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Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745.

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22. Mustäfa der II
Zurückkunft vorher zu ihm kommen, ehe er sich zu dem Sultane verfüge; damit
er ihn belehren könne, was er sagen solle. Kiblelü Ogli richtet sich nach dieser
Anweisung, gehet bey seiner Wiederkunft, ehe er noch dem Sultane aufwartet,
in verstellter Kleidung zu dem Weßire, und erzählet demselben: die Russen
haben an zweenen Orten, nämlich zu Woroneschi und zu Aßak, eine große Flote
gebauet, und vermehren dieselbe täglich; sie haben Taganorok auf erstaunliche
Weise befestiget, und es arbeiten beständig über zwanzig tausend Menschen an
Erbauung neuer Festungen; die Werke zu Kamjenzaton oberhalb des Dnje-
pers seyen bereits zu Stande gebracht, die Schleusen in dem Flusse geöffnet und
derselbe zur Schifffahrt bequem gemacht; die Tatarn haben nirgends mehr
Sicherheit, als auf ihrer Halbinsel, und werden durch die Streifereyen der Ko-
saken unaufhörlich beunruhiget; und noch andere dergleichen Umstände mehr,
die in der That wahr waren, und zugleich zu beweisen schienen, daß die Russen
ganz nicht zum Frieden geneigt seyen.

96.

Weil der Weßir überlegte, daß, wenn man diese Dinge dem Sul-Der Weßir be-
mühet sich, durch
falsche Vorstel-
lungen einen
Krieg mit Ruß-
land zu vermei-
den.

tane hinterbrächte, dieses noch einen entsetzlichern Krieg, als den vorigen, veran-
lassen würde: so ersuchet er seinen Vetter, dieselben zu verhehlen, und dem
Sultane beyzubringen; der Bericht des Chans in der krimischen Tatarey wäre
ganz und gar ungegründet und eine bloße Erdichtung, die nach der gewöhnlichen
Weise der Tatarn vergrößert sey. Sie wüßten nämlich, daß sie von den Os-
manen wenig geachtet würden, außer zu Kriegeszeiten; und wären des Plün-
derns dergestalt gewohnet, daß sie glaubten, sie könnten ohne dasselbe fast nicht
leben. Die Russen hätten zwar während des Krieges verschiedene Festungen
zu bauen angefangen: sie hätten aber itzo ihre Werke wieder liegen lassen, und
verlangeten nichts so sehr, als den Frieden unverbrüchlich zu halten, und die
Handlung zwischen ihnen und den Türken frey zu machen; zu welchem Ende sie
nächstens einen außerordentlichen Abgesandten an den durchlauchtigen Hof
schicken würden.

97.

Nachdem Kiblelü Ogli mit dieser erdichteten Geschichte war verse-Der Chan wird
einer Falschheit
beschuldiget und
rechtfertiget sich
deswegen gegen
den Sultan.

hen worden: so begiebt er sich Tages darauf, mit dem Vorgeben, daß er eben
itzo von seiner Reise zurückkomme und noch keinen Menschen gesprochen habe,
gerades Weges zu dem Sultane, und erzählet demselben alles genau, was man
ihn angelehret hatte. Der Sultan, der in seine Treue keinen Argwohn setzte,
[Spaltenumbruch]

selbe noch jung war, nicht nachließe, dem
Sultane mit Ungestüme anzuliegen, bis er ihn
zum Büjükj Mirochor machte. Ich habe
[Spaltenumbruch]
schon in dem Texte der Geschichte umständ-
liche Nachricht von ihm ertheilet.

wird
4 Y

22. Muſtaͤfa der II
Zuruͤckkunft vorher zu ihm kommen, ehe er ſich zu dem Sultane verfuͤge; damit
er ihn belehren koͤnne, was er ſagen ſolle. Kibleluͤ Ogli richtet ſich nach dieſer
Anweiſung, gehet bey ſeiner Wiederkunft, ehe er noch dem Sultane aufwartet,
in verſtellter Kleidung zu dem Weßire, und erzaͤhlet demſelben: die Ruſſen
haben an zweenen Orten, naͤmlich zu Woroneſchi und zu Aßak, eine große Flote
gebauet, und vermehren dieſelbe taͤglich; ſie haben Taganorok auf erſtaunliche
Weiſe befeſtiget, und es arbeiten beſtaͤndig uͤber zwanzig tauſend Menſchen an
Erbauung neuer Feſtungen; die Werke zu Kamjenzaton oberhalb des Dnje-
pers ſeyen bereits zu Stande gebracht, die Schleuſen in dem Fluſſe geoͤffnet und
derſelbe zur Schifffahrt bequem gemacht; die Tatarn haben nirgends mehr
Sicherheit, als auf ihrer Halbinſel, und werden durch die Streifereyen der Ko-
ſaken unaufhoͤrlich beunruhiget; und noch andere dergleichen Umſtaͤnde mehr,
die in der That wahr waren, und zugleich zu beweiſen ſchienen, daß die Ruſſen
ganz nicht zum Frieden geneigt ſeyen.

96.

Weil der Weßir uͤberlegte, daß, wenn man dieſe Dinge dem Sul-Der Weßir be-
muͤhet ſich, durch
falſche Vorſtel-
lungen einen
Krieg mit Ruß-
land zu vermei-
den.

tane hinterbraͤchte, dieſes noch einen entſetzlichern Krieg, als den vorigen, veran-
laſſen wuͤrde: ſo erſuchet er ſeinen Vetter, dieſelben zu verhehlen, und dem
Sultane beyzubringen; der Bericht des Chans in der krimiſchen Tatarey waͤre
ganz und gar ungegruͤndet und eine bloße Erdichtung, die nach der gewoͤhnlichen
Weiſe der Tatarn vergroͤßert ſey. Sie wuͤßten naͤmlich, daß ſie von den Os-
manen wenig geachtet wuͤrden, außer zu Kriegeszeiten; und waͤren des Pluͤn-
derns dergeſtalt gewohnet, daß ſie glaubten, ſie koͤnnten ohne daſſelbe faſt nicht
leben. Die Ruſſen haͤtten zwar waͤhrend des Krieges verſchiedene Feſtungen
zu bauen angefangen: ſie haͤtten aber itzo ihre Werke wieder liegen laſſen, und
verlangeten nichts ſo ſehr, als den Frieden unverbruͤchlich zu halten, und die
Handlung zwiſchen ihnen und den Tuͤrken frey zu machen; zu welchem Ende ſie
naͤchſtens einen außerordentlichen Abgeſandten an den durchlauchtigen Hof
ſchicken wuͤrden.

97.

Nachdem Kibleluͤ Ogli mit dieſer erdichteten Geſchichte war verſe-Der Chan wird
einer Falſchheit
beſchuldiget und
rechtfertiget ſich
deswegen gegen
den Sultan.

hen worden: ſo begiebt er ſich Tages darauf, mit dem Vorgeben, daß er eben
itzo von ſeiner Reiſe zuruͤckkomme und noch keinen Menſchen geſprochen habe,
gerades Weges zu dem Sultane, und erzaͤhlet demſelben alles genau, was man
ihn angelehret hatte. Der Sultan, der in ſeine Treue keinen Argwohn ſetzte,
[Spaltenumbruch]

ſelbe noch jung war, nicht nachließe, dem
Sultane mit Ungeſtuͤme anzuliegen, bis er ihn
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[Spaltenumbruch]
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[721/0835] 22. Muſtaͤfa der II Zuruͤckkunft vorher zu ihm kommen, ehe er ſich zu dem Sultane verfuͤge; damit er ihn belehren koͤnne, was er ſagen ſolle. Kibleluͤ Ogli richtet ſich nach dieſer Anweiſung, gehet bey ſeiner Wiederkunft, ehe er noch dem Sultane aufwartet, in verſtellter Kleidung zu dem Weßire, und erzaͤhlet demſelben: die Ruſſen haben an zweenen Orten, naͤmlich zu Woroneſchi und zu Aßak, eine große Flote gebauet, und vermehren dieſelbe taͤglich; ſie haben Taganorok auf erſtaunliche Weiſe befeſtiget, und es arbeiten beſtaͤndig uͤber zwanzig tauſend Menſchen an Erbauung neuer Feſtungen; die Werke zu Kamjenzaton oberhalb des Dnje- pers ſeyen bereits zu Stande gebracht, die Schleuſen in dem Fluſſe geoͤffnet und derſelbe zur Schifffahrt bequem gemacht; die Tatarn haben nirgends mehr Sicherheit, als auf ihrer Halbinſel, und werden durch die Streifereyen der Ko- ſaken unaufhoͤrlich beunruhiget; und noch andere dergleichen Umſtaͤnde mehr, die in der That wahr waren, und zugleich zu beweiſen ſchienen, daß die Ruſſen ganz nicht zum Frieden geneigt ſeyen. 96. Weil der Weßir uͤberlegte, daß, wenn man dieſe Dinge dem Sul- tane hinterbraͤchte, dieſes noch einen entſetzlichern Krieg, als den vorigen, veran- laſſen wuͤrde: ſo erſuchet er ſeinen Vetter, dieſelben zu verhehlen, und dem Sultane beyzubringen; der Bericht des Chans in der krimiſchen Tatarey waͤre ganz und gar ungegruͤndet und eine bloße Erdichtung, die nach der gewoͤhnlichen Weiſe der Tatarn vergroͤßert ſey. Sie wuͤßten naͤmlich, daß ſie von den Os- manen wenig geachtet wuͤrden, außer zu Kriegeszeiten; und waͤren des Pluͤn- derns dergeſtalt gewohnet, daß ſie glaubten, ſie koͤnnten ohne daſſelbe faſt nicht leben. Die Ruſſen haͤtten zwar waͤhrend des Krieges verſchiedene Feſtungen zu bauen angefangen: ſie haͤtten aber itzo ihre Werke wieder liegen laſſen, und verlangeten nichts ſo ſehr, als den Frieden unverbruͤchlich zu halten, und die Handlung zwiſchen ihnen und den Tuͤrken frey zu machen; zu welchem Ende ſie naͤchſtens einen außerordentlichen Abgeſandten an den durchlauchtigen Hof ſchicken wuͤrden. Der Weßir be- muͤhet ſich, durch falſche Vorſtel- lungen einen Krieg mit Ruß- land zu vermei- den. 97. Nachdem Kibleluͤ Ogli mit dieſer erdichteten Geſchichte war verſe- hen worden: ſo begiebt er ſich Tages darauf, mit dem Vorgeben, daß er eben itzo von ſeiner Reiſe zuruͤckkomme und noch keinen Menſchen geſprochen habe, gerades Weges zu dem Sultane, und erzaͤhlet demſelben alles genau, was man ihn angelehret hatte. Der Sultan, der in ſeine Treue keinen Argwohn ſetzte, wird ſelbe noch jung war, nicht nachließe, dem Sultane mit Ungeſtuͤme anzuliegen, bis er ihn zum Buͤjuͤkj Mirochor machte. Ich habe ſchon in dem Texte der Geſchichte umſtaͤnd- liche Nachricht von ihm ertheilet. Der Chan wird einer Falſchheit beſchuldiget und rechtfertiget ſich deswegen gegen den Sultan. 4 Y

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Zitationshilfe: Dimitrie [Moldau, Woiwode], (Cantemir, Dimitrie): Geschichte des osmanischen Reichs nach seinem Anwachse und Abnehmen. Hamburg, 1745, S. 721. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cantemir_geschichte_1745/835>, abgerufen am 22.11.2024.