Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.21. Aehmed der II 47. Nachdem sie solchergestalt die Sachen in der Stadt nach ihrem Ge-Die Venetia- künftighin in mehrerer Sicherheit auf dem Eylande leben könnten: so möchte man den Lateinern das Bürgerrecht daselbst nehmen; oder, wenn dieses nicht geschehen könnte: so möchte der Sultan ihnen einiges wüstes Ey- land einräumen, da sie dann ihr Vaterland willig verlassen, sich dahin begeben und da- selbst mit ihren Weibern und Kindern nieder- lassen wollten: denn sie wollten lieber ihr Leben armselig und in Ruhe zubringen, als in beständiger Furcht schweben, ihr Leben und ihre Güter zu verlieren. Zuletzt fügen sie noch hinzu: es sey unmöglich, daß sie sicher in dem Eylande leben könnten, so lange sie mit Einwohnern von der lateinischen Kirche untermischet seyen, als die letzthin die Stadt den Venetianern verrathen haben, und nicht unterlassen würden, ihnen beyzustehen, daß sie dieselbe noch einmal eroberten. Mittler- weile war Husejn Pascha (der dazumal Ad- miral war, als die Venetianer Chios einnah- men) zu der Würde des obersten Weßirs ge- langet. Als nun derselbe von dem Sultane um die Sache befraget wurde: so sagte er; was die Griechen hier anführeten, das sey [Spaltenumbruch] wahr; und erwähnete dabey zugleich, daß sie ihm damals von dem Vorhaben Nach- richt gegeben hätten. Nachdem nun der Sul- tan die Wahrheit der Sache vernommen hatte: so setzte er die von dem Eylande verlangte Summe auf fünf hundert Beutel herunter; die Lateiner aber verdammete er auf die Ga- leen, mit dem Befehle, alle Güter derselben unter die Griechen auszutheilen. Dieses scharfe Urtheil, das ihre unerhörte Grausam- keit wohl verdienet hatte, würde auch an ih- nen wirklich vollzogen worden seyn, wenn der französische Abgesandte nicht gewesen wäre. Dieser brachte zwar theils durch sein Ansehen und theils durch Geld so viel zuwege, daß sie mit der Galeenstrafe verschonet wur- den; er konnte aber dieses unter keiner an- dern Bedingung erhalten, als daß sie der rö- mischen Religion öffentlich absagen und sich für Glieder der griechischen Kirche bekennen sollten. Auf diese Weise ist es geschehen, daß heutiges Tages nicht die mindeste Spur des Pabstthums mehr in Chios anzutref- fen ist. 48. In 4 N
21. Aehmed der II 47. Nachdem ſie ſolchergeſtalt die Sachen in der Stadt nach ihrem Ge-Die Venetia- kuͤnftighin in mehrerer Sicherheit auf dem Eylande leben koͤnnten: ſo moͤchte man den Lateinern das Buͤrgerrecht daſelbſt nehmen; oder, wenn dieſes nicht geſchehen koͤnnte: ſo moͤchte der Sultan ihnen einiges wuͤſtes Ey- land einraͤumen, da ſie dann ihr Vaterland willig verlaſſen, ſich dahin begeben und da- ſelbſt mit ihren Weibern und Kindern nieder- laſſen wollten: denn ſie wollten lieber ihr Leben armſelig und in Ruhe zubringen, als in beſtaͤndiger Furcht ſchweben, ihr Leben und ihre Guͤter zu verlieren. Zuletzt fuͤgen ſie noch hinzu: es ſey unmoͤglich, daß ſie ſicher in dem Eylande leben koͤnnten, ſo lange ſie mit Einwohnern von der lateiniſchen Kirche untermiſchet ſeyen, als die letzthin die Stadt den Venetianern verrathen haben, und nicht unterlaſſen wuͤrden, ihnen beyzuſtehen, daß ſie dieſelbe noch einmal eroberten. Mittler- weile war Huſejn Paſcha (der dazumal Ad- miral war, als die Venetianer Chios einnah- men) zu der Wuͤrde des oberſten Weßirs ge- langet. Als nun derſelbe von dem Sultane um die Sache befraget wurde: ſo ſagte er; was die Griechen hier anfuͤhreten, das ſey [Spaltenumbruch] wahr; und erwaͤhnete dabey zugleich, daß ſie ihm damals von dem Vorhaben Nach- richt gegeben haͤtten. Nachdem nun der Sul- tan die Wahrheit der Sache vernommen hatte: ſo ſetzte er die von dem Eylande verlangte Summe auf fuͤnf hundert Beutel herunter; die Lateiner aber verdammete er auf die Ga- leen, mit dem Befehle, alle Guͤter derſelben unter die Griechen auszutheilen. Dieſes ſcharfe Urtheil, das ihre unerhoͤrte Grauſam- keit wohl verdienet hatte, wuͤrde auch an ih- nen wirklich vollzogen worden ſeyn, wenn der franzoͤſiſche Abgeſandte nicht geweſen waͤre. Dieſer brachte zwar theils durch ſein Anſehen und theils durch Geld ſo viel zuwege, daß ſie mit der Galeenſtrafe verſchonet wur- den; er konnte aber dieſes unter keiner an- dern Bedingung erhalten, als daß ſie der roͤ- miſchen Religion oͤffentlich abſagen und ſich fuͤr Glieder der griechiſchen Kirche bekennen ſollten. Auf dieſe Weiſe iſt es geſchehen, daß heutiges Tages nicht die mindeſte Spur des Pabſtthums mehr in Chios anzutref- fen iſt. 48. In 4 N
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21. Aehmed der II
47. Nachdem ſie ſolchergeſtalt die Sachen in der Stadt nach ihrem Ge-
fallen eingerichtet hatten: ſo faſſeten ſie den Entſchluß, Smirna zu belagern.
Allein, der franzoͤſiſche, engliſche und hollaͤndiſche Conſul kamen den Venetianern
auf ihrem Anzuge entgegen, legten eine Fuͤrbitte fuͤr die Stadt ein, und ſtelle-
ten gegen die Belagerung unter andern Gruͤnden ſonderlich dieſes ſehr nach-
druͤcklich vor, daß faſt alle Packhaͤuſer zu Smirna mit Waren von ihren aller-
ſeitigen Landesleuten angefuͤllet ſeyen: wenn nun dieſe in der Belagerung durch
Feuer verzehret oder von den Soldaten gepluͤndert werden ſollten; ſo wuͤrden
ihre Herren dieſelben ſamt dem Wucher von den Venetianern fordern. Auf
dieſe Vorſtellung ließen die Venetianer, weil ſie ſich vor der Ahndung der uͤbri-
gen chriſtlichen Fuͤrſten fuͤrchteten, von ihrem Vorhaben ab, und kehreten mit
ihrer Flote wieder nach Hauſe.
Die Venetia-
ner haͤtten auch
Smirna gerne
weggenommen,
wenn ihnen die
Belagerung deſ-
ſelben nicht von
den chriſtlichen
Conſuln waͤre
widerrathen
worden.
48. In
kuͤnftighin in mehrerer Sicherheit auf dem
Eylande leben koͤnnten: ſo moͤchte man den
Lateinern das Buͤrgerrecht daſelbſt nehmen;
oder, wenn dieſes nicht geſchehen koͤnnte: ſo
moͤchte der Sultan ihnen einiges wuͤſtes Ey-
land einraͤumen, da ſie dann ihr Vaterland
willig verlaſſen, ſich dahin begeben und da-
ſelbſt mit ihren Weibern und Kindern nieder-
laſſen wollten: denn ſie wollten lieber ihr
Leben armſelig und in Ruhe zubringen, als
in beſtaͤndiger Furcht ſchweben, ihr Leben
und ihre Guͤter zu verlieren. Zuletzt fuͤgen
ſie noch hinzu: es ſey unmoͤglich, daß ſie
ſicher in dem Eylande leben koͤnnten, ſo lange
ſie mit Einwohnern von der lateiniſchen Kirche
untermiſchet ſeyen, als die letzthin die Stadt
den Venetianern verrathen haben, und nicht
unterlaſſen wuͤrden, ihnen beyzuſtehen, daß
ſie dieſelbe noch einmal eroberten. Mittler-
weile war Huſejn Paſcha (der dazumal Ad-
miral war, als die Venetianer Chios einnah-
men) zu der Wuͤrde des oberſten Weßirs ge-
langet. Als nun derſelbe von dem Sultane
um die Sache befraget wurde: ſo ſagte er;
was die Griechen hier anfuͤhreten, das ſey
wahr; und erwaͤhnete dabey zugleich, daß
ſie ihm damals von dem Vorhaben Nach-
richt gegeben haͤtten. Nachdem nun der Sul-
tan die Wahrheit der Sache vernommen hatte:
ſo ſetzte er die von dem Eylande verlangte
Summe auf fuͤnf hundert Beutel herunter;
die Lateiner aber verdammete er auf die Ga-
leen, mit dem Befehle, alle Guͤter derſelben
unter die Griechen auszutheilen. Dieſes
ſcharfe Urtheil, das ihre unerhoͤrte Grauſam-
keit wohl verdienet hatte, wuͤrde auch an ih-
nen wirklich vollzogen worden ſeyn, wenn
der franzoͤſiſche Abgeſandte nicht geweſen
waͤre. Dieſer brachte zwar theils durch ſein
Anſehen und theils durch Geld ſo viel zuwege,
daß ſie mit der Galeenſtrafe verſchonet wur-
den; er konnte aber dieſes unter keiner an-
dern Bedingung erhalten, als daß ſie der roͤ-
miſchen Religion oͤffentlich abſagen und ſich
fuͤr Glieder der griechiſchen Kirche bekennen
ſollten. Auf dieſe Weiſe iſt es geſchehen,
daß heutiges Tages nicht die mindeſte Spur
des Pabſtthums mehr in Chios anzutref-
fen iſt.
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