
alsdann ein Chriſt dem andern beyſtehen
moͤchte. Allein, dieſer Vorſchlag wurde
von den Griechen nicht gebilliget: ſowol,
weil ihnen die Treue der Venetianer verdaͤch-
tig war; als auch, weil ſie glaubten, die
Venetianer, die ſo weit von ihnen abgelegen
ſind, wuͤrden ihnen gegen die gegenwaͤrtige
Macht der Tuͤrken wenig Schutz leiſten koͤn-
nen. Weil ſie aber voraus ſahen, daß die
Lateiner auch ohne ihren Beytritt etwas zum
Vortheile der Venetianer unternehmen wuͤr-
den: ſo berichteten ſie Huſejn Paſcha, der
zur ſelbigen Zeit Admiral bey den Tuͤrken
war; ſie ſeyen entſchloſſen, dem osmaniſchen
Hofe bis in den Tod getreu zu verbleiben:
es befinden ſich aber bey ihnen viele Lateiner,
die mit den Venetianern dem Gebluͤte und
der Religion nach verwandt ſeyen, fuͤr deren
Treue ſie nicht ſtehen koͤnnten. Sie hatten

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[646/0758] Osmaniſche Geſchichte 46. Die einzigen Venetianer ſetzten in dieſem Jahre den Tuͤrken tapfer zu, und faſſeten einen Anſchlag, der ihnen die Herrſchaft zur See haͤtte zuwege bringen koͤnnen, wenn ſie denſelben mit Klugheit und Maͤßigung auszufuͤhren gewußt ²¹ der katholiſchen Religion] Vor dieſem war ein großer Theil von Chios von Leuten bewohnet, die der roͤmiſchen Kirche zugethan waren. Dieſer ihre Vorfahrer hat- ten viele Mannesalter zuvor, ehe das Ey- land unter tuͤrkiſche Botmaͤßigkeit kam, von Venedig und andern Laͤndern Italiens ſich hier niedergelaſſen, und die Religion, die ſie aus ihrem Vaterlande mitgebracht hatten, auf ihre letztern Nachkommen fortgepflanzet. Sie genoſſen nicht allein die freye Uebung ihrer Religion und eben die Freyheiten, als die uͤbrigen Einwohner; ſondern hatten auch noch mehr Kirchen, als dieſe, erbauet, und durch den Beyſtand und das Anſehen der franzoͤſiſchen Abgeſandten, und der dem roͤmi- ſchen Stuhle zugethanen Fuͤrſten, von dem os- maniſchen Hofe mehr Befreyungen und Vor- zuͤge erhalten, als den andern Unterthanen deſſelben Reiches vergoͤnnet waren. Als nach der Zeit zwiſchen den Tuͤrken und Vene- tianern, nach der Niederlage bey Wien, ein Krieg entſtunde: ſo dienete dieſes Volk, von dem ich hier rede, dem State von Venedig fuͤr Kundſchafter, und was mit der tuͤrkiſchen Flote zu Conſtantinopel oder in den Eylaͤn- dern vorginge, davon gab daſſelbe dem Ad- miral der feindlichen Flote fleißig Nachricht. Endlich, als ganz Morea von den Venetia- nern erobert war, wuchs ihnen der Muth dergeſtalt, daß ſie darauf bedacht waren, ihr Eyland gleichfalls unter das Panier von St. Markus zu bringen. Um nun ihr Vor- haben deſto beſſer ins Werk zu richten: ſo achteten ſie es fuͤr rathſam, ungeachtet ſie bereits den beſten Theil des Eylandes im Be- ſitze hatten, die Neigung der Griechen vorher auszuforſchen; damit dieſe nicht ihrem Vor- haben unverhofft Hinderniſſe in den Weg legen moͤchten. Weil ſie aber ſich nicht ge- traueten, ihre Abſichten oͤffentlich zu entdecken: ſo fingen ſie in den gemeinen Unterredungen an, die Macht der Tuͤrken zu verkleinern, und der Venetianer ihre dagegen zu erheben; und ſagten: es ſey zu befuͤrchten, wann die tuͤr- kiſche Flote vollends aus der See vertrieben ſey, daß die Republik ſich von allen Eylaͤn- dern in dem aͤgeiſchen Meere Meiſter machen werde. Es ſey daher rathſam, noch vor an- gehendem Sommer ſich der Venetianer Gunſt zu erwerben, und zu dem Ende ihrem Admi- ral ein Schreiben zuzuſenden, darinnen man ihn erſuchen muͤßte, ein Volk, das mit ihm einerley Religion habe, gegen die Fremden zu beſchuͤtzen; und daß (wenn es ſeyn koͤnne) alsdann ein Chriſt dem andern beyſtehen moͤchte. Allein, dieſer Vorſchlag wurde von den Griechen nicht gebilliget: ſowol, weil ihnen die Treue der Venetianer verdaͤch- tig war; als auch, weil ſie glaubten, die Venetianer, die ſo weit von ihnen abgelegen ſind, wuͤrden ihnen gegen die gegenwaͤrtige Macht der Tuͤrken wenig Schutz leiſten koͤn- nen. Weil ſie aber voraus ſahen, daß die Lateiner auch ohne ihren Beytritt etwas zum Vortheile der Venetianer unternehmen wuͤr- den: ſo berichteten ſie Huſejn Paſcha, der zur ſelbigen Zeit Admiral bey den Tuͤrken war; ſie ſeyen entſchloſſen, dem osmaniſchen Hofe bis in den Tod getreu zu verbleiben: es befinden ſich aber bey ihnen viele Lateiner, die mit den Venetianern dem Gebluͤte und der Religion nach verwandt ſeyen, fuͤr deren Treue ſie nicht ſtehen koͤnnten. Sie hatten hie-

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 646. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/758>, abgerufen am 22.11.2024.