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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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21. Aehmed der II
gewußt hätten. Im Frühjahre bey guter Zeit sendeten sie eine Flote aus, und
griffen mit derselben, auf Einladung der Einwohner zu Chios, die der römisch-
katholischen Religion 21 zugethan waren, das Eyland dieses Namens mit großer
[Spaltenumbruch]
hiebey eine zwiefache Absicht: nämlich, da-
mit in dem Falle, wenn ihre Stadt von den
Venetianern eingenommen und hernach von
den Türken wieder erobert werden sollte, sie
die Entschuldigung bey der Hand haben möch-
ten, daß sie dem Admiral davon Nachricht
gegeben hätten; und dann, damit sie ihren
Mitbürgern nicht den Untergang zuziehen
möchten, als die, wenn die Sache von den
Türken wäre erfahren worden, die grausam-
sten Martern würden haben erdulden müssen.
Ehe aber dieser Brief bey Husejn Pascha an-
langen konnte: so fertigten die Lateiner, die
von der Sache Nachricht hatten und glaub-
ten, es sey keine Zeit zu verlieren, eine schnelle
Fregate an den venetianischen Admiral ab,
und baten ihn um alles dessen willen, was
heilig ist, so bald als es möglich sey, ihnen
zu Hülfe zu kommen; ihr Vorhaben sey be-
reits entdecket, und es sey gänzlich um sie
geschehen, wenn er nur im mindesten verzö-
ge: er habe sich dabey für nichts zu fürch-
ten, denn die Stadt sey ganz ohne Verthei-
digung, entblößet von Soldaten, Krieges-
vorrathe und Lebensmitteln, und durch Par-
teyen zertheilet; es fehle also weiter nichts,
sie zur Uebergabe zu bewegen, als daß sich
eine feindliche Flote vor derselben zeige. Auf
diese erhaltene Botschaft segelt der venetiani-
sche Admiral mit aller möglichen Eilfertig-
keit nach Chios, und findet die Stadt also,
wie sie ihm die Lateiner beschrieben hatten,
daß sie nämlich aller Sachen ermangelt, die
zu Aushaltung einer Belagerung erfordert
werden: er greifet daher dieselbe an, und
zwinget sie in wenigen Tagen, sich zu ergeben.
[Spaltenumbruch]
Es lebte zur selbigen Zeit daselbst Damad*
oder Silahtar Häsen Pascha, nicht als Statt-
halter, sondern als eine gemeine Person:
er war nämlich von dem Sultane dahin ge-
schickt worden, um von den Einkünften des
Eylandes seinen Unterhalt zu genießen, bis
man ihn mit einer Paschaschaft würde ver-
sehen können. Als dieser Mann merket,
daß es wegen Ermangelung alles Erforderli-
chen unmöglich ist, den Platz zu vertheidigen:
so fraget er den Müfti, der daselbst als ein
Verwiesener lebte; ob ein Müsülman mit
gutem Gewissen einen Platz, der keine Solda-
ten zu seiner Vertheidigung habe, den Chri-
sten übergeben könne, um die muhämmedi-
schen Einwohner desselben zu erhalten. Das
Fetwa, das er darauf erhält, ist dieses; daß
das Gute, das so vielen Müsülmanen da-
durch erzeiget werde, die Sünde, die man,
durch Ueberlieferung des Platzes, gegen den
Kuron begehe, austilge: daher übergiebt der-
selbe am vierten Tage der Belagerung die
Stadt an die Venetianer auf gewisse Bedin-
gungen. Die Venetianer werden hierdurch
noch hochmüthiger, und üben gegen die Grie-
chen und Türken gleichgroße Grausamkeiten
aus. Weil sie auch von derjenigen Bot-
schaft Nachricht haben, die die erstern an
Husejn Pascha gesendet hatten: so schließen
sie alle ihre Kirchen zu, ziehen die Güter vie-
ler derselben ein, verbieten den griechischen
Priestern ihr Amt zu verrichten und die Sa-
cramente zu verwalten, und wollen keinen
andern als den Lateinern gestatten, die Grie-
chen auf ihrem Todbette Beichte zu hören
oder ihre Kinder zu taufen. Die Griechen

Herz-
* der Schwiegersohn oder Schwager, nämlich des Sultans.

21. Aehmed der II
gewußt haͤtten. Im Fruͤhjahre bey guter Zeit ſendeten ſie eine Flote aus, und
griffen mit derſelben, auf Einladung der Einwohner zu Chios, die der roͤmiſch-
katholiſchen Religion 21 zugethan waren, das Eyland dieſes Namens mit großer
[Spaltenumbruch]
hiebey eine zwiefache Abſicht: naͤmlich, da-
mit in dem Falle, wenn ihre Stadt von den
Venetianern eingenommen und hernach von
den Tuͤrken wieder erobert werden ſollte, ſie
die Entſchuldigung bey der Hand haben moͤch-
ten, daß ſie dem Admiral davon Nachricht
gegeben haͤtten; und dann, damit ſie ihren
Mitbuͤrgern nicht den Untergang zuziehen
moͤchten, als die, wenn die Sache von den
Tuͤrken waͤre erfahren worden, die grauſam-
ſten Martern wuͤrden haben erdulden muͤſſen.
Ehe aber dieſer Brief bey Huſejn Paſcha an-
langen konnte: ſo fertigten die Lateiner, die
von der Sache Nachricht hatten und glaub-
ten, es ſey keine Zeit zu verlieren, eine ſchnelle
Fregate an den venetianiſchen Admiral ab,
und baten ihn um alles deſſen willen, was
heilig iſt, ſo bald als es moͤglich ſey, ihnen
zu Huͤlfe zu kommen; ihr Vorhaben ſey be-
reits entdecket, und es ſey gaͤnzlich um ſie
geſchehen, wenn er nur im mindeſten verzoͤ-
ge: er habe ſich dabey fuͤr nichts zu fuͤrch-
ten, denn die Stadt ſey ganz ohne Verthei-
digung, entbloͤßet von Soldaten, Krieges-
vorrathe und Lebensmitteln, und durch Par-
teyen zertheilet; es fehle alſo weiter nichts,
ſie zur Uebergabe zu bewegen, als daß ſich
eine feindliche Flote vor derſelben zeige. Auf
dieſe erhaltene Botſchaft ſegelt der venetiani-
ſche Admiral mit aller moͤglichen Eilfertig-
keit nach Chios, und findet die Stadt alſo,
wie ſie ihm die Lateiner beſchrieben hatten,
daß ſie naͤmlich aller Sachen ermangelt, die
zu Aushaltung einer Belagerung erfordert
werden: er greifet daher dieſelbe an, und
zwinget ſie in wenigen Tagen, ſich zu ergeben.
[Spaltenumbruch]
Es lebte zur ſelbigen Zeit daſelbſt Damad*
oder Silahtar Haͤſen Paſcha, nicht als Statt-
halter, ſondern als eine gemeine Perſon:
er war naͤmlich von dem Sultane dahin ge-
ſchickt worden, um von den Einkuͤnften des
Eylandes ſeinen Unterhalt zu genießen, bis
man ihn mit einer Paſchaſchaft wuͤrde ver-
ſehen koͤnnen. Als dieſer Mann merket,
daß es wegen Ermangelung alles Erforderli-
chen unmoͤglich iſt, den Platz zu vertheidigen:
ſo fraget er den Muͤfti, der daſelbſt als ein
Verwieſener lebte; ob ein Muͤſuͤlman mit
gutem Gewiſſen einen Platz, der keine Solda-
ten zu ſeiner Vertheidigung habe, den Chri-
ſten uͤbergeben koͤnne, um die muhaͤmmedi-
ſchen Einwohner deſſelben zu erhalten. Das
Fetwa, das er darauf erhaͤlt, iſt dieſes; daß
das Gute, das ſo vielen Muͤſuͤlmanen da-
durch erzeiget werde, die Suͤnde, die man,
durch Ueberlieferung des Platzes, gegen den
Kuron begehe, austilge: daher uͤbergiebt der-
ſelbe am vierten Tage der Belagerung die
Stadt an die Venetianer auf gewiſſe Bedin-
gungen. Die Venetianer werden hierdurch
noch hochmuͤthiger, und uͤben gegen die Grie-
chen und Tuͤrken gleichgroße Grauſamkeiten
aus. Weil ſie auch von derjenigen Bot-
ſchaft Nachricht haben, die die erſtern an
Huſejn Paſcha geſendet hatten: ſo ſchließen
ſie alle ihre Kirchen zu, ziehen die Guͤter vie-
ler derſelben ein, verbieten den griechiſchen
Prieſtern ihr Amt zu verrichten und die Sa-
cramente zu verwalten, und wollen keinen
andern als den Lateinern geſtatten, die Grie-
chen auf ihrem Todbette Beichte zu hoͤren
oder ihre Kinder zu taufen. Die Griechen

Herz-
* der Schwiegerſohn oder Schwager, naͤmlich des Sultans.
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[647/0759] 21. Aehmed der II gewußt haͤtten. Im Fruͤhjahre bey guter Zeit ſendeten ſie eine Flote aus, und griffen mit derſelben, auf Einladung der Einwohner zu Chios, die der roͤmiſch- katholiſchen Religion ²¹ zugethan waren, das Eyland dieſes Namens mit großer Herz- hiebey eine zwiefache Abſicht: naͤmlich, da- mit in dem Falle, wenn ihre Stadt von den Venetianern eingenommen und hernach von den Tuͤrken wieder erobert werden ſollte, ſie die Entſchuldigung bey der Hand haben moͤch- ten, daß ſie dem Admiral davon Nachricht gegeben haͤtten; und dann, damit ſie ihren Mitbuͤrgern nicht den Untergang zuziehen moͤchten, als die, wenn die Sache von den Tuͤrken waͤre erfahren worden, die grauſam- ſten Martern wuͤrden haben erdulden muͤſſen. Ehe aber dieſer Brief bey Huſejn Paſcha an- langen konnte: ſo fertigten die Lateiner, die von der Sache Nachricht hatten und glaub- ten, es ſey keine Zeit zu verlieren, eine ſchnelle Fregate an den venetianiſchen Admiral ab, und baten ihn um alles deſſen willen, was heilig iſt, ſo bald als es moͤglich ſey, ihnen zu Huͤlfe zu kommen; ihr Vorhaben ſey be- reits entdecket, und es ſey gaͤnzlich um ſie geſchehen, wenn er nur im mindeſten verzoͤ- ge: er habe ſich dabey fuͤr nichts zu fuͤrch- ten, denn die Stadt ſey ganz ohne Verthei- digung, entbloͤßet von Soldaten, Krieges- vorrathe und Lebensmitteln, und durch Par- teyen zertheilet; es fehle alſo weiter nichts, ſie zur Uebergabe zu bewegen, als daß ſich eine feindliche Flote vor derſelben zeige. Auf dieſe erhaltene Botſchaft ſegelt der venetiani- ſche Admiral mit aller moͤglichen Eilfertig- keit nach Chios, und findet die Stadt alſo, wie ſie ihm die Lateiner beſchrieben hatten, daß ſie naͤmlich aller Sachen ermangelt, die zu Aushaltung einer Belagerung erfordert werden: er greifet daher dieſelbe an, und zwinget ſie in wenigen Tagen, ſich zu ergeben. Es lebte zur ſelbigen Zeit daſelbſt Damad * oder Silahtar Haͤſen Paſcha, nicht als Statt- halter, ſondern als eine gemeine Perſon: er war naͤmlich von dem Sultane dahin ge- ſchickt worden, um von den Einkuͤnften des Eylandes ſeinen Unterhalt zu genießen, bis man ihn mit einer Paſchaſchaft wuͤrde ver- ſehen koͤnnen. Als dieſer Mann merket, daß es wegen Ermangelung alles Erforderli- chen unmoͤglich iſt, den Platz zu vertheidigen: ſo fraget er den Muͤfti, der daſelbſt als ein Verwieſener lebte; ob ein Muͤſuͤlman mit gutem Gewiſſen einen Platz, der keine Solda- ten zu ſeiner Vertheidigung habe, den Chri- ſten uͤbergeben koͤnne, um die muhaͤmmedi- ſchen Einwohner deſſelben zu erhalten. Das Fetwa, das er darauf erhaͤlt, iſt dieſes; daß das Gute, das ſo vielen Muͤſuͤlmanen da- durch erzeiget werde, die Suͤnde, die man, durch Ueberlieferung des Platzes, gegen den Kuron begehe, austilge: daher uͤbergiebt der- ſelbe am vierten Tage der Belagerung die Stadt an die Venetianer auf gewiſſe Bedin- gungen. Die Venetianer werden hierdurch noch hochmuͤthiger, und uͤben gegen die Grie- chen und Tuͤrken gleichgroße Grauſamkeiten aus. Weil ſie auch von derjenigen Bot- ſchaft Nachricht haben, die die erſtern an Huſejn Paſcha geſendet hatten: ſo ſchließen ſie alle ihre Kirchen zu, ziehen die Guͤter vie- ler derſelben ein, verbieten den griechiſchen Prieſtern ihr Amt zu verrichten und die Sa- cramente zu verwalten, und wollen keinen andern als den Lateinern geſtatten, die Grie- chen auf ihrem Todbette Beichte zu hoͤren oder ihre Kinder zu taufen. Die Griechen ver- * der Schwiegerſohn oder Schwager, naͤmlich des Sultans.

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 647. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/759>, abgerufen am 22.11.2024.