Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.22. Mustäfa der II öffentlichen Geschäffte angenommen, und nichts verabsäumet habe, was er zurErweiterung der Grenzen des Reichs für dienlich erachtet: eben so habe Mu- stäfa die ersten Jahre seiner Regierung hindurch sich gänzlich auf Statssachen geleget und alle Pflichten eines Vaters seines Vaterlandes erfüllet, und in so ferne die Tugenden des andern nachgeahmet. Itzo aber sey derselbe entschlossen, auch denjenigen Lastern zu folgen, deren sein Vater sich in seinem hohen Alter, und nachdem er das Reich erweitert, schuldig gemacht habe, nämlich der Liebe zur Jagd und zu den Hunden; ungeachtet er noch jung sey, und, in Ansehung sei- ner Verdienste um das osmanische Reich, lange nicht so großen Ruhm erlanget habe. Denn er habe nicht das mindeste von dem Feinde erobert, noch die ganze Wäh- rung des Krieges hindurch eine einzige That verrichtet, die werth sey, daß man ihm öffentlichen Dank dafür wisse; ausgenommen, daß er den Feind verhindert habe, in das Innere des Reichs einzudringen. Da nun sein Vater, der sich durch so viele Siege ein Ansehen erworben, wegen seiner unmäßigen Liebe zur Jagd abgesetzet worden sey: so sey zu befürchten, daß eben dieses Schicksal, wo nicht noch ein schlimmeres, seinem Sohne, der jenem weit nachgehe, begeg- nen werde. 93. Diese Vorwürfe von sich abzulehnen brauchte der Sultan ein Mit-Der Sultan in den Ruf gesetzet hätte, daß er die Ehre des muhämmedischen Gesetzes und des olios- manischen Reiches beflecke; und dieses durch seine unmäßige Liebe zu dem Weine, den er zu Wien trinken gelernet und sich angewöh- net hatte. Denn dieser Ursache wegen wollte ihm Mustäfa weder gestatten, nach Adriano- pel zu kommen, noch ihn vor sich lassen; sondern schickte ihm den Befehl zu, in seiner Statthalterschaft zu Belgrad zu bleiben: welches ihm so sehr zu Gemüthe ging, daß er sich dadurch innerhalb weniger Monate eine [Spaltenumbruch] Auszehrung zuzoge, daran er sterben mußte. 37 Karischtüran] Eine Stadt zwischen Tschorlü und Burgaß, nächst an der Straße von Constantinopel nach Adrianopel gelegen. Es ist noch heutiges Tages ein sehr schöner Palast daselbst zu sehen, den Muhämmed der IIII zur Bequemlichkeit der Jagd bauen lassen: denn das umliegende Land ist sehr luftig und zur Jagd geschickt; weil es voll von Hasen ist, die wegen ihrer Schnellheit berühmt sind. 94. Wäh-
22. Muſtaͤfa der II oͤffentlichen Geſchaͤffte angenommen, und nichts verabſaͤumet habe, was er zurErweiterung der Grenzen des Reichs fuͤr dienlich erachtet: eben ſo habe Mu- ſtaͤfa die erſten Jahre ſeiner Regierung hindurch ſich gaͤnzlich auf Statsſachen geleget und alle Pflichten eines Vaters ſeines Vaterlandes erfuͤllet, und in ſo ferne die Tugenden des andern nachgeahmet. Itzo aber ſey derſelbe entſchloſſen, auch denjenigen Laſtern zu folgen, deren ſein Vater ſich in ſeinem hohen Alter, und nachdem er das Reich erweitert, ſchuldig gemacht habe, naͤmlich der Liebe zur Jagd und zu den Hunden; ungeachtet er noch jung ſey, und, in Anſehung ſei- ner Verdienſte um das osmaniſche Reich, lange nicht ſo großen Ruhm erlanget habe. Denn er habe nicht das mindeſte von dem Feinde erobert, noch die ganze Waͤh- rung des Krieges hindurch eine einzige That verrichtet, die werth ſey, daß man ihm oͤffentlichen Dank dafuͤr wiſſe; ausgenommen, daß er den Feind verhindert habe, in das Innere des Reichs einzudringen. Da nun ſein Vater, der ſich durch ſo viele Siege ein Anſehen erworben, wegen ſeiner unmaͤßigen Liebe zur Jagd abgeſetzet worden ſey: ſo ſey zu befuͤrchten, daß eben dieſes Schickſal, wo nicht noch ein ſchlimmeres, ſeinem Sohne, der jenem weit nachgehe, begeg- nen werde. 93. Dieſe Vorwuͤrfe von ſich abzulehnen brauchte der Sultan ein Mit-Der Sultan in den Ruf geſetzet haͤtte, daß er die Ehre des muhaͤmmediſchen Geſetzes und des olios- maniſchen Reiches beflecke; und dieſes durch ſeine unmaͤßige Liebe zu dem Weine, den er zu Wien trinken gelernet und ſich angewoͤh- net hatte. Denn dieſer Urſache wegen wollte ihm Muſtaͤfa weder geſtatten, nach Adriano- pel zu kommen, noch ihn vor ſich laſſen; ſondern ſchickte ihm den Befehl zu, in ſeiner Statthalterſchaft zu Belgrad zu bleiben: welches ihm ſo ſehr zu Gemuͤthe ging, daß er ſich dadurch innerhalb weniger Monate eine [Spaltenumbruch] Auszehrung zuzoge, daran er ſterben mußte. 37 Kariſchtuͤran] Eine Stadt zwiſchen Tſchorluͤ und Burgaß, naͤchſt an der Straße von Conſtantinopel nach Adrianopel gelegen. Es iſt noch heutiges Tages ein ſehr ſchoͤner Palaſt daſelbſt zu ſehen, den Muhaͤmmed der IIII zur Bequemlichkeit der Jagd bauen laſſen: denn das umliegende Land iſt ſehr luftig und zur Jagd geſchickt; weil es voll von Haſen iſt, die wegen ihrer Schnellheit beruͤhmt ſind. 94. Waͤh-
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22. Muſtaͤfa der II
oͤffentlichen Geſchaͤffte angenommen, und nichts verabſaͤumet habe, was er zur
Erweiterung der Grenzen des Reichs fuͤr dienlich erachtet: eben ſo habe Mu-
ſtaͤfa die erſten Jahre ſeiner Regierung hindurch ſich gaͤnzlich auf Statsſachen
geleget und alle Pflichten eines Vaters ſeines Vaterlandes erfuͤllet, und in ſo
ferne die Tugenden des andern nachgeahmet. Itzo aber ſey derſelbe entſchloſſen,
auch denjenigen Laſtern zu folgen, deren ſein Vater ſich in ſeinem hohen Alter,
und nachdem er das Reich erweitert, ſchuldig gemacht habe, naͤmlich der Liebe
zur Jagd und zu den Hunden; ungeachtet er noch jung ſey, und, in Anſehung ſei-
ner Verdienſte um das osmaniſche Reich, lange nicht ſo großen Ruhm erlanget habe.
Denn er habe nicht das mindeſte von dem Feinde erobert, noch die ganze Waͤh-
rung des Krieges hindurch eine einzige That verrichtet, die werth ſey, daß man
ihm oͤffentlichen Dank dafuͤr wiſſe; ausgenommen, daß er den Feind verhindert
habe, in das Innere des Reichs einzudringen. Da nun ſein Vater, der ſich
durch ſo viele Siege ein Anſehen erworben, wegen ſeiner unmaͤßigen Liebe zur
Jagd abgeſetzet worden ſey: ſo ſey zu befuͤrchten, daß eben dieſes Schickſal,
wo nicht noch ein ſchlimmeres, ſeinem Sohne, der jenem weit nachgehe, begeg-
nen werde.
93. Dieſe Vorwuͤrfe von ſich abzulehnen brauchte der Sultan ein Mit-
tel, deſſen ſich ſeine Vorfahrer ſchon oͤfters mit gutem Erfolge bedienet hatten;
naͤmlich, ſich nach Adrianopel zu begeben. Denn nachdem er den Weßir nebſt
allen hohen Bedienten des Reichs zu ſich in dieſe Stadt entboten, und ſolcher-
geſtalt den Kundſchaftern ſeiner Auffuͤhrung alle Gelegenheit zu uͤbeln Nachreden
benommen hatte: ſo ſchwieg das Volk ſtille, und die gewoͤhnlichen Anzuͤglich-
keiten gegen ihre Regierer hatten ein Ende.
Der Sultan
begiebt ſich nach
Adrianopel, um
den Vorwuͤrfen
des Volks zu ent-
gehen.
94. Waͤh-
in den Ruf geſetzet haͤtte, daß er die Ehre
des muhaͤmmediſchen Geſetzes und des olios-
maniſchen Reiches beflecke; und dieſes durch
ſeine unmaͤßige Liebe zu dem Weine, den er
zu Wien trinken gelernet und ſich angewoͤh-
net hatte. Denn dieſer Urſache wegen wollte
ihm Muſtaͤfa weder geſtatten, nach Adriano-
pel zu kommen, noch ihn vor ſich laſſen;
ſondern ſchickte ihm den Befehl zu, in ſeiner
Statthalterſchaft zu Belgrad zu bleiben:
welches ihm ſo ſehr zu Gemuͤthe ging, daß er
ſich dadurch innerhalb weniger Monate eine
Auszehrung zuzoge, daran er ſterben mußte.
³⁷ Kariſchtuͤran] Eine Stadt zwiſchen
Tſchorluͤ und Burgaß, naͤchſt an der Straße
von Conſtantinopel nach Adrianopel gelegen.
Es iſt noch heutiges Tages ein ſehr ſchoͤner
Palaſt daſelbſt zu ſehen, den Muhaͤmmed
der IIII zur Bequemlichkeit der Jagd bauen
laſſen: denn das umliegende Land iſt ſehr
luftig und zur Jagd geſchickt; weil es voll
von Haſen iſt, die wegen ihrer Schnellheit
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